Annatextiles: Wandteppiche Ruth von Fischer: Inhalt

   
   
 
  Kirchgemeindehaus Muri (3074)
das himmlische Jerusalem - 2 x 4 m,
4300 Arbeitsstunden

Der Wandteppich wurde am 25. März 2010 vom Kirchgemeindehaus verabschiedet und wegen Renovierungsarbeiten abgehängt.
Vorübergehend findet er einen Platz im Thoracherhus, Kranichweg 10, 3074 Muri b.Bern,
http://www.be.ref.ch/muri-guemligen

 

  Der Teppich ist 400cm lang und 193 cm hoch. Er wiegt 19 kg. Die Arbeit dauerte 14 Monate.
   
 
Worte zum Abschied

Dargestellt auf dem Wandteppich ist das neue Jerusalem
, wie es in den beiden letzten Kapiteln der Offenbarung beschrieben ist. Die Stadt steht da mit Türmen und Mauern, ähnlich einer mittelalterlichen Burg. Sie ist der hellste Fleck im Bild und strahlt auch die Farben der Felder aus. Im Zentrum der Stadt und weiss leuchtend, liegt das Lamm. Es wird als Zeichen des Lebens und der Unschuld verstanden, das weiße Fellgewand symbolisiert die innere Reinheit und Frömmigkeit. Das Lamm allein kann das Buch mit den 7 Siegeln öffnen, und so die einzelnen endzeitlichen Geschehnisse des Buches in Gang setzt.
Aus den Toren fliessen die Lebenswasser, und auf beiden Seiten des Wassers stehen die 2 Lebensbäume. Das Wasser fliesst aus der Stadt, ähnlich einer Strasse, es ist hell und klar und ladet ein zum Trinken, oder auch zum Baden. Die vielen Blautöne fallen ins Auge, es gibt auch dunkles Violett oder Blaugrau.

Der Entwurf wurde so gestaltet, dass er für die Technik der Applikation, wie auch für Arbeit mit vielen Frauen ausführbar war. Es arbeiteten denn auch 63 Frauen unter der Leitung der Künstlerin 4300 Arbeitsstunden daran. Man hatte dazu zwei Gruppen gebildet, die wechselweise an einem Nachmittag jede Woche von 14 – 18 Uhr zusammenkamen. Ihre Namen finden sich auf der Rückseite des Behangs.

Wandteppiche sind schon in frühen Zeiten für die Ausstattung von Räumen hergestellt worden. Weil aber das textile Material sehr vergänglich ist, reichen unsere Kenntnisse nur bis zu den Kopten zurück, das sind die christlichen Aegyptern, die vor nicht ganz 2000 Jahre lebten.
Aus späterer Zeit nenne ich hier zwei heute berühmte Wandbehänge, die etwas weniger alt sind, nämlich:
die Tapisserie de Bayeux, dieser gestickter Behang zeigt die kriegerische Eroberung Englands durch die Normannen. Er ist etwa 1070 entstanden und Königin Mathilde soll ihn in Auftrag gegeben haben.
Sehr bekannt ist heute die Folge der Apokalypsen Teppiche in Angers, also ein Thema aus der Bibel. Diese Wandteppiche entstanden auf einem Webstuhl, in einer Art von Mosaikweberei. In die waagrecht oder senkrecht liegende Kettfäden werden die farbigen, wollenen Einträge eingearbeitet. Dieser Eintrag, der auch als Schuss bezeichnet wird, führt also nicht über die ganze Webbreite, sondern immer nur so weit, wie die Formen es verlangen. Er überdeckt die Kettfäden soweit, dass diese meistens nicht mehr zu sehen sind. –diese Technik verwendete man sehr häufig in Frankreich und in den Niederlanden.

Diese erwähnten Beispiele blieben nicht immer an ihrem Bestimmungsort, man hat sie von dort weggenommen, zeitweilig ihre Bedeutung vergessen und sie sogar für andere Zwecke verwendet. So lag die Bayeux Tapisserie lange Zeit aufgerollt in Magazinen. Zur Zeit der französischen Revolution rettete ihn ein angesehener französischer Advokat, der eingriff, als man die Teppichrolle zum Abdecken von Wagen benutzen wollte.
Die Teppiche in Angers dienten im Winter als Kälteschutz für Gartenbeete, ausserdem verwendete man sie in Pferdeställen, damit die Tiere sich an den rauhen Stallwänden nicht verletzten sollten. Wir wissen nicht, wieviele Werke auf diese Art verloren gegangen sind. Die erwähnten Beispiele gehören zu den wenigen, die man wiederentdeckte und restaurierte. Sie sind heute wichtige Zeugnisse der Gestaltungskraft früherer Epochen, gehören zu unserem kulturellen Erbe.

Im 20. Jahrhundert hat sich eine neue Auffassung von textilem Wandschmuck gebildet. Textilkünstler stellten überlieferte Regeln und Techniken in Frage. Die Teppiche bleiben nun oft nicht im Zwei-Dimensionalen, sind nicht mehr an eine Unterlage oder an den Webstuhl gebunden, sie können sich in den Raum bewegen, werden zu textilen Skulpturen.
In der Stadt Lausanne entwickelte sich von 1962 bis 1995 ein wichtiges Forum für diese textile Kunstrichtung, hier fanden alle zwei Jahre die Biennalen der Tapisserie statt, die mit immer wieder neuen Ideen überraschten.

Ich bin sicher, dass diese Textilanlässe auch auf die Expo in Lausanne von 1964 ihren Einfluss hatten. Hier entstand im Sektor „Feld und Wald“ bei den Vorbereitungsarbeiten zur Ausstellung die Idee, verschiedene Künstlerinnen um Teppichentwürfe anzufragen. Frauengruppen sollten daraufhin in Gemeinschaftsarbeit die Ausführung der Entwürfe übernehmen. Das gemeinsame Schaffen würde auf diese Weise neue Bedeutung erhalten, zudem könnten diese zeitaufwendigen Arbeiten in kürzerer Zeit entstehen.
Anfangs waren etwa 20 Künstlerinnen gewählt worden. Die enge Führung des leitenden Gremiums bewirkte, dass sich einige der Künstlerinnen zurückzogen. Zwölf von ihnen blieben dabei, darunter Ruth von Fischer. Sie war damals 53 Jahre alt, hatte als Zeichenlehrerin und Kursleiterin grosse Erfahrung im Umgang mit Menschen erworben. Sie arbeitete gerne mit Stoffen und hatte Wandbehängen in Linoldruck bereits Erfolge errungen. Nun benutzte sie die Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit Kollegen und Kritikern, betrachtete den Dialog als Bereicherung. Der Auftrag bedeutete für sie eine neue Aufgabe, eine echte Herausforderung.
Ruth von Fischer erfüllte also die von der Expo Leitung gewünschten Voraussetzungen und löste denn auch die Aufgabe zur Befriedigung der Beteiligten. Diese Arbeit begeisterte sie selber so sehr, dass sie sich in der Folgezeit auf diesem Gebiete weiter betätigte und ihre eigene Applikationstechnik entwickelte.

Die Technik: Auf eine recht feine Leinenunterlage wurden verschiedenfarbige Wollstoffe applizierte. Eine Handweberin, das war Regula Hahn aus Auslikon im Kanton Zürich, webte diese Stoffe nach genauen Farbvorschriften. Daraus schnitt man später die gewünschten Formen aus und legte diese auf die Leinenunterlage.
Schon der Entwurf zeigte einen gitterartigen und ähnlich einer Collage, aufgelösten Hintergrund, aus Farbflecken und Formen. Die zum Teil kleinen, verschieden farbigen Stoffstücke wurden nun aneinandergelegt und mit einfachen Stichen befestigt. Damit die Stoffe gut auf der Unterlage hielten, und um die einzelnen Formen auch optisch zu verbinden, kamen später weitere Stichlagen hinzu. Das Stickgarn war heller oder dunkler oder auch gleichfarbig wie der handgewebte Wollstoff. So entstanden gleitende oder harte Uebergänge. Das Aufnähen von verschiedenen Wollschnüren und Kordeln gab den Formen kräftige Zeichnung und besondere Akzente. Durch diese linearen Strukturen wirken die Teppiche einerseits sehr gut von Nahem, sie kommen aber auch aus grosser Entfernung zur Geltung. Das ist besonders wichtig, bei den grossen Behängen, die zum Schmucke von Räumen beträchtlicher Ausmasse dienten.

Das Neue Jerusalem
Ruth von Fischer hatte ihre Technik an mehreren Wandbehängen immer weiter entwickelt, und zwölf Jahre nach ihrem ersten Auftrag für die Expo durfte sie diesen Wandteppich hier in Muri ausführen.
Alle Gegebenheiten um diesen Teppich sind in einer Art Tagebuch, in einem Ringordner, festgehalten. Diese Unterlagen wurden vor etwa 10 Jahren im Frauen Archiv, in der Gosteli Stiftung in Worblaufen bei Bern deponiert. Sie sind dort für jedermann einsichtbar.
Ich bin in das Archiv gefahren und habe mir einige Daten herausgesucht, die ich hier zur Erinnerung nennen möchte. Dies, obwohl sie ja selber viel besser wissen, was damals geschehen ist, gehören diese Daten zur Teppichgeschichte, ebenso wie unser heutiger Anlass.

Die Vorgeschichte zu diesem Teppich begann bereits am 24. August 1973. Damals organisierte Frau Ursula Hubacher-Lüscher einen Car-Ausflug für die Frauen der Kirchgemeinde. In Andelfingen und in Rüschlikon wollte man zwei in Gemeinschaftsarbeit geschaffene Wandteppiche von Ruth von Fischer anschauen. Frau Hubacher hatte die Idee, dass eine solche Gemeinschaftsarbeit auch für die Gemeinde Muri eine gute Sache wäre. Besonders am Herzen lag ihr auch, dass ein zukünftiger Teppich ein Motiv aus der Bibel zeigen solle.
Die Frauen gefiel der Ausflug, sie liessen sich begeistern von einer Gemeischaftsarbeit. Jedoch vergingen noch zwei Jahre bis Ruth von Fischer am 30. Juni 1975 den Auftrag von der Kirchgemeinde erhielt, Entwürfe auszuarbeiten und einen Kostenvoranschlag aufzustellen.
Schon am 1. Juli fuhr die Künstlerin nach Muri um wichtige Fragen abzuklären. In dem für den Teppich bestimmten Raum liess sie Licht und Farben im Tagesablauf auf sich wirken. Auch Gespräche fanden hier statt mit dem Pfarrer Ehepaar Hubacher und mit dem Denkmalpfleger Hermann von Fischer.
Manchmal war bei Teppichen das Thema vorgegeben. Hier in Muri wünschten die Frauen für ihre Gemeinschaftsarbeit, dass Wasser vorkommen sollte. Manche wohnten am Wasser, die Aare ist für sie wichtig. Dementsprechend wurden Ruth von Fischer verschiedenen Bibelstellen vorgelegt, daraus wählte sie „das Neue Jerusalem“ als Bildthema.
Schliesslich sollte auch die Grösse des Teppichs bestimmt werden. Ein an die Wand befestigtes Muster aus Packpapier half eine Vorstellung zu vermitteln, die Grösse von 190cm x 380 cm schien ideal zu sein.

In der Folge entstanden zu diesem gewählten Thema im Sommer 1975 verschiedene kleinere Skizzen in Oelkreide, in Aquarell und als Collage. Die Kirchgemeinde war davon beeindruckt und bewilligte den am 17. September 1975 vorgelegten Kostenvoranschlag. Im Quadratmeterpreis von Fr. 3000 waren alle Honorare für den Entwurf, für die künstlerische Leitung, wie für alle Materialien und Spesen eingerechnet.

Zuerst waren einige Vorarbeiten nötig:
- Im Atelier der Künstlerin an der Kirchgasse in Zürich entstanden einzelne Figuren als Probestücke. Auf speziellen Weichpavatex Wänden steckte sie die bearbeiteten Teile mit Stecknadeln auf und probierte hier Einzelheiten aus.
- Dann galt es, die Skizze in eine Werkzeichnungen umzusetzen, und zwar in der endgültigen Grösse. Für den grossen Teppich war viel Platz zum Arbeiten nötig, deshalb musste er in verschiedene Teilstücke geteilt werden.. Am Schluss fügten die geschickten Näherinnen die 4 Teile möglichst unsichtbar zusammen.
- zurück zur Zeichnung, sie wurde jetzt auf den leinenen Grundstoff übertragen.
- Es folgte die Berechnung der Wollstoffe. Auf Grund der Farbskizzen webte die Handweberin die Stoffe.
- Aus den fertigen Stoffen konnte man die benötigten Formen ausschneiden und auf das Leinen und die vorgezeichneten Formen heften.

Am 2. November 1976 waren die Vorarbeiten abgeschlossen und die eigentliche Gemeinschaftsarbeit konnte anfangen. Die 63 angemeldeten Frauen hatten im Herbst eine Einführung zur Thematik erhalten.
Wie bereits erwähnt, hatte man 2 Gruppen gebildet, die wechselweise alle 14 Tage zum Einsatz gelangten. Die Künstlerin selber betreute jede Woche die eine oder andere Gruppen an einem Nachmittag von 14 – 18 Uhr.
Zum ersten Arbeitsnachmittag hatten sich 27 Frauen eingefunden. Es ist im Archiv noch das blaugelb gestreifte Heft vorhanden, in welches die Mitarbeiterinnen jeweils ihre Anwesenheit eintrugen.
Für die in Zürich lebende Künstlerin begann die Arbeit mit dem folgenden Erlebnis, das sie in ihrem Arbeitstagebuch notiert hatte:
An diesem Vormittag hatte ich ein Taxi bestellt, um mit den 2 grossen, mit Material gefüllten Koffern zum Bahnhof zu fahren. Leider kam dieses Taxi nicht und so schleppte ich die Koffer zum Taxiplatz am Pfauen. Auch dort stand kein Taxi. Glücklicherweise sah eine nette Dame meine Not und sie brachte mich und die Koffer zum Bahnhof. In Bern werde ich von Frau Pfarrer Hubacher abgeholt.

Am Ende der Arbeit schreibt Frau Pfarrer Hubacher in einem Bericht: „die Frauen haben eine gute, frohe Zeit erlebt. Das gemeinsame Arbeiten verbindet; es schafft Kontakte zwischen jungen und alten, scheuen und beherzten, offenen und verschlossenen Frauen. Alle sind von der Arbeit so angetan und angeregt, dass wir hoffen, wir könnten noch lange am Werke sein. Und alle, die daran gearbeitet haben erinnern sich an die Zeit des beglückenden und bereichernden Schaffens".

Eingeweiht wurde „das Neue Jerusalem“ am Sonntag 22. Januar 1978. Nach dem Gottesdienst konnte man ihn im Kirchgemeindehaus besichtigen, Ruth von Fischer gab dazu eine Einführung.

Heute, 23. März 2010 sind wir hier zusammengekommen, um uns an die Teppichgeschichte zu erinnern, denn er wird nun von dieser Wand, für die er bestimmt war, weggenommen.

Unter der Leitung von Ruth von Fischer sind ca. 30 Teppiche entstanden. Eine Darstellung mit David und Saul für die Neue Mädchenschule in Bern fand einen neuen Ort in der Kirche in Ferenbalm. Der Apostelteppich, der 40 Jahre lang in der Predigerkirche in Zürich hing konnte im nahen Altersheim Bürgerasyl in einem Verbindungsgang neu aufgehängt werden. Den Wandteppich in der Kirche Andelfingen nahm man anlässlich einer Kircherenovation von der Wand, reinigte ihn und brachte ihn an der alten Stelle wieder an.
Ich denke, dass jede Generation das Recht hat, ihre Umgebung so zu gestalten, wie es für sie gut ist und stimmt. Was uns dabei beeindruckt ist die Kurzlebigkeit unserer Epoche und die Tatsache, dass unsere Werke uns nicht immer überdauern. Wir hoffen, dass sich auch für das „Neue Jerusalem“, für dieses Gemeischaftswerk von 63 Frauen, ein neuer Ort finden lässt.

                                                                                                          Anne Wanner-JeanRichard, Dr.phil
                                                                                                          Rheinfelden, 23. März 2010
   
 
 

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