ANNE WANNER'S Textiles in History   /  biographies

 
Marie Schuette (1878-1975)

Article by Dr. Ruth Groenwoldt, Stuttgart, Germany
in: Kunstchronik, Oktober 1976, p. 356, by Ruth Groenwoldt

Schuette was born 1878 in Sidney/Australia, returned with her family to Germany and grew up in Leipzig. She died 30 of December 1975 at Ueberlingen/ Bodensee. She belonged to the first women in Germany who took a degree in art history, submitting her thesis "Der Schwaebische Schnitzaltar".for her Ph.D.degree in 1903. 1907 she started her professional career at Weimar, and worked from 1910 until 1943 at the Kunst-gewerbemuseum in Leipzig. Here textiles became her special field of research. In the end of world war second she moved to Switzerland (Sonvico near Lugano), where she lived many years without a fixed income until her retired pay could be claimed. From here she had contacts with collegues, and she worked at the textile collections in Basle, Zuerich and St.Gallen.

Publications: 1912, 1913, 1963 "Old Lace" (Klinkhardt und Biermann in Leipzig); 1929 "Lace from Renaissance to Empire", collection of Helene Vieweg-Brockhaus; 1948 "Old Lace" in Ciba Rundschau Basel; 1927, 1930 "Embroidered Tapestries and Hangings of the middle ages" (Hiersemann in Leipzig), 1963 together with Sigrid Mueller-Christensen, "Embroideries" (Wasmuth, Tuebingen). Some other more popular books are: 1935 "Persian tapestries"; 1938 "German tapestries", 1942 "The Grassi picture book", 1950 "Catalogue of the textile collection of fabrics" of Textilfachschule Zuerich; 1956 "Tablet weavings" in Ciba Rundschau 117, 1956 Basle.

Am 30. Dezember des vergangenen Jahres verstarb Marie Schuette mit 98 Jahren in Ueberlingen am Bodensee. Durch ihr hohes Alter wurde sie fuer viele Generationen von Kunsthistorikerinnen zum Nestor des Faches, gehoert sie doch zu den ersten Frauen Deutschlands, die in Kunstgeschichte promoviert haben. 1903 legte sie bei Heinrich Woelfflin in Berlin ihr Abschlussexamen ab mit der Dissertation "Der Schwaebische Schnitzaltar". Diese 1907 bei Heitz in Strassburg erschienene Arbeit bietet immer noch eine wichtige Materialsammlung, ueber deren schwierige Entstehung man sich heute kaum mehr einen Begriff machen kann. Mit Fotoapparat, 13 x 18- Glasplatten und Stativ auf dem Ruecken wurde das Material, wie sie haeufig erzaehlte, buchstaeblich "erwandert". Selbst wenn sie hin und wieder von freundlichen Landaerzten mitgenommen wurde, so waren die Pfarrer am Beginn des Jahrhunderts zumeist hoechst konsterniert, wenn die Pionierin der Wissenschaft fuer die Aufnahmen auf den Altaeren herumklettern musste.

Nach einem Studienaufenthalt 1903/4 in Rom ging Marie Schuette fuer kurze Zeit als Assistentin zu Paul Clemen nach Bonn und ab 1905 zu Otto von Falke an das Kunstgewerbemuseum in Koeln, das fuer sie zum Ort der ersten Begegnung mit dem Kunstgewerbe werden sollte. Durch die Katalogisierung der damals gerade uebernommenen Sammlung Schnuetgen unter Falkes direkter Anleitung erhielt ihre Museumsarbeit die beste Basis. 1905/6 trat sie als "aktive Volontaerin" bei den Berliner Museen ein und arbeitete im Kupferstich-Kabinett und in der Skulpturen-Sammlung. Wilhelm Voege nahm dorrt ihre Hilfe bei der Ausarbeitung des Skulpturen-Sammlung in Anspruch.

Ihre berufliche Laufbahn begann 1907 mit einer dreijaehrigen Taetigkeit als Direktorial-Assistentin an den Grossherzoglichen Museen und dem Goethe-National-Museum in Weimar, fuer das sie 1911 den "Fuehrer durch das National-Museum in Weimar" im Insel-Verlag publizierte und auch in spaeteren Jahren noch Beitraege (1940 und 1944) in den Schriften der Goethe-Gesellschaft lieferte.

1910 nahm sie ihre Arbeit am Kunstgewerbe-Museum in Leipzig auf, an dem sie bis 1943 als Kustodin und Direktorial-Assistentin arbeitete. In dieser Zeit kam ihre grosse Begabung zur vollen Entfaltung. Mit ihrer Faehigkeit, auf breiter Basis Fachkenntnisse zu erwerben und trotzdem die Kunstgeschichte als Ganzes zu beherrschen, kann man sie zu den fuehrenden Kunsthistorikern ihrer Zeit wie Otto von Falke und Paul Clemen zaehlen. In die Leipziger Zeit faellt auch die Hinwendung zur Textilkunde. Zu Beginn des Jahrhunderts hatten Julius Lessing und Otto von Falke die Weberei fuer die Kunstgeschichte erschlossen. Marie Schuette war es vorbehalten, die Spitzen- und Stickerei-Kunde zum selbstaendigen Arbeits- und Forschungsgebiet zu machen.

Im Anschluss an eine von ihr 1911 konzipierte und organisierte Spitzen-Ausstellung erschien 1912 das Werk "Alte Spitzen" bei Klinkhardt und Biermann in Leipzig. Fuer die Textilkunde lag endlich eine systematische Bearbeitung dieses schwierigen Arbeitsgebietes vor. Nur wenige Publikationen auf dem Gebiet der Kunstgeschichte, insbesondere noch des Kunsthandwerkes, sind vom Publikum so positiv aufgenommen worden wie die Alten Spitzen, die von 1913 bis 1963 in vier Auflagen als Handbuch neu verlegt wurden. Mit der grossen Publikation "Spitzen von der Renaissance bis zum Empire der Sammlung Helene Vieweg-Brockhaus" (Hiersemann, Leipzig) fand diese Arbeit ueber Spitzen 1929 ihre Fortsetzung. Das 1948 erschienene Heft "Alte Spitzen", Ciba-Rundschau Basel, war noch einmal ein Rueckblick auf das geliebte Arbeitsgebiet.

Ohne Frage hatte die Atmosphaere der Verlegerstadt Leipzig Buchproduktionen dieses Umfangs gefoerdert und die praechtige Ausfuehrung in Lichtdruck-Tafeln ermoeglicht. Nicht zuletzt erkannte Richard Graul, der Direktor des Leipziger Kunstgewerbe-Museums, den Wert der wissenschaftlichen Arbeiten seiner engsten Mitarbeiterin und bestaerkte und foerderte diese Bestrebungen. Marie Schuette hat diese Ermutigung immer dankbar anerkannt und erinnerte haeufig daran, wie sie nach langen Jahren der Routinearbeit von Graul mit der Aufforderung "jetzt muss Schuette mal wieder ein Buch schreiben" nach Niedersachsen entlassen wurde.

Die 1927 und 1930 bei Hiersemann in Leipzig erschienenen beiden Baende "Gestickte Bildteppiche und Decken des Mittelalters" sollten auf der Basis der reichen Bestaende der Niedersaechsischen Kloester und Museen zum Standardwerk der Stickereikunst werden. Durch eine ganzheitliche Erfassung der Objekte, ausgehend von der Analyse der Technik, der thematischen Interpretation und der stilistischen Einordnung legte dieses Werk die methodische Grundlage fuer die wissenschaftliche Bearbeitung von Textilien. Die grossen, zum Teil farbigen Abbildungen sind auch heute noch unuebertroffen. Aehnlich wie Betty Kurths "Die Deutschen Bildteppiche des Mittelalters" der zwanziger Jahre zaehlt Marie Schuettes Arbeit heute noch zu den international gueltigen Standardwerken des Faches. Zusammen mit Sigrid Mueller-Christensen erarbeitete Marie Schuette 1963 noch einmal das gesamte Gebiet der Stickerei in einem Sammelband "Das Stickereiwerk" (Wasmuth, Tuebingen).

Weitere Publikationen mehr populaer-wissenschaftlicher Art erschienen in den 30er Jahren: "Perserteppiche" 1935, "Deutsche Wandteppiche" 1938, gefolgt von einer Publikation ueber das Leipziger Museum "Das Grassi-Biulderbuch des Jahres 1942". 1950 kam der handliche Katalog "Gewebesammlung der Textilfachschule Zuerich" heraus, 1956 "Brettchenweberei" Ciba-Rundschau Nr. 117 Basel.

Ihr Engagement auf dem Gebiet des zeitgenoessischen Kunsthandwerkes war nicht weniger intensiv. Seit 1920 arrangierte Marie Schuette zusammen mit Richard Graul und Heinrich Wichmann zweimal im Jahr parallel zur Leipziger Messe im Grassi Museum eine jurierte Kunstgewerbe-Messe mit Arbeiten zeitgenoessischer Kunsthandwerker, die von grossem Einfluss auf das Kunsthandwerk werden sollte. Marie Schuettes unbestechliches, sicheres Urteil verdammte oder foerderte manchen Kunsthandwerker. Zum Dank fuer diese bahnbrechende Arbeit blieben ihr viele Kunsthandwerker fuer immer freundschaftlich verbunden.

Hinter diesem umfassenden Lebenswerk stand eine Persoenlichkeit von hoher Intelligenz und unerschoepflicher Arbeitskraft. Wie Marie Schuette selbst immer wieder betonte, war ihre Basis eine weltoffene, grosszuegige Familientradition. Der frueh verwitweten Mutter, die auf einer beruflichen Taetigkeit der Tochter bestand, war sie ihr Leben lang verbunden.

1878 in Sydney/Australien geboren, kam Marie Schuette mit der grossen Familie noch als Kind nach Deutschland zurueck und wuchs in Leipzig auf. Sowohl das weltoffene englische Kolonialreich wie die an Textilschaetzen so reiche niedersaechsische Heimat ihrer Eltern praegten ihre Persoenlichkeit und letzten Endes auch ihre Interessenrichtung. Die aufrichtige, unerschrockene Frau erkannte die Moeglichkeiten innerhalb ihres Faches und wusste mit Entschlossenheit und Energie ihre Belange durchzusetzen bis hin zu dem Entschluss, am Ende des zweiten Krieges in die Schweiz umzusiedeln, wo sie jahrelang ohne feste Einkuenfte lebte, bis Theodor Heuss ihre Pensionsansprueche in Deutschland durchsetzen konnte. In Sonvico bei Lugano fand sie schliesslich eine dritte Heimat. Von dort aus unterhielt sie regen Kontakt mit Fachkollegen und unterstuetzte alle Bestrebungen, vor allem im Rahmen der Textilkunde. Mit Rat und Tat stand sie hinter den Nachwuchskraeften, hatten ihre langen Erfahrungen im Museumswesen und in der Wissenschaft sie doch gelehrt, dass nur unermuedliche Arbeit, umfassende und exakte Fachkenntnisse bei entsprechender Intelligenz auch heute noch die Basis der Museumsarbeit bilden. Sie war sich der entscheidenden Unterstuetzung durch ihre Lehrer und ihren Direktor bewusst und war immer bereit, in gleicher Weise hinter der juengeren Generation zu stehen.

 


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