ANNE WANNER'S Textiles in History / books

       
  About this book:
This work deals with 48 late medieval Klosterstich tapestries (self couching) from the Low German language area, all created in convents. For the nuns, the Klosterstitch works were models of piety as well as traces of the numinous. This work group provides authentic insights into how daily life in a nunnery depended on the unterstanding of art and education and into the implementation of reform efforts.

The research of Tanja Kohwagner was granted the "Werner-Hauger-Award" 2006.

"per manus sororum ...", Niedersächsische Bilstickereien im Klosterstich (1300-1583), by Kohwagner-Nikolai, Tanja, Munich 2006, in german language, 438 pages, many black and white fotografs, 21cm by 29,7 cm, ISBN: 9783899750829 www.m-verlag.net

 
   


 


Jagdteppich I, 188cm x 278 cm
Kloster Wienhausen, um 1425, Kat.Nr. 7







Medaillonteppich, ca. 200cm x 150 cm
heute in Eisenach, Wartburgstiftung, 1.Hä.14. Jh., Kat.Nr. 30

 
 

Aus Niedersachsen, aus der Region des Nordharzes und der Lüneburger Heide haben sich in Frauenklöstern 48 Teppiche aus der Zeit zwischen Anfang des 14. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts erhalten.
Die meisten Teppiche stammen aus dem Kloster Wienhausen und viele von ihnen blieben bis heute hier. In Kloster Lüne entstand eine weitere Gruppe von Wandteppichen, auch diese werden weiterhin am Entstehungsort gehütet, dasselbe gilt für die Behänge in Kloster Ebstorf. Einige Teppiche befinden sich in Museen von Braunschweig, Hannover, Halberstadt und Helmstedt, einzelne Beispiele können in Berlin, in Eisenach, in Stift Fischbeck, in Wernigerode, oder in Schloss Wolfenbüttel besichtigt werden. Zwei Behänge aus Heinigen gelangten ins Victoria and Albert Museum in London, bzw. in der Moravska Galerie in Brno, währenddem der in Wienhausen entstandene Osterteppich heute im Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg, aufbewahrt wird.
Während der Reformation ging das Wissen um die Herstellung, um die Inhalte, wie um Verwendung und Funktion der mittelalterlichen Behänge verloren. Mit der erstmaligen Untersuchung des gesamten Bestandes versucht Tanja Kohwagner in ihrer vorliegenden Dissertation auch diesen Fragen näher zu kommen.


Zu den Behängen gibt es unter anderen die Publikationen von Marie Schütte von 1927 und 1930. Mit ihrer Arbeit fügt Tanja Kohwagner den damals behandelten 28 Wandteppichen 20 weitere Objekte hinzu. Ihre Quellenrecherchen in Museen und in Klosterinventaren, das Studium der mittelalterlichen Einnahmen- und Ausgabenbücher und auch Zufallsfunde führten zu diesem Ergebnis. Die 48 Teppich-Monographien sind im Katalogteil in der Reihenfolge ihres heutigen Aufbewahrungsortes und annähernd chronologisch zusammengestellt.

Mit vielen Verweisen auch auf verwandte Wissensgebiete werden die bisherigen Studien kritisch beleuchtet und neue Ansichten begründet. Neben den erwähnten Quellenrecherchen sind dabei heraldische Untersuchungen, wie auch die neuerlichen Uebersetzungen der Inschriften durch die Autorin wichtige Hilfsmittel. Die Bedeutung jeder einzelnen Szene ist tabellarisch und stichwortartig vermerkt. Alle Teppiche sind zu Beginn der Besprechungen im Katalog in ihrer ganzen Grösse, in schwarz/weiss, fotografisch abgebildet. Besonders weist Kohwagner darauf hin, dass für einen Teil der Stickereien die fotografische Bestandessicherung fehlt, ein Projekt, das dringend in Angriff genommen werden sollte.


sog. "Tristanteppich I," 232cm x 402cm, Kloster Wienhausen um 1330; Kat.Nr. 3

 


Prophetenteppich, ca. 240cm x 250cm
Kloster Wienhausen, um 1300, Kat.Nr. 1



Rechte Hälfte des Fürstenpaarelakens, Gesamtmasse: 80cm x 323cm
Hannover, um 1300, Kat.Nr. 26

 



Fragment mit Wappen, 22,5 x 121 cm
heute Berlin, privat, um 1300, Kat.Nr. 14






Wappenlaken, 63,5cm x 36cm
Hannover, Ende 14. Jahrh., Kat.Nr. 27


  Im Textteil wird das Thema vorgestellt und Forschungsstand wie Zielsetzung der Untersuchung dargelegt. Ein Ueberblick über mittelalterliche Bildstickereien in Europa und ein Vergleich mit Wirk- und Knüpfteppichen folgt. Ein Kapitel ist der speziellen Technik des Klosterstichs gewidmet.

31 der erhaltenen 48 Objekte besitzen Inschriften, sie rahmen Bildfelder, sind in Spruchbändern angeordnet oder trennen Register. Die Majuskelschrift ist auch auf grössere Entfernung lesbar. Die farbigen oder schwarzbraunen Buchstaben heben sich deutlich vom naturweissen Untergrund ab.
Bei einigen Teppichen fallen Besonderheiten auf, wie z.B. das "A" mit ausgeprägtem Deckbalken beim Tristan-, Gawan- und Salomoteppich.

Einer der ältesten Teppiche – der Prophetenteppich weist der "Vulgata" entnommene lateinische Inschriften auf. Bei den Moseslaken aus Kloster Ebstorf erscheinen solche Texte in direkte Rede umgesetzt.
Religiöse und liturgische Behänge zeigen ebenfalls lateinische Inschriften, während bei weltlicher Thematik eine Mischung zwischen Niederdeutsch und Lateinisch zu finden ist. Im 14. und 15. Jh. erscheint unabhängig vom Inhalt Mittelniederdeutsch. Im Zuge der Klosterreform wurde wieder vermehrt Latein verwendet.

Oftmals sind wichtige Klosterdaten notiert, oder der Name der Priorin, auch Namenskürzel der Stickerinnen, kommen vor. Beim Osterteppich, beim Philosophie- und Tugendteppich wird der Text zum Uebermittler des dargestellten Inhaltes. Diese beiden Behänge entstanden nach der Kosterreform und sie weisen auf eine alltägliche Verwendung von Schrift- und Sprache.



Detail aus Bartholomäuslaken, Dämonenaustreibung
Kloster Lüne, 1492, Kat.Nr. 37


 
Schriftdetail aus Gawanteppich
heute Braunschweig, um 1350/60, Kat.Nr. 18



Schriftdetail aus Salomoteppich
heute Braunschweig, um 1350/60, Kat.Nr. 17



Schriftdetail aus dem Sibyllenteppich,
London, Victoria and Albert Mus., 1517, Kat.Nr. 46



Schriftdetail aus dem Philosophen- und Tugendteppich,
London, Victoria and Albert Mus., 1516, Kat.Nr. 45





Detail, Namenskürzel am Auferstehungsteppich
Kloster Lüne, 1503-1507, Kat.Nr. 42


 
  Arbeitsvorgänge:
Die Klosterdokumente geben weder Hinweise auf den Erwerb von Leinwand noch finden sich Auslagen für Spinnen und Weben oder für die Herstellung des s-gedrehten farbigen Wollzwirnes. Jedoch sind zahlreiche Schenkungen von Schafen genannt, weshalb man vermuten kann, Arbeiten wie Spinnen und Färben seien von den Klosterfrauen selbst besorgt worden.

Der sog. Klosterstich ist der am häufigsten verwendete Stickstich. Zunächst wurden alle Formen mit wollenen, farbigen Spannfäden flächendeckend ausgefüllt, später dann die Konturlinien eingefügt. Die langen Spannstiche verlaufen von oben nach unten, sie werden jeweils von demselben Faden mit kleineren Ueberfangstichen festgehalten. Auf diese Weise bedeckten die Stickerinnen die Vorderseiten dicht mit dem farbigen Wollmaterial, auf den Gegenseite erscheinen lediglich kleine Stiche und der leinene Stickgrund ist dort sichtbar.
Spezialisierungen der Arbeiten sind nicht nachzuweisen, doch ist anzunehmen, dass sich mehreren Frauen gleichzeitig mit Sticken beschäftigten. Namen von einzelnen Stickerinnen finden sich erst nach der Klosterreform, erst zu jener Zeit traten sie allmählich aus ihrer Anonymität. Eine Zusammenstellung der Namenskürzel aus Kloster Lüne mit bekannten Daten der entsprechenden Stickerinnen, ist im Textteil enthalten.


Detail mit Vorzeichnung aus Katharinen-Elisabethteppich, um 1450/60, Kat.Nr. 29
  Anhand schadhafter Stellen lässt sich beobachten, dass die Vorzeichnungen auf das rohe Leinengewebe angebracht wurden. Die Entwürfe zu diesen Umrisszeichnungen, auf Pergament oder Papier haben sich nicht erhalten. Bisher tauchten keine Nachrichten über Bezahlung externer Entwurfszeichner auf. Jedoch weisen die handwerklich-künstlerischen Fähigkeiten der Nonnen in anderen Bereichen darauf hin, dass jene zu solchen Zeichnungen fähig waren.

Konkrete Bildvorlagen zu den Stickereien fehlen. Bei sich wiederholenden Formen ist die Verwendung von Schablonen denkbar, auch lassen sich in Nebenszenen oder in Füllmotiven Spuren der seit der 2. Hälfte des 15. Jhs aufkommenden Druckgraphik erkennen.
Als Inspiration zu den Szenen können Kunstwerke aus der Bildwelt der jeweiligen Klöster gedient haben, z.B. Reliefs auf Schlussteinen in Koster Ebstorf oder Buchmalereien. In Fällen, in denen die Ikonographie keine Vorlagen lieferte, waren sicherlich eigene Bilder gefordert. Die Themenvielfalt weist auf ein umfangreiches Wissen und auf ein hohes Bildungsniveau der Klosterfrauen.

Die Tätigkeit des Stickens liess sich gut in den Klosteralltag einbinden, konnte sie doch jederzeit unterbrochen werden. Während der Arbeit setzten sich die Stickerinnen intensiv mit den Glaubensinhalten der Behänge auseinander, das Sticken selber erwies sich als Instrument religiösen Unterrichts.

Informationen über die Auftraggeber und über die Anlässe zur Herstellung liegen nur in seltenen Fällen vor. Auf den Teppichen aufgestickte Wappen lassen verwandtschaftliche Beziehungen zu den entsprechenden Familien vermuten. Die ausgesprochenen Gründungsteppiche sind vielleicht von den jeweiligen Konventen in Auftrag gegeben worden. Die Lüneburger Wollstickereien stehen möglicherweise in Zusammenhang mit der Klosterreform von 1481.
Die Autorin weist nach, dass den Behängen neben ihrer Dekorationsaufgabe eine solche in der mittelalterlichen Liturgie zukam und dass sie Teil der Kirchenausstattung bildeten.

     
 
Fuchs und Storch, Ebstorfer Medaillonlaken
1. Hälfte 14. Jh., Kloster Ebstorf, Kat.Nr. 22


 
Fuchs und Storch,
Schlussstein im Westflügel des Ebstorfer Kreuzgangs



 
  Nachrichten über Stickwerkstätten in Klöstern fehlen, aber gerne würde man vermuten, es habe ähnlich wie Schreib oder Malschulen auch Schulen textiler Kunst gegeben. Dies könnte besonders für Kloster Wienhausen zutreffen, denn hier lässt sich die Produktion von Stickereien während 150 Jahren nachweisen. In verschiedenen Klöstern kommen denn auch unterschiedliche Merkmale vor.

Merkmale der Wienhauser Behänge der drei ersten Vierteln des 14. Jhs sind dunkelblaue Hintergründe ohne Bodenzone, eine allseitige Bordüre und ausführliche Wappenfriese. Die Register sind durch Schriftbänder gegliedert. Gegen das Ende des Jahrhunderts lösen sich diese Gesetzmässigkeiten auf. Nun ist die Hauptfarbe rot, eine grüne Bodenzone kann vorkommen, manche Teppiche verzichten auf Inschriften. Bei anderen Behänge, wie beim Anna- und Elisabethenteppich sind die Hintergründe grün, und anstelle der rahmenden Bordüren kommen sich windende und rankende Trennungsbäume vor.

Die Lüner Werkstatt fällt durch eine spezielle Gestaltung der Gesichtszüge auf: die Nasenlinie geht in eine der beiden bogenförmigen Augenbrauen über, auf den Wangen erscheinen 2 kleine Kreise.

Die Heinigner Werkstatt zeichnet sich durch unüberschaubare Textbeigaben und durch detailreich gemustere Gewandstoffe aus. Arkaden sind radial um ein zentrales Mittelmedaillion herum angeordnet. Eine Rankenbordüre läuft rundum.
  Ueber die Verwendung der Teppiche und deren besondere Funktion im Raum macht die Autorin eingehende Studien. Zunächst scheint klar, dass sich die Technik des Klosterstichs weder als begehbarer Bodenbelag noch als Sitzauflage eignet, und dass die Teppiche zum Aufhängen bestimmt waren. Grössere Behänge sind mit romanischen und gotischen Wandmalereien vergleichbar, sie ersetzten möglicherweise Wandmalereien. Textile Behänge betonten den kirchenjahreszeitlichen Wandel besser als Wandmalereien, da man sie abnehmen und platzsparend zusammenrollen konnte. Allerdings schädigte diese Handhabung die Textilien auf Dauer und es ist von grossen Verlusten auszugehen.

Wie bei den Malereien, so kommen bei vielen textilen Behängen in mehreren Bildstreifen übereinander angeordnete Zyklen vor. Vielszenige, durch Register gegliederte Beispiele standen wohl am Anfang der Entwicklung und einszenige Typen entwickelten sich erst später. Die Stickereien verzierten wahrscheinlich die Wände des Nonnenchores, des Kreuzganges oder Gemeinschaftsräume. Denkbar ist auch eine Verwendung als Trennwand, beispielsweise als Abschirmung des Gebetsortes der Nonnen von übrigen Anwesenden.

15 Behänge zeichnen sich durch geringe Höhen von 65cm bis 80cm aus, sie waren mit Ringen oder Schlaufen an Nägeln aufgehängt. Entgegen bisherigen Meinungen glaubt Kohwagner nicht, dass diese Behänge als isolierender Rückenschutz dienten, sind doch nirgends Benutzungsspuren oder Fettstreifen festzustellen. Baubefunde in Wienhausen und Ebstorf weisen vielmehr darauf hin, dass sie an der Wand des Chores unterhalb der Fensterzone angebracht waren, und somit zur Ausstattung des Chores gehörten.
       
   
Anbringung von Wandteppichen zwischen der Fensterzone und dem Chorgestühl:
Beispiel aus St. Robert in la Chaise-Dieu, Belgien












Christuslaken im Stuhl des Propstes
Kloster Lüne, 1508, Kat.Nr. 43

 

     
  Die Teppiche können nach ihrem Darstellungsinhalt (ornamentale Bilder, Jagdteppiche, Heldenepen, Heiligendarstellungen, alttestamentarische Szenen, christologischer Inhalt) oder nach ihrer Verwendung (übliche Raumausstattung, Feste wie Heiligenfeste, kirchliche Hochfeste wie Weihnachten und Ostern) gegliedert werden. Die Funktion von Behänge mit komplexen theologischen Programmen bleibt jedoch schwer verständlich, ein umfangreicher Teil der Untersuchungen ist diesen Funktionen gewidmet.

Die erhaltenen Werke vermitteln in ihren Bildern Glaubensvorstellungen und mystisches Selbstverständnis. Zunächst setzte sich die Nonnen im Herstellungsprozess selber mit dem zu gestaltenden Inhalt auseinander. Durch das Austauschen von Gedanken und Erfahrungen mit den anderen Stickerinnen erwuchs die Arbeit zum religiösen Unterricht und konnte darüber hinaus auch spirituelle Bedeutung erlangen.

Einige Behänge mit Wappen und Initialen der Stickerinnen fordern auf zur Erinnerung: Memorialbilder nahmen in der mittelalterlichen Gesellschaft eine zentrale Stellung ein. Nicht nur sollte durch Erinnerung Tod und Vergessen überwunden werden, die Memorialdienste bedeuteten auch Vervollkommnung des eigenen Lebens. Ein Beispiel dafür ist das Christuslaken (auch Banklaken für den Propst, Propst-Laken) aus Kloster Lüne. Dieses Geschenk der Nonnen an ihren Propst Johannes Lorbeer sollte an dessen Taten erinnern. Ebenfalls der Erinnerung dienten die Teppiche mit Gründungsgeschichten.

Der Philosophie- und Tugendteppich, 1516 in Kloster Heinignen hergestellt, wird heute in London (Victoria and Albert Museum) aufbewahrt. Im Zentrum, auf einem Thronsessel sitzend, ist die Personifikation der Philosophie abgebildet, kreisförmig um sie herum angeordnet erscheinen Allegorien der sieben Gaben des Heiligen Geistes, in den Zwickeln thronen antike Dichter und Philosophen. Einige Teppichinschriften nehmen Bezug auf die Klosterreform und auf bauliche Veränderungen. Diese Texte, die sich auf erneute Nutzung des Gutes Altenrode als Ergebnis eines juristischen Streites beziehen, geben dem Behang zusätzlich den Charakter eines juristischen Dokumentes.

  Durch die Vermittlung von Inhalten erfüllen die Behänge didaktische Funktionen.
Mit ihren Bildern zur Heilsgeschichte, zu Heilgenviten, zur Klostergeschichte dienten sie der Unterrichtung, und leiteten zu frommen Uebungen, zu Gebeten an. Jagddarstellungen stehen für das Streben des gläubigen Christen nach Gotteserkenntnis. Profane Bildthemen mit Helden (Tristan, Gawan usw.) sollen den Betrachter für die Prüfungen des eigenen Lebensweges stärken. Durch Identifizierung mit vorbildlichen Frauengestalten bereiteten sich Mädchen auf ihr geistliches Leben vor.

Der Heilspiegelteppich zeigt die Illustrationen des mittelalterlichen Andachtsbuches „Speculum humanae salvationis“. Dieses Andachtsbuch wurde auch in andere Kunstgattungen umgesetzt, z.B. in die Glasfenstern von 1420 im Kreuzgang von Kloster Ebstorf, oder in Malereien der ersten Hälfte des 14. Jhs im Königsberger Dom.
Möglicherweise diente eine Handschrift aus dem frühen 15. Jh. als genaue Vorlage zu den Teppichbildern. Entsprechende Buchillustrationen könnten sich im Besitz des Klosters Wienhausen befunden haben, eine konkrete Bildvorlage blieb jedoch nicht erhalten.
Der Teppich als solcher wirkt wie eine Vergrösserung des mittelalterlichen Andachtsbuches. Diese grossformatige Schautafel konnte von mehreren Leuten betrachtet werden, währenddem jemand vorlas oder frei redend Bezüge herstellte. Denn ohne erklärenden Text oder mündliche Auslegung ist die Interpretation des Teppichs nur schwer möglich.

Die Teppiche und Banklaken aus Kloster Lüne sind aufeinander abgestimmt und wurden mit Bezug auf die Lüner Klosterreform von 1481 gestickt. Quellen belegen, dass die Nonne Margarete Rosenhagen den theologisch-liturgisch aufgebauten Osterteppich entwarf, nachdem Priorin Sophia von Bodendike diesen noch vor ihrem Tod am 2. Februar 1504 in Auftrag gegeben hatte.
Ein unter Einfluss von Meister Bertram um 1410 entstandener Altar kann als Vorbild für die zentrale Darstellung gedient haben. Dieser Altar wurde 1654 aus dem Kloster Lüne nach Gudow bei Mölln geschenkt, wo er heute fragmentarisch erhalten ist.


Linke obere Ecke mit Dichter Ovid, Detail aus Philosophie- und Tugendteppich, Gesamtgrösse 477cm x 420cm
London, 1516, Kat.Nr. 45

 


Detail aus Osterteppich, Gesamtgrölsse 475 x 420cm
heute in Hamburg, 1504-1508, Kat.Nr. 44

 


Detail aus Steterburger Gründungsteppich,
Gesamtgrösse ca. 150cm x 400cm
heute in Schloss Wolffenbüttel, 1560, Kat.Nr. 47

 


Linke obere Ecke mit Stiftern, Detail aus Sibyllenteppich
ganzer Teppich heute Brno, Moravska Galerie,
Gesamtgrösse 346cm x 447 cm
abgebildete Ecke heute in London, 1517, Kat.Nr. 46


  Als wichtiges Ergebnis ihrer Untersuchungen betont die Autorin zusammenfassend, dass das Bildungsniveau der Klosterfrauen über rudimentäre Lese- und Schreibfähigkeit hinausging. Es umfasste auch theologisches Wissen und höfisches Kulturgut. Das Sticken im Kloster diente zur Erhaltung und Wiedereinführung der Normierung der vita communis und war Teil des spirituellen Lebens. Ebenso konnte die differenzierte Anbringung verschiedener Teppiche im Nonnenchor oder innerhalb des Klosters nachgewiesen werden. Sie schmückten sie die Wand, verhüllten den Altarraum oder trennten den Nonnenchor ab.

So erfüllten die niederdeutschen Wollstickereien in Klosterstich vielfältige und vielschichtige Funktionen im monastischen Alltag. Die Programme der Behänge weisen auf liturgische Höhepunkte des Kirchenjahres und passten den Gebetsort der Nonnen der aktuellen Tagesliturgie an. Einblicke in das Kunst- und Bildungswesen im Kloster werden vermittelt und auch auf die Umsetzung von Reformbestrebungen gewiesen.

Diese sorgfältigeUntersuchung von Tanja Kohwagner, mit ihren interesssanten Interpretationen und mit der Veröffentlichung einer Fülle vielseitigen Materials, trägt dazu bei, eine Quelle von unschätzbarem Wert zugänglich zu machen.

 
  Über die Autorin:
Tanja Kohwagner-Nikolai studierte Kunstgeschichte, Historische Hilfswissenschaften, Frühchristliche und Byzantinische Kunstgeschichte sowie Klassischen Archäologie und Alte Kirchengeschichte an den Universitäten München, Augsburg und Erlangen-Nürnberg. Sie schloss ihr Studium 2005 mit der Promotion ab. Seit Dezember 2005 ist sie Länderstipendiatin des Freistaats Bayern am Zentralinstitut für Kunstgeschichte.
   
     

home content Last revised 21 January, 2008