ANNE WANNER'S Textiles in History / books

 
   
  Die christlichen Motive des Blaudrucks, Spiegel der Volksfrömmigkeit in Deutschland, vom Ende des 17. Jahrhunderts bis heute, von Angelika Überrück, Berlin 2008, catalogue of 601 reserve dyed textiles, list of addresses of reserve dyers in Germany, 460 pages, 309 black and white and 8 colour fotos, in german language, LIT Verlag Dr.W.Hopf Berlin 2008, http://lit-verlag.de - e-mail: lit@lit-verlag.de
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  The thesis examines the motives of reserve dyed, blue fabrics. This handicraft today still exists but is an endangered species. In Germany it can be found as early as 17th century. It was an opportunity for a broad population to adorn everyday and inexpensive textiles with long lasting motives. From the beginning also religious motives were printed and these motives can still be found today. In her thesis the author is compiling the religious motives of the blue reserve dyes, she is researching its provenances and shows the relevance on people's piety.
 
   
       
   

       
  Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die Dissertation einer Theologin, welche die christlichen Motive in diesem besonderen Gebiet der Textilien untersuchte. Bisher wurde der christlichen Motivgeschichte in der Textilkunst nur selten Beachtung geschenkt. Die Autorin arbeitet sich hervorragend ins Gebiet der Textilien ein, ihre umfangreiche Feldforschung in Museen und Blaudruckereien ist beeindruckend, und mit ihren präzisen Beobachtungen erschliesst sie neues Quellenmaterial. Mit dieser Forschung wird ein einzigartiger Bestandskatalog von Blaudrucken mit christlichen Motiven erfasst und zudem Aspekte der Volksfrömmigkeit vom Ende des 17. bis 21. Jahrhunderts untersucht.
   
  In der Einleitung zeigt die Verfasserin den Zusammenhang zwischen Volkskunde und praktischer Theologie. Durch ihr Eingehen in die Volksfrömmigkeit will sie die kirchliche Praxis der Menschen besser verstehen. Volksfrömmigkeit bedeutet Ausdrucksform religiösen Lebens, die nicht unmittelbar aus Lehr- und Lebensverkündigung der Kirche hervorgegangen ist.
Bei den christlichen Blaudrucken interessieren neben den Handwerkern, welche die Motive druckten, auch die Käufer der christlichen Motive.

Grundlage der Arbeit ist die quantitative Bestandsaufnahme der Blaudrucke aus der Sammlung der Autorin, wie von Blaudrucken in Museumsbesitz. Ein an Institute und Museen gesandter Brief erreicht eine hohe Rücklaufquote, lediglich 19 % der Anfragen blieben ohne Antwort. Die Feldforschung beschränkt sich vor allem auf den Raum Deutschland, erwähnt sind auch einige Orte ausserhalb des deutschen Gebietes.

Listen der ermittelten Blaudrucke, wie Adressen von Blaudruckereien und von Museen, die Blaudrucke aufbewahren, sind im umfangreichen Anhang publiziert. Zusammen mit Abbildungen aus der Literatur konnte eine Fundübersicht von insgesamt 601 Exponaten zusammengestellt werden.

Die Autorin erarbeitete zwei Karten, welche die Verbreitung des Blaudrucks in Deutschland zeigen.
Zwar finden sich christliche Motive vorwiegend in Mitteldeutschland, doch lassen sich auf Grund der Verteilung keine konfessionellen Schwerpunkte ausmachen.
Die meisten alten Model fanden sich im Museum in Gotha, sie stammen aus der ehemaligen Druckerei der Stadt. Die Motive wurden immer wieder kopiert, auch an andere Druckereien weitergegeben und vielfach auch variiert. Man kann davon ausgehen, dass die Blaudrucker keine Eigenkompositionen schufen.

Hier möge zusätzlich die Frage nach den Zeichnern der Motive gestellt sein: da die alten Motive durch einfachen Abdruck oder durch Pausen kopiert und wieder neu geschnitten werden konnten, erübrigten sich wohl die Musterentwerfer für dieses Handwerk. Vielleicht war dies einer der Gründe für das über 300 Jahre lange Ueberleben der christlichen Motive?
  In einem 1. Hauptteil geht die Autorin den Grundlagen des Blaudrucks nach: sie erwähnt die Geschichte des Blaudrucks, Kontakte zum Osten, Unterschiede von Direktdruck und Reservedruck. Neben der Geschichte der blauen Farbe, spielen auch die Druckmodel oder Druckstöcke eine wichtige Rolle. Neben den christlichen Motiven des Blaudrucks in der Literatur, geht sie auch auf allgemeine Literatur aus dem Bereich von Volkskunde und Volkskunst ein.

Im 2. Hauptteil stellt die Autorin die Ergebnisse ihrer Feldforschung zusammen.
Sie befragte insgesamt 277 Museen in den Jahren 2001 und 2002 und fand 183 Museen in Deutschland, welche Blaudruckmotive und Model besitzen. In 46 Museen kommen Model mit christlichen Motiven vor.

Bei kleineren Museen sind die Archivbestände nicht immer bekannt, somit ist die Liste im Anhang vermutlich nicht vollständig.
Daneben konnten 85 Blaudruckereien ermittelt werden. Viele haben ihren Betrieb schon lange eingestellt, doch existieren heute noch 27 Blaudruckereien und 3 Formschnitzereien.

Blaudrucke fanden im häuslichen Bereich Verwendung. Häufig kommen die folgenden Themen vor: im Alten Testament sind es Sündenfall und Schöpfung, Adam und Eva, Josua und Kaleb und verschiedene Einzelmotive. Aus dem Neuen Testament finden sich: Christi Geburt, Hochzeit zu Kana, barmherzige Samariterin, Auferstehung, Christi Himmelfahrt.
Interessanterweise fehlen Kreuzigungsdarstellungen, wie auch Abbildungen zur Passion.

Im Zusammenhang mit den christlichen Themen werden im Laufe der späteren Untersuchung die Thesen überprüft,
- ob seit der Konfessionsbildung im 16. und 17. Jahrhundert keine kirchliche Einheitskultur mehr besteht
- und ob nur in Gebieten, in denen die Erweckungsbewegung eine bedeutende Rolle spielte, im evangelischen Glauben noch Volksfrömmigkeit vorhanden sei.

   
  Ein umfangreiches Kapitel der Arbeit bildet die ikonographische Betrachtung:
Die Verfasserin erklärt zunächst Begriffe und beschreibt ihre Vorgehensweise. Ziel der Untersuchungen ist es, Alter und Herkunft der einzelnen Motive zu bestimmen und jeweils die frühesten Typen herauszuarbeiten.
Mit den exakten Beschreibungen der erhaltenen Blaudrucke, den Hinweisen auf Unterschiede und Varianten vom 18. bis ins 20. Jahrhundert, wird eine aussagekräftige Grundlage für die Bestimmung und Datierung der Stoffe erarbeitet.



Eine in der Textilforschung häufig gestellte Frage ist diejenige nach dem Vorbild, hier besonders nach dem Ursprung der christlichen Motive. Die Autorin geht auf das christliche Bildverständnis im Allgemeinen ein, stellt die Frage, inwieweit christlichen Motive auf anderen Materialien Vorbildfunktion zukommen könnte:

Neben Stickmustertüchern, Damasten, Bildteppichen findet sich ähnliche Motivwelten auch auf Bildfliesen, Back- und Tapetenmodeln, Ofenplatten. Besonders Damastwebereien und Beiderwandgewebe des 17. und 18. Jahrhunderts zeigen Aehnlichkeiten zu den Blaudrucken. Letztere könnten als Ersatz für Damaste für die ärmere Bevölkerung gedient haben. Auch könnte den seit 1640 aufkommenden und besonders im 18. Jh als Wandverkleidung benutzen Bibelfliese als Vorbilder gewirkt haben.

  Die Frage, weshalb auf den Blaudrucken christliche Motive zur Darstellung gelangten, ist in dieser Arbeit von besonderem Interesse. Die Autorin prüft verschiedene Thesen und kommt auf Grund von Vergleichen und eingehenden Literaturstudien zu den Ergebnissen:
- Ein Zusammenhang mit dem Kirchenjahr lässt sich nicht bestätigen, denn auf den Darstellungen fehlen Passion und Kreuzigung. Auch für die These, wonach Bettwäsche mit biblischen Motiven entsprechend der Kirchenjahreszeit gewechselt hätten, finden keine klaren Bestätigungen.
- Die Reformatoren wollten die Bibel für jedermann lesbar machen und sie forderten auch Religionsunterricht für alle. Doch fehlen Hinweise für eine Einordnung der Blauddruckmotive in frühe Volksbildungsprogramme. Mit dem Pietismus des 18. Jhs. hielt zwar Erbauungsliteratur Einzug in die Haushalte, eine Uebereinstimmung mit den auf Blaudrucken hergestellten Motiven lässt sich nicht finden. Somit kann kein Bezug zur nachreformatorischen Pädagogik hergestellt werden.

Als weitere Quellen für die christlichen Blaudruckmotive werden zeitgenössische Druckgraphik und Bibelillustraionen herangezogen.
Flugblätter und Druckgraphik sind in grosser Anzahl erhalten, die einzelnen Blätter sind künstlerischer und differenzierter gestaltet als die Blaudruckmotive. Dasselbe gilt für frühe Bibeldrucke, jedoch könnten ältere und naive Darstellungen als Vorlagen für den Blaudruck, besonders für Städtebilder verwendet worden sein.
       
 


Beiderwand, Nordfriesland, wohl 18. Jh.

 

Eine zusätzliche Frage möge hier gestellt werden: Wieweit könnte die bei Blaudrucken verwendete Kombination von Druck- und Färbetechnik verantwortlich sein für den als einfach, ja naiv erscheinenden Darstellungsstil?
Es fällt auf, dass man die Schriftzüge im Gegensatz zu den Motiven, besonders auch Initialen, reich ornamentierte. Obwohl die Schrift seitenverkehrt in das Holz des Models geschnitten werden musste, scheinen kaum Schreibfehler vorzukommen.


Detail aus Blaudruck, Braunschweig, 18. Jh.

       
 


Bibelfliese, Westfälisches Freilichtmuseum, Detmold

 


Auferstehung, Bibelflies, Westfälisches Freilichtmuseum, Detmold

       
  Die ersten Blaudrucker lebten im 18. Jh. und auch die ältesten der erhaltenen Model mit christlichen Motiven stammen aus dieser Zeit. Ein Abschnitt ist deshalb den Arbeits- und Lebensbedingungen der Handwerker des 18. Jhs. gewidmet. Die Handwerksgeschichte insgesamt und die des Blaudruckes im Besonderen sind kaum erforscht, doch waren die Blaudrucker wie andere Handwerker in festgefügte Strukturen der Zünfte eingebunden, sie gehörten meistens zur Färberzunft.
Im 18. Jh. spielte der Pietismus, der den Glauben des Einzelnen betonte, eine wichtige Rolle um das religiöse und soziale Leben zu regeln. Eine Verwurzelung der Handwerker in dieser Glaubensrichtung könnte die christlichen Motive des Blaudruckes gefördert haben.
  Einblicke in das Leben von Handwerksgesellen bieten einige erhaltene Wanderbücher, die während der gesamten Wanderschaft mitgeführt wurden. Sie zeigen vor allem die Wege, die vom Norden Deutschlands in den Süden führten. Die Wanderschaft bedeutete für die Gesellen Bildung, und sie förderte die Verbreitung des Reserveverfahren der Blaudrucke.

In der Frage nach der Herkunft und Bedeutung der christlichen Motive finden sich in den Büchern jedoch keine Aussagen.

       
  In einem dritten Hauptteil werden heute noch aktive Blaudruckereien vorgestellt.
In diesem Bereich gibt es bisher keine Firmengeschichten, auch die Geschichte des Handwerks ist nicht aufgearbeitet, deshalb griff die Autorin zum Mittel des Fragebogens und besuchte auch viele Betriebe selber. Sie gelangte in der Art einer "oral history" zu den folgenden Resultaten:

Der Fragebogen wurde 29 Betrieben zugestellt. Es wurde versucht, eine kurze Firmengeschichte in Erfahrung zu bringen. Mit der Frage nach der Ausbildungssituation sollte ein Eindruck der Zukunftaussichten dieses Handwerks erarbeitet werden. Zudem interessierte die Frage nach der Bedeutung der christlichen Motive für die Blaudrucker selber. Ein weiterer Punkt betraf die heutigen Käufer und die Verwendung der bedruckten Stoffe in unserer Zeit.
Auf Grund von 21 zurückgesandten Antworten beschreibt die Verfasserin die Werkstätten chronologisch, gemäss dem Datum ihrer Gründung.

Die beiden ältesten und noch bestehenden Blaudruckereien entwickelten sich aus 1630 und 1633 gegründeten Färbereien. Eine wichtige Rolle spielt jeweils die Familientradition, einer der Betriebe ist bereits in der 7. Generation in Familienbesitz, manche Blaudrucker kamen denn auch über die Familientradition zu ihrem Beruf. Heute ist den meisten Betrieben eine zusätzliche Einkommensquelle angegliedert, sei dies etwa eine Reinigung oder eine Gaststätte.
  Ein wichtiger Punkt ist jeweils der Bestand an Holzmodeln, die Blaudruckereien nennen von 150 bis zu 2000 Model ihr eigen. Fast alle Firmen verkaufen ihre Artikel auf Märkten in ganz Deutschland.
Der Beruf des Blaudruckers gehört in der Bundesrepublik seit 1930 nicht mehr zu den Lehrberufen, in der ehemaligen DDR dagegen konnte er erlernt werden. Manche Blaudrucker waren als Idealisten von diesem Handwerk fasziniert und kamen auch über ein abgeschlossenes Studium in einem anderen Gebiet zu diesem Beruf.

Heute betrachtet man die christlichen Blaudrucke als Liebhaberstücke, sie werden als Tischdecken, als Wandbehang oder als Dekorationsobjekt benutzt. Da die Zukunft des Handwerks insgesamt unsicher ist, ist wohl auch der Fortbestand der christlichen Motive gefärdet. Solange die Blaudrucker selber ihnen einen Wert beimessen, werden diese besonderen Textilien auch in Zukunft noch auf biblische Geschichten aufmerksam machen.

Im Schlusskapitel fasst die Verfasserin die Ergebnisse ihrer Untersuchung nochmals in kurzen Punkten zusammen, sie weist auf die Bilderwelt des Blaudrucks, auf die Ueberlieferungsgeschichte und fasst ihre Untersuchung mit der abschliessenden Aussage kurz folgendermassen zusammen:
"Blaudrucker und Käufer haben von Anfang an nicht unterschieden zwischen der Welt und dem Christentum, sondern sie haben mit Hilfe biblischer Bilder ihrem Glauben auch in ihrem Alltag Gestalt gegeben."
       
 

home content Last revised 12 January, 2009