ANNE WANNER'S Textiles in History / books

 
Reiche Bilder, Aspekte zur Produktion und Funktion von Stickereien im Spätmittelalter, Beiträge der internationalen Fachtagung des Deutschen Textilmuseums Krefeld und des Zentrums zur Erforschung antiker und mittelalterlicher Textilien an der Fachhochschule Köln (20. - 21. Novemer 2008), Uta-Christiane Bergemann, Annemarie Stauffer (editor), 128 pages, color photos, Regensburg 2010, - ISBN: 978-3-7954-2409-1 - is available at Euro 29.90 at: Verlag Schnell und Steiner http://www.schnell-und-steiner.de/neuheiten.ahtml
     

  Der Tagungsband vereint fünf Aufsätze, welche Aspekte zu Konzeption und Ausführung von Stickaufträgen behandeln und drei weitere Aufsätze über politische und handelsgeschichtliche Aspekte. Bisher stand die Ikonographie bzw. Ornamentik im Blickpunkt und wirtschaftliche Hintergründe wurden eher vernachlässigt. Dieses Defizit machte sich die internationals Fachtagung „Reiche Bilder, Aspekte zu Produktion und Funktion von Stickereien im Spätmittelalter“ vom 20. und 21. November 2008 im Deutschen Textilmuseum in Krefeld zum Thema.


Auftragsbedingungen und Gestaltungsfreiheiten der Stickerwerkstätten im Spiegel von Verträgen und Rechnungen des 15. Jahrhunderts - von Uta-Christiane Bergemann
Gold- und Seidensticker hatten sich seit dem 13. Jahrhundert als städtische Kunsthandwerker zu einem eigenen Gewerbe ausgebildet. Rechnungen und Verträge nennen ausserdem Maler, Schneider, Händler. Der vorliegende Aufsatz möchte untersuchen, inwieweit diese Verträge Auskunft über den Herstellungsprozess der Stickereien geben. Die meisten Zeugnisse haben sich im kirchlichen Bereich erhalten und auch die Quellen beschränken sich auf dieses Gebiet. Besonders werden die Ansätze zu einer Massenproduktion und vorgefertigten Stickereien im Laufe des 15. Jhs. beobachtet.
Anhand von Inventarangaben in Kirchenschätzen weist die Autorin nach, dass die gestiegene Produktion auf einer erhöhten Nachfrage beruht haben muss. Im 14. Jh. ist der Umfang von Paramenten in Kirchenschätzen wenig bekannt. Vergleicht man jedoch die wenigen Ausnahmen (z.B.der päpstliche Schatz zur Zeit des Exils in Avignon, der Mainzer Domschatz von 1326, Paramente in der St.Pauls Cathedrale in London, das Inventar des Mailänder Domes von 1445) mit späteren Inventaren, so lässt sich im Verlaufe des 15. Jhs ein Anwachsen des Bestandes liturgischer Gewänder feststellen.
In einem weiteren Kapitel kommen Verträge und Rechnungen zur Sprache. Anhand von zwei Vertragsbeispiele - Bravo-Kirche in Haarlem von 1437 und San Antonio in Padua 1478 -  findet die Autorin Grundzüge der Vereinbarungen: Grundlage bildet die den Stickern vorgegebene Zeichnung. Das Material besorgten die Sticker nach vorher vereinbarter Qualität selber. Ebenfalls festgelegt wurden Höhe und Modalität der Bezahlung, wie der Termin der Fertigstellung. Wer die Zeichnung auf den Stickgrund übertrug, bleibt unklar. Bei grossen Projekten waren sicherlich mehrere Sticker beteiligt.
Bei den meisten Stickarbeiten handelte es sich um kleine Auftragsarbeiten, die ohne Vertrag abgewickelt wurden. Seit Beginn des 16. Jhs gibt es Berichte in Kirchenrechnungen, die fertig gekaufte Stickereien erwähnen. Gemäss diesen Notizen wurden gängige Stickereien auf Vorrat gehalten und fertig verkauft.

 



Hl. Johannes Ev., Ende 15. Jh., Niederlande
(Deutsches Textilmuseum Krefeld,
Inv.Nr. 07956)



Hl. Johannes Ev., Anf. 16. Jh., Niederlande,
(Mus. Catharijnenconvent Utrecht,
Inv. Nr. ABM t 2165 A2)

   
  Hinweise zu neuen Produktionspraktiken lassen sich auf den Stickereien selber ablesen: Zum einen stickte man Figur und Grund unabhängig voneinander. So verlangten die Figuren anspruchsvollere Sticktechniken, als der architechtonische Hintergrund. Die Arbeiten konnten auf verschieden befähigte Sticker aufgeteilt werden. Zum anderen finden sich Figuren gleichen Entwurfs auf Gewändern weit auseinanderliegender Orte. Als Beispiel nennt die Autorin die Figur des Johannes. Das Fragment im Deutschen Textilmuseum und zwei Beispiele im Museum Catharijnenconvent in Utrecht folgen demselben Figurentypus. Offensichtlich hatten die Sticker eine Auswahl vorgezeichneter Figuren zur Verfügung, die sie unterschiedlich kombinierten. Scheinbar führten neben der Produktionsnachfrage auch eine veränderte Handelsstrategie zur Standardisierung der Ikonographie.
 
 

Der Messeornat des Ordens vom Goldenen Vlies: Sticker im Dienste der burgundischen Herzöge
- von Katja Schmitz-von Ledebur

Der auch als Burgunderornat bezeichnete und erstmals 1477 in Inventaren erwähnte Ornat bedeutet einen Höhepunkt der Stickkunst des 15. Jhs. Er wird in die Jahre 1425-40 datiert und ist vollflächig mit Gold- und Seidenfäden bestickt. Dokumente zu Auftragsvergabe und Herstellung fehlen, doch spricht vieles für das Umfeld des Hofes der Herzöge von Burgund, und für Philipp den Guten, der 1430 zur Verteidigung des christlichen Glaubens den Orden vom Goldenen Vlies stiftete.
Nach der historischen Einführung behandelt die Autorin die Bestandteile des Ornats, die Bildfelder mit ihren Darstellungen, sowie die Sticktechniken.



Attala, Marienpluviale, Burgunderornat, Burgund 1425 und
1440, (Wien, Kunsthist. Museum, weltliche Schatzkammer,
Inv. Nr. KK 21)

Informationen über Künstler und Handwerker, die für Herzog Philipp den Guten tätig waren finden sich in erhaltenen Rechnungsbüchern des Herzogs. Verordnungen für Sticker in Gent oder in Brügge weisen darauf hin, dass die Sticker auch in den Niederlanden und im 15. Jh. organisiert und an strenge Regeln gebunden waren. In den Büchern sind viele für die Burgunderherzöge tätige Sticker genannt, ebenso sind Stickereien für repräsentative Schmuck der Garderobe oder für textile Ausstattungsobjekte erwähnt. Bisher konnten die Hinweise nicht eindeutig mit dem Burgunderornat in Verbindung gebracht werden.
Die besondere Gunst des Herzogs genoss der häufig erwähnte Thierry de Chastel. Als Kammerdiener und Sticker war er verantwortlich für die Garderobe des Herzogs. Aber auch dieser am besten greifbare Sticker am Hof lässt sich nicht eindeutig mit dem Burgunderornat in Verbindung bringen. Die Autorin schliesst ihre Ausführungen mit der Vermutung, dass ein Sticker wie Chastel eine Vermittlertätigkeit ausgeübt haben könnte. Er suchte möglicherweise Werkstätten aus, und überwachte die Arbeiten gemeinsam mit einem entwerfenden Künstler.
 
 

Auftragsvergabe und Verarbeitung von „Fertigprodukten“ aus flandrischen Stickwerkstätten
im 15. und 16. Jahrhundert. Drei Beispiele aus der Kathedrale von Lausanne - von Annemarie Stauffer

In der 2. Hälfte 15. Jh. und im beginnenden 16. Jh. statteten die Bischöfe von Lausanne ihre Kathedrale mit wertvollen Kunstwerken aus. Diese gelangten 1537 nach Bern.
Annemarie Stauffer weist in ihren Ausführungen auf das ständig wachsende Warensortiment und auf das Handelsvolumen im 14. und 15. Jh, sowie auf den zunehmenden Transport von Luxusgütern über weite Distanzen. Drei Paramentenstiftungen geben Einblick in die Herstellungspraxis niederländischer Stickereiwerkstätten und in das Verhältnis zwischen Produzent und Empfänger.
1. Gestickte Stäbe des Georges de Saluces:
Die Wappen am unteren Ende der Stäbe weisen die Stickereien aus als Stiftung des G.de Saluces, welcher von 1440-1465 als Bischof von Lausanne amtete. Die Stäbe zeigen je vier Apostel unter Baldachin und müssen in einer erstrangigen Werkstatt in Flandern gestickt worden sein.
Die Enden sind an beiden Seiten von einer weniger befähigten Hand eines anderen Stickers verlängert worden. Offensichtlich verfertigte man die Stickerei, bevor der Endbesitzer bekannt war und es ist anzunehmen, dass dieser die fertige Stickerei nach dem Kauf weiter bearbeiten liess.



Detail: Stäbe mit Aposteln, Wappen des Georges de Saluces,
Mitte 15. Jh., Tournai (Bern, Hist. Museum, Inv. Nr. 41a)



 
2. Stäbe und Schild des Jakob von Savoyen:
Das Wappen auf der Schliesse des Schildes und ein Inventareintrag belegen die Schenkung des Jakob von Savoyen, doch finden sich keine Hinweise darauf, dass Jakob von Savoyen auch der Auftraggeber dieser Stickereien war. Ein Mittelsmann könnte die Stickereien in Flandern erworben haben. Stäbe und Schild scheinen in Flandern hergestellt zu sein. Weil jedoch die Schliesse Bezug auf das Patrocinium in Lausanne nimmt, und weil für diesen Teil auch andere Materialien verwendet wurden, nimmt man an, die Stickerei seien später in Lausanne vollendet worden.

 



Detail: Wappen des Jakob von Savoyen
an Schliesse und Schild, Flandern 1463-1476

(Bern, Hist. Museum, Inv. Nr. 308)

 
3. Ornat des Aymon de Montfalcon (1491-1517)
Aymon de Montfalcon schenkte der Kathedrale von Lausanne zwischen 1507 und 10 einen Ornat. Die persönliche Devise wie das Stifterwappen erscheinen hier mehrmals. Eine Entstehung im Umkreis des Gerard David und Barend van Orley kann angenommen werden.
Hier stickte man nur bei den Stäben der Dalmatiken Figuren und Hintergrund unabhängig voneinander, um sie anschliessend zusammenzufügen. Dagegen führte man die Stickereien für Kasel und Pluviale direkt auf dem Stickgrund aus. Auch die Wappen Aymons sind direkt in den Grund eingefügt. Scheinbar setzte man für die Ausführung besonderer Bildprogramme geübte Spezialisten ein. Es wäre somit denkbar, dass in diesem Falle der ganze, komplet fertiggestellte Ornat nach Lausanne gelieferte wurde.

 
 

Mit Silberstift für Sticker gezeichnet?
Ueberlegungen zur Arbeitsweise und zum Vorlagenmaterial in einer flämischen Stickerwerkstatt - von Susan Marti

1536, nach der Eroberung der Waadt (französische Schweiz) durch die reformierten Berner gelangte der Schatz aus der Kathedrale Lausanne nach Bern. Dort bilden die Paramente aus Lausanne heute den wesentlichen Kern der spätmittelalterlichen Textilsammlung des Historischen Museums. Im damals angelegten Inventar ist ein roter Chormantel eingetragen. Dessen Stickereiverzierungen sind eindeutig identifizierbar. Zweimal kommt hier das Wappen vor, welches Jakob von Savoyen, 9. Sohn des Herzog Ludwig von Savoyen und Anne de Lusignan (geboren zw. 1447 und 1452- 1486) führte. Aus bekannten biographischen Fakten geht hervor, dass der Chormantel zwischen 1467 und 76 der Kathedrale von Lausanne geschenkte wurde.
   





Umkreis Vrancke van der Stockt. Das Sakrament der Eucharistie: Rekonstruktion der ursprünglichen Ansicht, Silberstift auf
Papier, 4. Viertel 15. Jh. (Fotomontage Stella Ditschkowski
und Gesa Doerfler, Oxford,
Oxford Ashmolean Museum, Inv.Nr. WA 1963.221-224)


Rückenschild eines Chormantels mit Eucharistiedarstellung,
vor 1476, Tournai (?),
Bern, Historisches Museum, Inv.Nr. 308)



Der Aufsatz befasst sich mit einem der Stickerei verwandten Ensemble, mit einem Zyklus von Silberstiftzeichnungen, die heute in Oxford und in Paris aufbewahrt werden.
Stickereien und Zeichnungen zeigen das Thema der sieben Saktamente. Die Zeichnungen bedecken beide Seiten eines Papierblattes, das auf 36 x 18 cm berechnet werden kann. Es wurde vermutlich im 19. Jh. von einem Kunsthändler zerschnitten, der mit sechs kleinformatigen Zeichnungen mehr verdienen konnte als mit einer grösseren Zeichnung. Die eine Seite mit der Szene der Eucharestie lässt sich virtuell wieder zusammensetzen, dadurch ergeben sich auf der Gegenseite vier einzelne Sakrametszenen ohne einheitliche Ausrichtung. Die Rückseiten der beiden in Paris aufbewahrten Blätter sind nicht zugänglich. Durch das genaue Beobachten des Verlaufs der Haarlinien des Pinsels bei der Strichführung der Kreidegrundierung, sowie auch der Ripstege lässt sich die ursprüngliche Anordnung der sechs Szenen auf dem Papierblatt vermuten, eine Gewissheit besteht aber nicht.

Für die in Oxford befindlichen vier kleinformatige Blätter schlug Max J. Friedländer eine Entstehung um 1450 im Umkreis von Rogier van der Weyden vor. Mit der Frage der absoluten Datierung und Zuschreibung haben sich schon mehrere Autoren befasst.
Susan Marti geht in ihrem Aufsatz ein auf die materielle Beschaffenheit der Zeichenblätter und rückt Fragen zur Funktion und Verwendung in den Vordergrund. Da die Zeichnungen nur ca. ¼. so gross sind wie die Stickereien, kann es sich nicht um Eins-zu-Eins Vorlagen handeln. Susan Marti stellt die Hypothese auf, dass die Zeichnungen eine Kopie der direkten Vorlage zu den Berner Stickereien darstellen könnten. Diese war vielleicht entstanden, weil die ursprüngliche Vorlage nicht mehr verfügbar war. Man kann davon ausgehen, dass Musterblätter und Vorlagenmaterial zum kostbarsten Besitz einer Werkstatt gehörten, die man sicher streng hütete und bis zum gänzlichen Verbrauch nutzte.
 
 

Serienproduktion im Medium mittelalterlicher Stickerei – Holzschnitte als Vorlagenmaterial für eine Gruppe mittelrheinischer Kaselkreuze des 15. Jahrhunderts -
von Juliane von Fircks

Im mittelalterlichen und handwerksmässig aufgebauten Werkstattbetrieb lassen sich viele Ansätze seriellen Produzierens beobachten. In den ersten Jahrzehnten des 15. Jhs. kam die Druckgraphik auf, das Reproduzieren von Bildern in hoher Auflage zu günstigerem Preis war nun möglich. Die leichter verfügbaren Bilder hatten ihre Auswirkung auf die Produktion in anderen Medien, gedruckte Vorlagen wurden nun für vielfache Zwecke verwendet.
Die Autorin weist in dem Aufsatz auf die Verwertung gedruckter Bilder am Beispiel einer Gruppe von Kaselkreuzen aus der 2. Hälfte des 15. Jhs. mit Szenen aus der Kindheit Christi. Ueber das ikonogrphische Program hinaus stimmen die Kreuze in Komposition und Figurenbildung überein. Mit ihren vereinfachten Umrissen, den eckig gebrochenen Falten in den Gewändern, zeigt der Stil Elemente, die der Darstellungsweise früher Holzschnitte entsprechen.

 



Kaselkreuz mit Geburt Christi, ca. 1460-1480,
Mittelrhein (?), (Köln, Museum Schnütgen,
Inv.Nr. P215)



Holzschnitt Geburt Christi, um 1460, aus der
Basler Kartause (Wien, Oesterreichische
Nationalbibliothek, Ink, 2.H. 131, Fol.3v)

  Die gestickte Szene könnte zurückgehen auf die Geburtszene in einem Passionsbüchlein aus der Mitte des 15. Jh. aus Benediktbeuren i.d. Bayerischen Staatsbibliothek München. Dieselbe Szene findet sich auf einem Holzschnitt aus der Basler Kartause, um 1460 entstanden, heute i.d. Oesterreich. Nationalbibliothek. Beide Holzschnitte werden als Kopien eines gemeinsamen Vorbildes angesehen, das noch vor 1442 entstanden wäre. Holzschnitte sind allerdings breit zugänglich und daher wenig geeignet, die Entstehungsorte von Stickereien einzugrenzen.
Im Vergleich zu den Stickereien sind die gedruckten Vorlagen sehr klein sind, es muss eine Uebersetzung in ein grösseres Format stattgefunden haben. Die endgültige Vorlage übertrug man mittels Lochpausen oder auch mit einem Druckstocke auf den Stoff. Enge Zusammen-arbeit von Stickern und Formschneider, wie eine werkstattübergreifend Nutzung ist denkbar.

Da aber viele Details übereinstimmen, vermutet die Autorin, die Kaselkreuze hätten von einem bestimmten Zentrum her ihren Ausgang genommen. Die Binnenzeichnung ist mit dunklen bis schwarzen Fäden betont, die im Halbprofil wiedergegebenen Gesichter sind einander ähnlich. Eine auffällige Hintergrundgestaltung mit Spiralsonnen ist zusätzliches Merkmal. Doch auch damit bleibt die Frage nach dem Ort des Ateliers ungelöst.
Für die Lokalisierung an den Mittelrhein spricht die Verwandtschaft mit einer weiteren Gruppe von Stickereien, die ähnliche Tendenzen der Standardisierung und Rationalisierung zeigt.

Das Verwenden von gedruckten Vorlagen wie das Aufdrucken der Vorzeichnung deutet auf eine Produktionsweise mit hoher Stückzahl. Diese wohl am Mittelrhein im 3. Viertel des 15. Jhs. tätigen Stickerwerkstatt entwickelte somit ihre gestalterischen Programme an älterer Druckgraphik. Auch das Uebertragen der Vorzeichnung erfolgte mittels Aufdruck, dies weist auf ein Interesse an technischen Neuerungen, die nutzbringend in die eigene Werkstattpraxis übernommen wurden.
 
 

Beobachtungen zum Opus Anglicanum an Mitren aus dem 13. Jahrhundert -
von Heidi Blöcher

Grundlage zu dem Aufsatz bildet eine Studie von rund 100 erhaltenen Mitren vom 12.-14. Jh. Ein grosser Teil von ihnen entstand in der 1. Hälfte 13. Jh. Im Folgenden werden Ergebnisse der Studie, die die Produktionszusammenhänge betreffen, vorgestellt.

Zum Begriff: Die Bezeichnung „opus anglicanum“ wurde in England nicht verwendet, taucht aber in Schatzverzeichnissen des 13. Jhs. auf und bezieht sich vermutlich auf die Herkunft der Stickereien. Früheste Nachrichten setzen erst 1-2 Jahrhunderte nach dem Entstehen ein. Ueber Werkstätten und Sticker ist wenig bekannt. Namen professioneller Sticker sind zwar in Zahlungsbelegen genannt, ihnen können heute aber keine Werke mehr zugeordnet werden.
Das Bild von opus anglicanum ist geprägt durch die versenkte Anlegetechnik. Der weisse Stickgrund ist mit kräftigem Leinengewebe unterlegt. Es werden fast ausschliesslich Goldfäden verwendet, die entweder horizontal oder vertikal laufen. Im frühen 13. Jh. kamen wenige farbige Seidenfäden vor, erst im 13. und 14. Jh. beginnen diese die Goldfäden zu ersetzen und den Hintergrund flächig auszufüllen.



Mitra mit Martyrium des hl. Thomas Becket und Stephanus,
1. Viertel 13. Jh., (Musées de Sens,
Trésor de la Cathédrale, Inv.Nr. B 561)



Mitra mit Ranken, Brettchenborte,
2. Drittel des 13. Jhs.,
(Musées de Sens, Trésor de la Cathédrale, Inv.Nr. B 366)

 
Erhaltene Mitren in opus anglicanum.
Nach der allgemeinen Einführung wendet sich die Autorin fünf Mitren zu, welche die Martyrien der Heiligen Stepanus, Laurentius und Thomas Beckett darstellen. Erzbischof Thomas Becket von Canterbury wurde 1170 ermordet und schon bald nach seinem Tod als Märtyrer verehrt und 1173 heilig gesprochen.
Diese Szene ist auf den Mitren wiedergegeben, während die Gegenseite die Steinigung des Hl. Stephanus oder das Martyrium des Hl. Laurentius zeigen. Die Kompositionen der Mitren sind nicht identisch. Neben den figürlichen Motiven gibt es verwandte Beispiele, die nur ornamentale Motive zeigen. Aehnliche Motive finden sich im 3. Viertel 13. Jh. auf Mitren, die auf englischen Bischofssiegel und auch in Buchmalereien vorkommen. Bei drei Mitren mit Ranken, Sternen und kleinteiligem Rautenmuster vermutet man die Entstehung in Spanien. Bei anderen Beispielen ist der spanische Ursprung der Seiden eindeutig. Goldborten sind häufig als Verzierung auf den Mitren angebracht, es sind Brettchengewebe mit charakteristischen Mustern von Winkelhaken, die von oktagonalen Rahmen umgeben sind. Mehrere englische Stickereien sind auf spanischem Seidengewebe gestickt, und man kann annehmen, die Borten seien ebenfalls aus Spanien bezogen worden. Mit Sicherheit ist jedoch die Frage von Herkunft und Entstehung ist nicht zu beantworten.

Diese Beispiele von englischen Stickereien auf spanischen Seidengewebe deuten auf Handelsaustausch zwischen England und Spanien. Abschliessend meint die Autorin, dass hier nur eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Historikern umfassendere Resultate liefern könnte.
 
 

Die Gier der Päpste nach englischen Stickereien. Zur Bedeutung und Verbreitung von Opus Anglicanum im späten Mittelalter
  - von Thomas Ertl

Die Ausführungen möchten das allgemein herrschende Bild von opus anglicanum hinterfragen und revidieren. Der Autor zweifelt an der Vertrauenswürdigkeit des Chronisten Matthaeus Paris, dessen Aeusserungen immer wieder zitiert werden und auf denen die Bedeutung von opus anglicanum beruht. Ertl diskutiert in drei Punkten das vermeintliche Streben der Päpste nach englischen Stickereien: es geht um die schriftliche Erwähnung von opus anglicanum in den päpstlichen Schatzverzeichnissen, um die Funktion von Stickereien in der Herrschaftrepräsentation um 1300, und um die Frage, ob der Begriff „Opus anglicanum“ im Mittelalter und in der modernen Forschung richtig interpretiert und verwendet wurde.

Die Schatzverzeichnisse belegen deutlich, dass die Päpste um 1300 eine grosse Anzahl von englischen Stickereien erwarben. Dabei handelt es sich vermutlich hauptsächlich um Schenkungen des englischen Königs und der englischen Kirche, waren doch Kleidungsstücke und dekorative Stoffe wichtige Elemente des mittelalterlichen Gabentausches. Solche Geschenke hütete man sorgfältig, sie erhielten dadurch günstige Ueberlebenschancen.
Des weiteren bildete die Stickkunst um 1300 einen festen Bestand der materiellen höfischen Kultur. Fürstenhöfe in Europa blieben nicht hinter England zurück, und kirchliche Höfe pflegten eine ähnliche Herrschaftsrepräsentation, hier diente sie auch zur Vermittlung der religiösen Botschaft.

In einem weiteren Abschnitt fragt sich Ertl, ob es mittelalterlichen Autoren und Hofbeamten wirklich möglich war, Stickereien de opere Anglicano eindeutig und leicht zu erkennen. Er weist besonders auf das Inventar von König Karl V. von Frankreich aus dem Jahr 1379 und auf die dortige Differenzierung zwischen d’ouvrage d’Angleterre und de la façon d’Angleterre.
Ertl vermutet, dass sich die Bezeichnung zu einer Art Gattungsname wandelte und stellt sich zudem die Frage, ob nicht auch für die Blütezeit von 1250 – 1350 mit Wechselwirkungen zwischen den britischen Inseln und dem europäischen Kontinent gerechnet werden muss.

 

Agnani, Detail von Antependium,
um 1300, Rom (Agnani, Domschatz)


Ascoli Piceno, Rechte Mantelhälfte,
zwischen 1265 und 1277, England (?),
(Ascoli Piceno Palazzo Arringo, Pinacoteca Civica Ascoli Piceno)
 
Er illustriert die Problematik mit dem Beispiel des Pluviales von Ascoli Piceno, bei welchem die Meinungen über Ort, Zeit und Umstände der Anfertigung auseinandergehen.

Ertl ist davon überzeugt, dass die Verantwortlichen für die Erstellung der päpstlichen Inventare den Begriff opus anglicanum gerne und häufig, aber ziemlich regellos verwendeten. Dennoch lässt sich Opus Anglicanum im Sinne von Matthaeus Paris als Qualitätsbegriff verstehen. Die Stickkunst blühte an allen Zentren der Macht, sie profitierte von technischen und stilistischen Wechselwirkungen. Es müsste eingehender, interdisziplinär und international untersucht werden, ob diese über wandernde Künstler, über Stoffmuster, über Modelle vermittelt wurden.

 
   
  Devisen an reichsfürstlichen Höfen des Spätmittelalters - Umrisse eines Forschungsfeldes - von Stephan Selzer

Um 1500 war der Einsatz von Ornamenten und Devisen an Fürstenhöfen Europas übliche Praxis. Mit Vorliebe wurden sie auf Textilien gesetzt. Sie waren ein Element der Heraldik, konnten jedoch individuell gewählt werden. Sie bestanden aus einer Bildfigur, aus einem Wortmotto und mehreren Farben. In der 2. Hälfte des 15. Jhs. finden sich Belege für die Führung bei Habsburgern und Reichsfürsten. Das Motto AEIOV Kaiser Friedrichs III. liess mehrere Deutungen zu. Die Mode verbreitete sich von Hof zu Hof und auch sozial. So gibt es Berichte von Gruppen junger Männer in farblich einheitlicher Kleidung. Im Spätmittelalter wurden die Devisen situationsgebunden gewählt und wechselten deshalb rasch.

Eine Bildquelle sind die im Jahre 1508 einsetzenden Abbildungen der bayerischen Sommer- und Winterhofkleidung. Auch in den Turnierbücher des bayerischen Herzogs Willhelms VI. kommt seine Devise immer wieder auf den Kleidungen seiner Männer vor.
Verwandt mit den Devisen sind die Embleme, jedoch stand die Emblematik in viel engerer Wechselwirkung zum Medium der Buchkultur.
 



Drachenorden, gesticktes Abzeichen, nach 1408
(München, Bayerisches Nationalmuseum, T 3792)



Archivalien der Grafen von Büdingen,
Kleiderbilder der landgräflich-hessischen Hofkleidung

  Das wohl bekannteste Motto des 16. Jhs. ist VDMIAE, als Abkürzung von Verbum Domini Manet in Aeternum. Friedrich der Weise soll dieses Motto selbst ausgewählt haben. Es wurde im Krieg von den Protestanten als Zeichen benutzt und wurde zum festen Bestandteil protestantischer Herrschaftsikonographie. Die hessischen, kursächsischen und mecklenburgischen Fürsten wählten eine einheitliche Farbe als Zeichen ihrer polititschen Uebereinstimmung.

Devisen konnten überall erscheinen, in Manuskripten, auf Geschirr, auf Waffen, sie zierten Kleidung, Rossdecken. Um 1500 zeigten Fürst und Dienerschaft auf ihrere Kleidung Motto und Devise. Ein Hofstaat konnte mehrere 100 Personen umfassen und das Hofgewand ordnete die Träger dem engsten Lebenskreis des Fürsten zu
Unbekannt blieb bisher, wie die Devisen hergestellt, gefertigt und angebracht wurden, denn ein originales sächsisches Hofgewand ist erst im späten 16. Jh. erhalten. Schriftliche Quellen helfen hier nicht weiter, ist doch die Deutung der beschriebenen Praktiken der Herstellung schwierig. Der Autor schlägt vor, auf die Devisen und ihren Platz in der europäischen Zeichenkultur vermehrt zu achten und weitere Forschungen auf interdisziplinarischer Basis zu führen.

 

home content Last revised 22 December, 2010