ANNE WANNER'S Textiles in History / machine embroidery /schiffli |
Frühe Stickereimuster mit Maschine ca. ab 1850 zu Inventarnummern 30'737 bis 30'883 des Textilmuseums St.Gallen und zum Werk von Ernest Iklé, "la broderie mecanique 1828-1930", 1931 |
Im
Textilmuseum St.Gallen kam in den 1980er Jahren eine
Schachtel mit Stickereimustern zum Vorschein. Die Muster
waren auf schwarzes, starkes Papier geklebt und das
Papier trug Beschriftungen mit weisser Tusche. Bei den
meisten dieser Tafeln handelte sich um Vorlagen, von
denen viele im Werk von Ernest Iklé, "la
broderie mecanique 1828-1930", 1931 als
Reproduktionen erschienen. Dokumente darüber oder
Einträge im Museumsinventar waren in den 1980er Jahren
nicht bekannt. Jedoch wusste man noch, dass die Tafeln
längere Zeit in Ausstellungsvitrinen in diesem Museum
betrachten werden konnten. Die Inventarnummern 30750 bis 30882 betreffen die erwähnten Vorlagen zum Buch von Ernest Iklé. Die Nrn 30737 bis 30745 zeigen ebenfalls von Papiertafeln abgelöste Muster. Sie sind unbekannter Herkunft und zeigen frühe Maschinenmuster. Bei Nummern 30746 bis 30749 handelt es sich um viele kleine, ebenfalls frühe Muster aus der Sammlung Jacoby (ehemalige Nummern J 3938 bis J4023), die auf braunen Papieren befestigt waren. Nicht alle Tafeln der Nummern 30750 bis 30882 sind in dem erwähnten Werk abgebildet, jedoch ist ihre Anordnung chronologisch. Die Muster geben einen Ueberblick über die gesamte Produktion weisser und farbiger Maschinenarbeiten, von den 1850er Jahren bis 1925. |
Das schwarze
Papier begann sich in den 1980er Jahren aufzulösen und
deshalb beschloss man, die Muster abzutrennen, zu waschen
und auf neue Stoffunterlagen aufzunähen. Diese Arbeiten begannen
1984 und dauerten bis 1992, entsprechende
Inventarkarten wurden vom November 1991 bis Juli
1992 geschrieben. Vor-und während diesen Arbeiten photographierte die zuständige Kuratorin, Anne Wanner, die Tafeln (Neg.Nrn. auf den Negativ Blättern 250-280), Näharbeiten besorgten Mitarbeiterinnen. Die frühesten Stickereimuster aus dieser Sammlung: - Inv.Nr. 30737 zeigt Muster, die auf die 1850er Jahre zurückgehen dürften. - bei den Inv.Nr. 30751-30754 handelt es sich um Muster von ca. 1850-1860, von Ernest und Fritz Iklé zusammengestellt. - auf den Tafeln mit den Inv.Nr. 30755-30758 stellten Ernest und Fritz Iklé frühe Muster zusammen, die sie in die Jahre 1860 bis 1870 datieren. - die Inv.Nr. 30883 betrifft den Abschnitt eines Rideaux, bei dem die Mitteilung überliefert ist, es handle um eine 1868/9 entstandene Handmaschinenstickerei, die Rittmeyer seinem Sohn zur Hochzeit schenkte. Interessant ist Nr. 30744, die eine Vorstufe zur Aetzstickerei 1880/83 darstellt. |
Gedruckte
Bildtafel in "Broderie mécanique" publiziert in "Broderie mécanique" von Ernest Iklé siehe Tafel 26, bezeichnet als: 1860-1865: premier jours croisés faits méchaniquement |
alte
Montage auf Papier vor der Ablösung Mustertafel mit Mustern ehemals aufgeklebt auf schwarzem Papier, als Vorlage für "Broderie mécanique" im Textilmuseum numeriert: TM 30757 |
die Muster
wurden auf grünen Stoff übertragen Zustand nach Neumontierung und Inventarisierung im Textilmuseum St.Gallern (TM 30757) |
von
Papier abgelöst und neu aufgenäht
auf Stoff Muster, aufgenäht auf neuer Stoffunterlage aus einer Sammlung von John Jacoby ehemalige Nummern J 3938 bis J4023 neu: 30746 bis 30749 |
Muster, aufgenäht auf neuer Stoffunterlage aus einer Sammlung von John Jacoby ehemalige Nummern J 3938 bis J4023 neu: 30746 bis 30749 |
Muster Vorderseite und Rückseite mit Fenster in Stoffunterlage
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aus: Kunstwerke
in Weiss, Stickereien aus St.Gallen und
Appenzell im 19. Jh., St.Gallen, April 1983, von Anne
Wanner, S. 39: Die «Längenen» waren schon im frühen 19. Jahrhundert häufig als «Entre-Deux» verlangt worden und eigneten sich besonders als erste Arbeiten der neuen Stickmaschinen. Zudem erhöhte sich in diesen Jahren der Absatz gerade dieser Bänder, war es doch seit der Erfindung der Nähmaschine (Howe 1845, Singer 1851) einfacher geworden, Bänder und Streifen in Kleider einzuarbeiten. Die Hohleffekte wurden oft bereits auf dem Webstuhl ins Gewebe eingefügt die Streifen dazwischen versah man nachträglich mit Stickerei. Ein erster Aufschwung dieser neuen Industrie beruhte darauf, dass die Fabrikate nach USA exportiert werden konnten. 1853 erwarb S. Hamel, Einkäufer eines New Yorker Hauses, St.Galler Maschinenstickereien, die er aber zuerst in seine Heimatstadt Hamburg sandte. Von dort wurden sie nach Amerika verschifft, und, um den Herkunftsort zu verschleiern, unter der Bezeichnung «Hamburghs» verkauft. Für die Handstickmaschine war der Plattstich sehr geeignet, sogar für die Abschlusskanten wurde zunächst dieser Stich verwendet (Schrägstichfeston). Seit 1862 ermöglichte ein Zusatzgerät der sogenannte Festonapparat, das Ausarbeiten der Kanten mit Festonstich, und seit 1868 stellte der Bohrapparat Löcher mechanisch her. Mit diesem Bohrapparat liessen sich seit 1875 auch Hohlsäume (Leiter oder «Stäffel») maschinell verfertigen. Man stach kleine Löcher in den Stoff und umstickte applizierte Fäden. Noch perfektere Löcher entstanden seit 1877, als ein Stupfapparat diese vor dem Umsticken von hinten her schön ausrundete. Im selben Jahr war auch der Kreis-Festonapparat entwickelt worden, und ermöglichte eine kreisförmige Anordnung der Festonstiche. 1889 eröffnete der Tüchli- und Monogramm-Apparat der Maschinenstickerei weitere Absatzmöglichkeiten. |
Diese zusätzlichen Erfindungen zur Handmaschine und deren Daten sind recht wichtig bei derAltersbestimmung von Handmaschinen-Arbeiten. So wissen wir, dass die Maschine vor 1875 keine mechanischen Hohlsäume stickte, und dass vor dem Jahre 1878 keine kreisförmig angeordneten Festonstiche maschinell hergestellt wurden. Es ist nicht immer einfach, Handmaschinenstickerei von Handstickerei zu unterscheiden. Mit der Erfindung der Handmaschine verschwanden die Handarbeiten keineswegs. Handstickerinnen wandten sich Spezialitäten zu, wie kostbaren Taschentüchern, reichen Kragen, Monogrammen. Diese feine Handarbeit wurde in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts und im 20. Jahrhundert vor allem im Kanton Appenzell Innerrhoden geübt. Eine Hilfe zur Unterscheidung von Handarbeit und Handmaschinenprodukt gibt die Rückseite. Spannfäden können bei mehreren Motiven immer an derselben Stelle von einer Form zur anderen übergehen. Dies deutet auf eine Arbeit mit vielen Nadeln, die in einem bestimmten Abstand voneinander arbeiten, also Handmaschinenstickerei. |
Muster, sog. "Hamburgh", 1850-60, Inv.Nr. 30753 Entre-Deux zwischen gewebten Durchbrüchen, 1860-65, Inv.Nr. 30757 |
Muster mit Schrägstichfeston, 1850-60, Inv.Nr. 30751 Muster mit Feston- und Bohrapparat, 1869, Inv.Nr. 30759 |
Muster für Vorhänge, Handmaschinenstickerei, 1868/69, Inv. 30883 verfertigt für Hochzeit des Sohnes von Stickfabrikant Rittmeyer |
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Eine
Entdeckung in Ennenda, Glarus im Archiv der Firma Bartholome Jenny & Cie: (siehe: Kettenstich und andere Stickereien, eine Sammlung von Stickereibeispielen die Fritz Iklé in den Jahren 1931 bis 1933 für Adolf Jenny-Trümpy zusammenstellte, bearbeitet von Anne Wanner-JeanRichard, 1913, in: Edition Comptoir-Blätter Nr. 7, Ennenda und: http://www.annatextiles.ch/publications/kettenstich . ) Die eingangs erwähnten Stickereimuster sind versehen mit einem Herstellungsdatum, in vielen Fällen ist auch auf die Seite und die Tafel im Werk von Ernest Iklé verwiesen. Dabei handelt es sich um sorgfältig überlegte Datierungen der beiden Spezialisten Ernest und Fritz Iklé, die in den frühen 1930er Jahren über eine hervorragende Kenntis der Entwicklung der Maschinenstickerei verfügten. Dies ist auch aus der 2013 wiedergefundenen Korrespondenz ersichtlich: In jenem Jahr bearbeitete Anne Wanner Stickereimuster aus dem Archiv in Ennenda. Diese Stickereien hatte Fritz Iklé in den 1930er Jahren mit Adolf Jenny-Trümpy diskutiert. In dieser Korrespondenz zwischen den beiden Sammlern ist mehrmals die Rede von Tafeln, die Fritz Iklé bei seinem Onkel Ernest in Paris holte, und von denen Iklé eine Anzahl nach Ennenda sandte. Dabei handelte es sich offensichtlich um die eingangs erwähnten Tafeln zum Buch von Ernest Iklé. Aus den Briefen geht hervor, dass Fritz Iklé darüber verfügen konnte, vermittelte er doch einige der Tafeln nach Ennenda. Und sie finden sich tatsächlich heute in dieser Stickereisammlung. Es scheint sogar sehr wahrscheinlich, dass Fritz Iklé diese Tafeln selber zusammenstellte, war er doch ein ausgwiesener Spezialist für textile Techniken, hatte von seiner Firma her Einblick in die Produktion von Maschinenstickereien und auch Zugang zu frühen entsprechenden Arbeiten. Die Korrespondenz weist auch darauf hin, dass Fritz Iklé die Ausstellung von Maschinenstickereien im Textilmuseum St.Gallen von 1933 zusammenstellte.
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Die folgenden Textstellen aus der Korrespondenz beziehen sich auf die Vorlagetafeln : (42) St.Gallen, 19. März 1931 Die Geschichte der mech. Stickerei v. Ernest Iklé, Paris ist im Druck. Von mir erhalten Sie dazu die Dokumentation in Originalmustern oder ähnlichen Ersatz.... St.Gallen 22. März 1931 Nun zur Arbeit Ernest Iklé Paris. Sie erhalten von mir gratis ein Exemplar und die nötigen gestickten Dokumente. Dies als Gegenleistung für die mir überlassenen 13 Couverts Dokumente: Zeugdruck....... Es sind viele Illustrationen und farbige Tafeln. Das Werk ist leider sehr teuer geworden 60.- frs suisses. Mein Onkel musste den Verlag selbst übernehmen und hat grosse Opfer gebracht. Dies mit viel Humor und trotz fortwährenden Verlusten in der Firma. Er sagt: après moi le déluge einstweilen amüsiere ich mich noch mit dieser Arbeit ! St.Gallen 30 Nov. 1931 Den Abschnitt mech. Stickerei hat mein Onkel in Paris fertiggestellt. Ich komme soeben von Paris, wo ich die Sammlungen der Originalmuster entgegennahm. Für Sie habe ich eine Anzahl der interessantesten Beispiele ausgesucht, als Ergänzung zum Buch. Ich sende ihnen die Muster loose mit Etiquetten + Hinweis auf die Seite des Buches. Ist Ihnen das recht? Selbstverständlich ist diese Ergänzung gratis.... ohne Datum Die Pariser Muster kommen im Dezember nach St.Gallen. Hoffe zu Weihnachten ihre Sendung bereit zu haben. St.Gallen 5. Dez. 1931 Vielleicht bringe ich die Muster selbst sonst schicke ich sie einstweilen und komme dann später einmal nach Glarus. In nächster Zeit bin ich schlecht abkömmlich. Mein mit Mustern zu belegendes Werk über St.Galler Industrie besteht vorläufig noch aus gesammeltem Material ich habe ein ganzes Zimmer voll davon ! Auch Literatur und allerlei was dazu gehört. Verarbeitet ist aber noch wenig. Es ist mir gelungen für die Jahre 1830 1930 fast lückenlos in mehreren Exemplaren die Kostümbilder zu beschaffen...... NZZ Zeitungsausschnitt vom 20. Juli 1932 betr. Stickereiausstellung in St.Gallen im Industrie- und Gewerbemuseum über Entwicklung der mechanischen Stickerei. Mit Originalmustern des Werkes La Broderie méchanique. In nächster Zeit erhalten Sie eine Anzahl Originalmuster wie sie ähnlich bei E. Iklé abgebildet sind. Ich wähle von den interessantesten Seidenen Typen und einige andere. Hoffe es gehe Ihnen recht gut, bei uns ist alles wohl. Es grüsst Sie freundlichst F. Iklé Zusammenstellung der Preise der Stoffmuster (Fr. 2.- bis 12.-, insgesamt 32.50).... St.Gallen 4. Februar 1933 Anbei erhalten Sie die erwähnten Originalmuster zum Buche von Ernst Iklé. Ich habe hauptsächlich die interessantesten Stücke gewählt und gewöhnlichere Weisswaren und Spitzen nicht so stark in Vertretung gebracht. Sollten Sie aus den Jahren 1880 bis 1900 noch etwas Mustermaterial wünschen, so kann ich es mit Leichtigkeit aus andern Beständen ergänzen - ich sehe beim Einpacken, dass die späteren Jahrgänge viel stärker vertreten sind. Die Muster sind etiquettirt, immer mit Jahreszahl, wenn ausserdem noch eine Zahl in gewöhnl Ziffern, so nimmt diese Bezug auf den Text des Buches römische Ziffern verweisen auf die entspr. Tafel des Buches. St.Gallen 4 März 1933 wenngleich auf Vollständigkeit noch kein Anspruch erhoben werden kann. Dazu wäre das gesamte Material des Industriegebietes nötig. Die meisten Häuser sind aber eingegangen und die anderen haben das alte Mustermaterial längst beseitigt! Von 1830 gibt es keine Muster 1830 50 nur ganz wenige (Museum St.Gallen). Kettenstichvorhänge konnte ich bis jetzt nicht bemustern. Falls Ihnen daran liegt so will ich nach Material Umschau halten. Sonst haben Sie nun alles wovon in dem Buch E.Iklé die Rede ist. Ich konnte nicht immer auf das Buch Bezug nehmen, bei Beschriftung der Couverts..... Die Zeit von 1760 1850 werde ich Ihnen gelegentlich zu bemustern suchen das ist aber nicht so leicht, wie Sie selbst sagten und braucht Zeit.... Ich möchte Ihnen empfehlen, gelegentlich die Couverts (z.B. 1900 1910) Weissstickerei durchzusehen. Sie werden Ihre helle Freude erleben über die Feinheit der Arbeit und der Grundstoffe. Die Sticker sind ausgestorben, die solche Arbeit geleistet haben. Mein Onkel Adolf Iklé hat die überaus feinen und zarten Stickereien auf der Handmaschine machen lassen es gab nichts Schöneres auf dem Markt..... St.Gallen 8. März 1933 Immerhin knüpfe ich an die Annahme Ihre grosszügige Spende die Bedingung, dass ich Ihre historische Sammlung noch in Kettenstichartikeln und in Material 1770 1830 ergänze...... Letzteres wird ja spärlich sein aber in einer Entwicklungsgeschichte dieser Industrie sehr wesentlich...... St.Gallen 14. März 1933 Ich notiere, dass Sie auf Stickereimuster Ende 18. bis 1830 keinen so grossen Wert legen. Sollte mir aber etwas in die Hände kommen eine ganz kleine Auswahl interessanter Dokumente so würde ich mir doch erlauben, es Ihnen zu unterbreiten es nimmt wenig Platz ein und gibt dem andern Material das Fundament...... Kettenstich: ich freue mich selbst bei dieser Gelegenheit in dies Gebiet tiefer einzudringen und Lücken in meinen Beständen auch auszufüllen.... |
Photo: Anne Wanner |
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