ANNE WANNER'S Textiles in History   /  publications

Der Mantel von Agnes von Habsburg
von Anne Wanner-JeanRichard
publiziert August 2000 in: Offene Szene Literatur, Heft 2/2000, S. 29

vgl. auch: Beschriftungstexte von Anne Wanner-JeanRichard, aus:
Claudia Brinker und Dione Flüeler-Kreis, Die Manessische Liederhandschrift in  Zürich, Ausstellungskatalog, Ausstellung von Juni bis September 1991, Schweiz. Landesmuseum, Zürich 1991, S. 263.

  Literaturauswahl:
- Brigitta Schmedding, Mittelalterliche Textilien in: Kirchen und Klöster der Schweiz, Bern, 1978, S. 121-123, 131
- Claudia Brinker und Dione Flüeler-Kreis, Die Manessische Liederhandschrift in  Zürich, Ausstellungskatalog, Ausstellung von Juni bis September 1991, Schweiz. Landesmuseum, Zürich 1991, S. 263.
- Adam Wandruczka, Das Haus Habsburg, Herder, Wien 1978
- Hellmut Andics, Die Frauen der Habsburger, München



 



  Chormantel der Königin Agnes,
Standort Benediktinerkloster Engelberg OW
Mantel frühes 14. Jh., süddeutsch-oberrheinisch.
Schild 2. Hälfte 13. Jahrhundert.
H 150cm, B 297cm, untere Weite ca. 470cm
konserviert Abegg-Stiftung Riggisberg BE 1972/1973.


Ausstellung 12. Juni bis 29. September 1991, Schweiz. Landesmuseum Zürich
  Sticktechnik:
Weisse Leinwand mit Leinen- und Seidenstickerei.
Beschreibung:
Zwei Teile, Im Rücken durch Schmuckborten verbunden und oben eingefasst, Borte unterteilt in Rechtecke mit weissen Vierbeinern, Vögeln und Pflanzen. Unterer Rand begrenzt von Inschriftenborte und Fransen. Mantelfläche mit Rautennetz aus 4 cm breiten Bändern mit gelben, eckigen Rosetten; Rautenfeldern (22,5 x 18,5cm) mit weissen Adlern auf blauem Grund und weissen Löwen auf rotem (rechte Hälfte) und grünem Grund (linke Hälfte). Mantelsegmente bestehend aus weisser Leinwand, bestickt mit weissem Leinengarn in versetztem Gobelinstich und mit farbigen Seidenfäden in Stielstich (quer zur senkrechten Musterachse). Bestickter Nackenschild. Die quadratische Form der figürlichen Stickerei mit nach aussen gerichteter Schrift lässt erkennen, dass er nicht zugehörig ist.
   
  Der Kosterchronist Ildephons Straumeyer bringt 1732 zum ersten Mal den Chormantel (Pluviale) schriftlich mit der Königin Agnes in Beziehung (Annalen II, S. 17). B. Schmedding vermutet, es habe sich ursprünglich um eine oder zwei Decken gehandelt, wie sie auf Bildern des 13. und 14. Jahrhunderts vorkommen. Wahrscheinlich gelangten diese aus dem Besitz der Königin Agnes ins Engelberger Kloster, wo sie zum Pluviale umgearbeitet und mit einer Inschriftenborte versehen wurden. Die nur fragmentarisch erhaltene Inschrift weist in die Zeit um 1318.
Agnes von Habsburg leitete 1317/18 bis 1364 das an der Mordstelle ihres Vaters Albrecht I., von ihrer Mutter errichtete Doppelkloster Königsfelden. Beziehungen Agnes' zum Kloster Engelberg OW sind erwiesen. 1307 wurde sie von Abt und Konvent in die Gebetsbrüderschaft des Klosters aufgenommen. 1325 trug sie die Kosten für die Einweihung der Klosterkirche, die nach dem Brand von 1306 wieder aufgebaut worden war.

Solche mit Rauten gemusterten Decken finden Parallelen in der oberrheinischen Buchmalerei. Mindestens vier Initialen in verschiedenen Handschriften zeigen Musterungen, die an einen textilen Behang erinnern, nämlich: Codex 6, Stiftsbibliothek Engelberg ("Bibly"), Initiale F, auf fol. 115v, 14. Jahrhundert, 2. Jahrzehnt; Graduale von St. Katharinenthal, fol 156, um 1312; Luzern, Ms. 18, fol. 124, vor 1316; Cod. U.H., Karlsruhe, Landesbibliothek, I, fol. 182v, nach 1318.
Diese Beispiele legen eine Datierung des Mantels ins frühe 14. Jahrhundert nahe. Der Herstellungsort muss eher im oberrheinisch-süddeutschen Gebiet als in Engelberg vermutet werden; dies, obwohl sich ähnliche Stickereien in Schweizer Sammlungen erhalten haben (vgl. Lit. Brinker/Flüeler, Kat. 128, 138).



 


links:
Initiale D, Graduale von St.Katharinental, 1312
Schweiz.Landesmuseum Zürich, Ms. 128, fol. 156

rechts:
Initiale U, Handschrift vor 1316
Luzerner Zentralbibliothek, Ms. 18, fol. 124
 
       
       
 
  Der Mantel von Agnes von Habsburg
  Es ist nicht bekannt, ob Agnes von Habsburg (1280-1364), verwitwete Königin von Ungarn, selber die Kunst der Nadel übte. Die Ueberlieferung bringt sie jedoch mit einigen Stickereien in Zusammenhang, die sie auf Reisen, vielleicht in Klosterwerkstätten erworben haben könnte. Hohe Adelige befanden sich nach mittelalterlicher Gewohnheit, mit ihren Gemahlinnen und einem Begleitzug, fast ständig auf Reisen. Sie hatten selten eine feste Residenz, und sie zogen durch die Lande, wohin Kriege, Kreuzzüge, Reichstage sie gerade riefen.

Die Stammlande der Familie der Habsburger lagen am Oberlauf des Rheines, im Elsass, im Breisgau und im Gebiet des Kantons Aargau. Im Benediktinerkloster Muri sind die ältesten Aufzeichnungen zur frühen Habsburger Familiengeschichte aufbewahrt.

Nach einer kaiserlosen Zeit, dem sogenannten Interregnum, hatten die deutschen Kurfürsten und der Papst das Bedürfnis, wieder einen König an ihrer Spitze zu sehen. Keiner der Fürsten war aber daran interessiert, dass jener allzuviel Macht bekommen könnte, und das Vererben der Königswürde war deshalb nicht vorgesehen. Am 1. Oktober 1273 wählten die Kurfürsten Rudolf I. von Habsburg (1218-1291), den Grossvater von Agnes, zum deutschen König. Man betrachtete diesen kleinen Fürst am Oberrhein als ungefährlich, sein Vermögen reichte nicht einmal aus für eine Krönung zum Kaiser in Rom.
  Eine Aufgabe des Königs bestand darin, grosse Ländereien und Herzogtümer zu verleihen. Starb nun eine Herrscherfamilie aus, so fiel das Verfügungsrecht über das Land wieder an den König zurück. In Oesterreich erlosch die Familie der Babenberger. Der böhmische König Ottokar 2. hätte dieses Land gerne für sich übernommen. Rudolf kämpfte jedoch darum und siegte am 26. August 1278 in der Schlacht auf dem Marchfeld. Nun verlieh er die zurückerworbenen Gebiete Nieder- und Oberoesterreich, Steiermark, Kärnten, Krain seinen eigenen Söhnen. Damit begründete er seine Hausmacht in Oesterreich, und mit seiner Uebersiedelung nach Wien trat die Bedeutung des alten Elsässischen und Schweizer Familienbesitzes zurück.

Für regierende Könige und Fürsten bedeuteten kinderreiche Familien sehr viel, erreichten doch nicht alle Kinder das Erwachsenenalter, und auch Erwachsene hatten sich mit vielen und unterschiedlichen Gefahren auseinanderzusetzen. Rudolf heiratete Gertrud von Hohenberg (1232 - 1281) im Jahre 1253, aus dieser Ehe gingen elf Kinder hervor. Der Sohn und Nachfolger Albrecht war mit Elisabeth von Tirol (1266-1313) verehelicht und ihnen wurden 21 Kinder geschenkt.

Nach dem Tode von Rudolf I. war es vor allem darum gegangen, die Herrschaft in Oesterreich und die Beziehungen zu Ungarn zu festigen
 
  Aus diesem Grund, vermählte Albrecht seine 17jährige Tochter Agnes mit Andreas, dem König von Ungarn. Die Ehe dauerte nur vier Jahre, und Agnes kehrte im Jahre 1301, als Witwe aus Ungarn nach Wien zurück. Sie unternahm nun mit ihrer Mutter Reisen im Gebiete des oberen Rheines. Hier traten die beiden Damen als Wohltäterinnen von Klöstern auf.

Ein Ziel von Albrecht bestand darin, ein erbliches Königtum der Habsburger zu schaffen. Aber ein Unglück vereitelte seine Pläne, er wurde am 1. Mai 1308 von seinem Neffen Johann am Reussübergang in der Nähe von Brugg ermordet. Am Orte der Tat liess seine Witwe Elisabeth das Kloster Königsfelden als Gedenkstätte errichten. Später übernahm Agnes die Leitung, und hier verbrachte sie den Rest ihres Lebens, als eigentliches Familienoberhaupt im Westen der Habsburgischen Länder. Von hier aus verfolgte sie die Königsmörder und deren Sippen, wie es heisst, mit erbarmungsloser Strenge.

Es sind auch Beziehungen zum Kloster Engelberg überliefert, und man weiss, dass Agnes 1307 von Abt und Konvent in die Gebetsbruderschaft des Klosters aufgenommen wurde. 1325 trug sie die Kosten für die Einweihung der Klosterkirche, die man nach dem Brand von 1306 wieder aufgebaut hatte. Sie interessierte sich auch für die frühe Entwicklung der Eidgenossenschaft.
  In Engelberg wird noch heute der sog. Chormantel von Königin Agnes aufbewahrt. Die Mantelfläche ist mit einem Rautennetz von 4 cm breiten Bändern gemustert. In den Rautenfeldern finden sich drei verschiedene Motive, nämlich gelbe Blütenformen auf grünem oder rotem Grund, weisse Adler auf blauem Grund und weisse Löwen auf rotem und grünem Grund. Beim Weiss handelt es sich um Leinengarn, das mit versetztem Gobelinstich auf den Leinengrund gestickt wurde. Die Felder sind mit farbigen Seidenfäden in Stielstich ausgefüllt.

Schmuckborten verbinden die beiden Teile im Rücken, und der untere Mantelrand wird von einer Borte mit Fransen und einer fragmentarisch erhaltenen Inschrift begrenzt, die auf die Zeit von 1318 weist. Der bestickte Nackenschild ist nicht zugehörig.

Wahrscheinlich verarbeiteten Nonnen aus Engelberg ein oder zwei Decken aus dem Besitze der Königin Agnes zu einem Chormantel und schmückten diesen zusätzlich mit Borten. Das Muster des Mantels findet Parallelen in der oberrheinischen Buchmalerei. Verschiedene, im frühen 14. Jahrhundert entstandene Handschriften mit ähnlich verzierten Buchstaben könnten die Stickereien der Decken angeregt haben. Der Herstellungsort muss eher im oberrheinisch-süddeutschen Gebiet als in Engelberg vermutet werden.
       
 
  Im Jahre 1615 übersiedelten die Nonnen vom Doppelkloster Engelberg ins Benediktinerinnen Kloster St. Andreas nach Sarnen und nahmen unter anderem auch zwei Altarbehänge mit sich. Diese gelangten zu Beginn des 20. Jahrhunderts ins Textilmuseum St.Gallen. Ihr Musterstil gleicht dem Agnesmantel, und eine Beziehung zu Buchmalereien des 14. Jhs lässt sich ebenfalls nachweisen. Weitere, früher in Königsfelden aufbewahrte Stickereien, befinden sich heute im Historischen Museum in Bern.

  Zweifellos hatte Königin Agnes für Nadelarbeiten grosses Interesse, es ist nicht ausgeschlossen, dass sie die Kunst des Stickens in Engelberg und in Königsfelden selber besonders förderte.
       
       

content  Last revised 16 June, 2006