ANNE WANNER'S Textiles in History   /  publications

Der Tausendblumenteppich und Maria von Burgund
von Anne Wanner-JeanRichard
Publiziert 1999 in:
Offene Szene Literatur

   
  Literaturhinweise:
- Carl Vossen, Maria von Burgund, des Hauses Habsburg Kronjuwel, Stuttgart 1982
- Florens Deuchler, Der Tausendblumenteppich, ein Abbild des Paradieses, Zürich 1984
- Florens Deuchler, Die Burgunderbeute, Bern 1963

   
 
  Der Tausendblumenteppich und Maria von Burgund

  Maria von Burgund soll Karl des Kühnen schönstes Juwel gewesen sein. Sie erblickte als seine und der Isabelle, Gräfin von Charolais Tochter, am 13. Februar 1457 das Licht der Welt.

Ueber ihre Erziehung wachten die Genter Bürger, und sie erhielt eine Bildung, die dem hohen Niveau des Hofes von Burgund entsprach. Neben Sprachen wie Latein, Flämisch, Französisch gehörte dazu auch Musikunterricht und eine Ausbildung in allen schönen Künsten. Ganz sicher verfertigte sie auch selber feine Handarbeiten.

Die geographische Lage und eine stabile politische Stiuatium liessen Handel und Gewerbe erblühen, und mit einer dreissig-jährigen Friedenszeit begründete Philipp der Guten (1396-1467) Reichtum und Bedeutung seines Landes.
  Die Herzöge von Burgund liebten den höfischen Prunk, es bildete sich ein festes Zeremoniell, eine Etikette heraus, die sich zum Bestandteil des höfischen Stils entwickelte.

Jeder fürstlichen Tagung eilten Hofmeister und Diener voraus, um Saal und Gemächer vom Boden bis zur Decke festlich auszukleiden.
Philipp der Gute war auch Vorbild der Eleganz und kleidete sich gerne in schwarzem Samt, denn darauf kamen seine Juwelen am besten zur Geltung.

Sein Sohn Karl der Kühne benutzte allerdings Prunk und Eleganz immer mehr für Schaustellungen grossen Stils. In jener Zeit entstanden in den Manufakturen von Brüssel Wandteppiche mit grossen Bilderfolgen, sie heissen auch Tapisserien oder Gobelins.
       
 
  Diese Gobelins sind in einer dem Weben verwandten Technik, der Wirktechnik, gearbeitet. Der Stoff entsteht wie bei Weben durch ein Zusammenspiel von straff gespannten Kettfäden und dem Eintrag oder Schuss. Im Unterschied zum Weben bearbeitet der Wirker nie die ganze Kettbreite, vielmehr baut er mit seinen farbigen Wollfäden, mosaikartig, immer nur die Farbfläche eines einzelnen Motives auf.
Die farbigen Schüsse werden so stark aneinandergepresst, dass die Kette völlig verschwindet. Die Kette hat hier nur eine gewebestützende Funktion. Form und Farben werden dem gegenüber ganz vom Schuss getragen.
Heldengeschichten, kriegerische, antike, christliche Erzählungen gelangten auf den Behängen zur Darstellung. Oft entstanden mehrteiligen Serien mit fortlaufenden Geschichten, die zur Ausschmückung von Innenräumen dienten.

Philipp der Gute könnte seiner Enkelin Maria solche Bildergeschichten erklärt haben. Besonders bedurften die Zeichen und Embleme des von ihm im Jahre 1430 begründeten Ordens vom goldenen Vlies einer Auslegung.
  Der griechische Jason zog mit den Argonauten, seinen Begleitern ostwärts nach Kolchis, um den enorm grossen, von Drachen, Schlangen und feuerspeienden wilden Stieren bewachten goldenen Widder zu bezwingen.
Die Königstochter Medea half ihm dabei. Jason zog nun dem Tier das goldene Fell samt Kopf, Hörnern, Beinen ab, und führte es als Zeichen mit sich. Auch für den biblischen Gideon (Buch Richter 6,36-40) bedeutete das Schaffell ein Sinnbild der Auserwählung, denn der Tau des Himmels senkte sich seiner Bitte entsprechend auf das ausgelegte Fell.

Im antiken Helden Jason und seinem Argonautenzug sah Philipp eine ideale Gemeinschaft. Sich selber betrachtete er als Stellvertreter Christi auf Erden, deshalb bedeutete die Verteidigung des Glaubens und der Kirche für ihn eine wichtige Aufgabe. Sein Staat sollte ein irdisches, von Frieden erfülltes Paradies darstellen. Aus diesem christlichen Auserwählungsgedanken und der antiken Gemeinschaftsidee entstand für ihn die Verpflichtung zu einem christlichen Kreuzzug nach Jerusalem.
       
 
  Der Orden des goldenen Vlieses erwies sich auch von grosser innenpolitischer Bedeutung. Philipp band damit die Ritterschaft seines Landes an seine Person. Gleichzeitig verband er durch das gemeinsame Gelöbnis die einzelnen, voneinander getrennten Gebiete seines Landes miteinander. Die Ritter trugen die goldene Ordenskette mit 24 Gliedern, aus so vielen Mitgliedern bestand der Orden zu Anfang, daran hing als Ordenszeichen die Nachbildung des goldenen Vlieses.

Es gibt keine Nachricht darüber, ob Maria von Burgund den Tausendblumenteppich kannte, jedoch weiss man, dass er in der glückliche Zeit zu Lebensbeginn der burgundischen Prinzessin entstand. Jene glücklichen Jahre erhielten bereits nach 1477 den Glanz eines goldenen Zeitalters. Der Friede sollte ewig dauern, ewiger Friede, ewiges Leben weist auf das Paradies, der Tausendblumenteppich kann verstanden werden als Anspielung auf das Paradies.

Der Teppich gehört zu einer Serie von ehemals acht, zum Schmucke eines Zimmers bestimmten Behängen.
Bei Grandson fiel er in die Hände der Eidgenossen, und heute befindet er sich im Historischen Museum in Bern. Er ist 306 cm hoch und 687 cm breit, ein unteres Drittel fehlt, es wurde möglicherweise bei der Beuteteilung abgeschnitten.
  Philipp der Gute gab die Teppiche im Jahre 1466 beim Brüsseler Wirker Jehan Le Haze in Auftrag. Jener arbeitete verschiedentlich für die Herzöge, im Jahre 1472 stieg er zum “Valet de Chambre” Karls des Kühnen und zum herzoglichen Tapissier empor. Dieses Amt trug ihm eine Pension ein, befreite ihn von Steuern.

In der Mitte des Teppichs erscheint das Wappen Philipps des Guten, die Kette des Ordens vom goldenen Vlies umgibt es. In den beiden oberen Ecken ist je ein Feuerstahl mit Feuerstein und Funken dargestellt, die weit in das Pflanzennetz hineinspringen.

Die einzelnen Pflanzen überraschen durch ihre Natürlichkeit, aber wie ein Stoffmuster sind sie tapetenmässig in den dunkelfarbenen Grund gesetzt. Solche Teppiche heissen “tapis de verdure”, die Berner Verdure ist das älteste erhaltene Beispiel seiner Gattung.

Als Anregung könnten Bordüren illuminierter Handschriften des burgundischen Hofes gedient haben. Hier finden sich in ein dekoratives System eingebundene Blüten. Es wäre möglich, dass direkte Vorlagen aus einem italienischen Herbarium stammen, denn einige der auf dem Teppich abgebildeten Blüten wuchsen zu jener Zeit nur im Mittelmeergebiet.
       
 
  Die Geschichte über das paradiesische Burgund und die schöne Prinzessin Maria ist damit aber nicht zu Ende, auf das Licht der glücklichen Jahre folgten dunkle, schwierige Zeiten, diese sollen zur Abrundung des Geschehens hier kurz skizziert sein:

Marias Mutter starb jung, und Karl der Kühne wurde hart, verbittert, rastlos, er kapselte sich ab. In dritter Ehe verband er sich mit Margarete von York (1446-1503), Schwester des englischen Königs Edward 4., aber diese Ehe blieb kinderlos. Bei der Heirat im Jahre 1468 zählte Maria elf Jahre, die 22jährige Stiefmutter wurde ihre beste Freundin und zuverlässigste Ratgeberin.

Aller Ehrgeiz und alle Pläne Karls richteten sich nun auf seine Erbprinzessin, die reichste Erbin Europas. Ein Prinzgemahl sollte Macht und Grösse des Hauses Burgund festigen. Eine Begegnung Karls des Kühnen mit dem Kaiser Friedrich 3. von Habsburg und dessen jugendlichem Sohne Maximilian kam im Herbst 1473 in Trier zustande.

Mit 400 Gepäckwagen voller Prunkteppiche, Gemälden, Schreinen und anderem mehr zeigte Karl der Kühne der Welt die Macht und den Wohlstand seines Reiches. Diese Demonstration bedeutete für ihn keine besondere Anstrengung, reiste er doch ständig mit allen seinen Schätzen umher. Das Mitführen der Reichtümer galt als burgundische Tradition, bei Kriegszügen wollte man auf diese Weise der Gegner beeindrucken, ja blenden.
  In Trier befand sich Karl sehr nahe am Ziel, fast hätte ihm der Kaiser den gewünschten Königstitel verliehen. Jedoch tauchten Schwierigkeiten mit dem französischen König auf, Friedrich 3. und sein Sohn verliessen Trier bei Nacht. Karls Wunsch erfüllte sich nicht.

Karl der Kühne weilte schon fast zwei Jahre ununterbrochen im Felde, und dies war auch für mittelalterliche Zeiten ausserordentlich. Im Jahre 1476 nahm er die Eidgenossen zu wenig ernst, und bei Grandson büsste er einen grossen Teil seines Hausschatzes ein. Das Bündnis mit Habsburg musste endlich zu Stande kommen, und ohne seinen Königswunsch weiterhin in den Vordergrund zu stellen, stimmte Karl einer Heirat zwischen Maria und Maximilian zu.

Der Verlauf der weiteren Ereignisse ist wohlbekannt, Karl der Kühne verlor auch den Krieg bei Murten, und schliesslich bei der Niederlage von Nancy sein Leben. Maria erbte nun neben Burgunds Schätzen die Händel und Fehden ebenfalls. So gab es Streit mit dem französische König, der das Burgund mit Dijon zurückverlangte, denn dieses Lehen galt nur für männliche Nachfolger.

Konnte die vorgesehene Heirat mit Maximilian von Habsburg unter diesen schwierigen Umständen noch in Frage kommen?
       
 
  Maria nahm die Angelegenheit in ihre eigene Hand und bat in einem Brief Oesterreich um Hilfe. Des Habsburgers Absichten hatten sich nicht verändert, er bereitete sich zur Reise vor und erreichte im Sommer 1477 Flandern. Die Hochzeit fand nun statt und die Festlichkeiten zogen sich mehrere Tage hin.

Eheliche Zuneigung kam damals in den Palästen selten vor, aber die Liebesgeschichte zwischen Maria und Maximilien wurde zur Legende. An manchen Abenden sollen die beiden vor den Tapisserien mit den vielen Bildergeschichten gesessen haben, und Maria erläuterte ihrem Ehemann deren Inhalt und auch die Techniken des Webens und des Stickens.

Die Zeiten blieben unruhig, Maximilien hatte die Franzosen in ihre Schranken zu verweisen, endlich, im Sommer 1479 erfocht er einen eindeutigen Sieg. Ausserdem konnte die männliche Erbfolge durch die Geburt des Sohnes Philipp am 22. Juni 1478 gesichert werden. Am 10. Januar 1480 kam die Tochter Margarete zur Welt. Nun konnte sich Maximilian friedlicheren Aufgaben zuwenden, er kümmerte sich um den Ausbau der Handelsstrassen, vereinheitlichte Münzen, Masse, Gewichte, regelte Zölle und Abgaben.
  Das kurze Glück erreichte ein Ende durch Marias Sturz vom Pferde anlässlich einer Jagd am 6. März 1482. An ihren inneren Verletzungen starb sie drei Wochen später, im Alter von 25 Jahren, einem Monat und 14 Tagen.
Die Bevölkerung brachte dieser “Dame par excellence” tiefempfundene Verehrung entgegen, mit Mut, Demut, Anmut hatte sie in schwierigen Zeiten deren Liebe gewonnen, bei ihrer Bestattung erlebte Europa ein Trauerzeremoniell von seltenem Ausmasse.

Grossmutter Margarete, selber erst 36 Jahre alt, nahm die beiden kleinen Kinder zu sich, einige Jahre später verliess Maximilien das Land, in dem er sich ohne Maria fremd fühlte. Die kleine Margarete wurde mit dem französischen Dauphin verlobt und in Amboise erzogen. Als jener aber 21 Jahre zählte, fühlte er wenig Neigung, sich mit seiner 12 jährigen Braut zu verbinden, und man schickte sie nach Flandern zurück. Später ging sie zwei nur kurze Zeit dauernde Ehen ein, die aber kinderlos blieben, und sie stand nun ihrem inzwischen Kaiser gewordenen Vater als Statthalterin in den Niederlanden zur Verfügung. Von 1507 bis 1530 leitete sie die Geschicke der Niederlande, Burgunds, Savoyens.
       
 
   
       
       

content  Last revised 15 June, 2006