ANNE WANNER'S Textiles in History / publications |
Kirchliche Textilien im Rätischen
Museum Publiziert 1969 in: Bündnerisches Monatsblatt, von Anne Wanner-JeanRichard |
erwähnte
Objekte: Standort:
Rätisches Museum Chur |
Kasel Inv.Nr. XII 2.2 - mit Flockseiden Applikation |
Literaturangaben: 1) Thérèse de Dillmont, Encyklopaedie der weiblichen Handarbeiten, Dornach o.J. 2) Joseph Braun, Die liturgische Gewandung , Freiburg i.Br. 1907, S. 207-208. 3) Arthur Lotz, Bibliographie der Modelbücher, Beschreibendes Verzeichnis der Stick- und Spitzenmusterbücher des 16. und 17. Jahrhunderts, Leipzig 1933. 4) Marie Schütte, Alte Spitzen, Braunschweig 1963, S. 77. 5) Notker Curti, Alte Leinwanddrucke in Graubünden, Bündnerisches Monatsblatt 1924, S. 54-62. 6) Adolf Reinle, Ein Zeugdruck nach einem Rapperswiler Holzuschnitt des 15. Jahrhunderts, Unsere Kunstdenkmäler 1965, S. 29-32. 7) wie 5, S. 55. |
Bis vor
kurzem besass das Rätische Museum nur wenige, jedoch
zumeist kostbare Paramente. Aus diesem Altbestand sollen
hier ausgewählte Stücke vor allem im Blick auf den
Dekor und die textilen Techniken gewürdigt werden. |
Das Madonnengewand
(Inv.Nr. XII 2.11), das lange Jahre in Parsonz Verwendung
fand, ist ein Beispiel für reiche Gold- und
Seidenstickerei im frühen 18. Jahrhundert. Zu dem Gewand
gehört ein gleichermassen besticktes Kleid für das Christusknäblein
(Inv. Nr. XII 283), welches die Muttergottes auf
ihrem Arm trägt, sowie ein besticktes langes Tuch (Inv.
Nr. XII 2.11a) als Schleier. Mit den beiden Gewändern wurden zweifellos Holzbüsten bekleidet, die auf einem in der Regel dreibeinigen Holzgestell ruhten, das der lange Rock jedoch verdeckte. Eine solche Holzfigur war steif und unbeweglich, also durchaus nicht ohne Mühe zu bekleiden. Eine genaue Betrachtung des Kleidzuschnittes zeigt aber, dass man sich zu helfen wusste: Die Aermel sind nicht wie üblich an das Gewand angenäht, sondern mittels Bändern an diesem befestigt. Auch ist das Kleid hinten von oben bis unten offen und mit einem Schnürverschluss versehen. Es war nicht nötig, dass diese hinteren Stoffkanten einander berührten, stand doch die Statue gewöhnlich nicht im freien Raum; eine Betrachtung war nur von vorne möglich. Unser Madonnenkleid besteht aus feiner weisser Satinseide und ist reich bestickt. Vor allem vorne erkennt man Motive in verschiedenen Techniken der Goldstickerei: Bei der sogenannten Anlegetechnik wird der Goldfaden auf den Stoff gelegt und sichtbar oder unsichtbar mit Ueberfangstichen in gleicher oder abstechender Farbe festgehalten. Wünscht die Stickerin mehr Relief in ihre Stickformen zu bringen, so bedient sie sich der Sprengtechnik, die für die Musterfiguren immer eine dichte und steife Unterlage verlangt. Ueber diese meist aus Karton gefertigten Formen wird der Goldfaden hin- und zurückgeführt und nach jedem Legen von unten her mit einem oder zwei Stichen festgehalten. Der kostbare und darum sparsam gebrauchte Metallfaden liegt somit nur auf der Sichtseite. Neben der Goldstickerei weist das Gewand eine reiche Verzierung mit bunten Blüten und Blätterranken auf. Wir haben hier ein sehr schönes Beispiel von Nadelmalerei |
vor uns, also eine Nadeltechnik, die der Pinseltechnik im Aussehen nahe kommt. Die Stickerin verwendete sehr feine Seidenfäden in allen Farben und befestigte diese in Plattstichtechnik auf dem weissen Untergrund. Goldstickerei und Nadelmalerei wurden von geübten Händen ausgeführt, einheimische Landfrauen wären wohl mit den feinen Nadeln und Fäden kaum zurecht gekommen. Deshalb ist es sehr unwahrscheinlich, dass diese Stickerei im Bündnerland selber entstand. Vermutlich stammt das Gewand aus einem oberitalienischen Kloster und ist über Maloja- und Julierroute nach Parsonz gelangt. |
Neben der
kostbaren Stickerei auf dem Madonnengewand, finden wir in
der Sammlung des Rätischen Museums auch Stickerei auf
Messgewändern, sog. Kaseln. Zwei Kaseln, deren Herkunft nur in einem Fall bekannt ist, verzierte man mit der eher seltenen Flockseiden-Applikationstechnik. Da wird Flockseide auf den Stoff gelegt und quer zu den einzelnen Fasern in Ueberfangstichen festgehalten. Die einzelnen Konturen stickte man in Stielstich auf den weissen Leinenstoff der Kaseln. Auf der Vorderseite der einen (Inv.Nr. XII 2.2) finden sich Rosen-, Tulpen und Nelkenmotive in geometrischer Anordnung, während die Rückseite der aus Breil/Dardin stammenden anderen (Inv.Nr. XII 2.3) eine Kreuzigungsszene wiedergibt: Christus am Kreuz ist umgeben von fünf Engeln, die das Blut der Wunden in Kelchen auffangen. Je zur Seite des Kreuzes stehen Maria und Johannes, während Magdalena neben dem Schädel mit Gebeinen am Kreuzfuss kniet. Das ganze Geschehen spielt sich auf einem Blumengrund mit denselben bunten und stilisierten Blumen wie auf der Vorderseite ab. Das ornamentale Element durchdringt die Szene in einem solchen Mass, dass die Figuren in den Blumen verschwinden und einzig der helle Christuskörper auf dem dunklen Kreuz hervorsticht. Ist dies wohl bewusst geschehen, oder waren Stickerinnen am Werk, die es nicht besser verstanden, das Figürliche vom Ornamentalen zu trennen? |
Weiter fällt
auf, dass die Flockseiden-Applikation keineswegs dieselbe
feine Seidenstickerei ist wie die Nadelmalerei, und
ausserdem finden wir als Unterlage einen einfachen
Leinenstoff und nicht die kostbare Satinseide des
Madonnengewandes. All diese Unterschiede weisen auf den eher volkstümlichen Charakter der vorliegenden Stickerei hin. Vermutlich ist sie in Bünden selber geschaffen worden. Da sich diese Sticktechnik im 17. Jahrhundert im benachbarten Oesterreich findet, können unsere Kaseln auch von dorther nach Graubünden gelangt sein. |
Ein kleines,
schon ganz verblasstes leinenes Kelchtüchlein aus
dem Kloster Disentis (Inv.Nr. XII 2.8) ist ebenfalls mit
Flockseiden-Applikation verziert. Es zeigt eine Pietà im
Zentrum, zu deren linken Petrus mit den
Himmelsschlüsseln und rechts einen nicht genau
bestimmbaren Heiligen mit Kelch. In den Ecken erscheinen
vier geflügelte Engelsköpfe, und unter der
Pietà-Gruppe stützt ein Engel seinen Ellenbogen auf
einen Totenkopf, daneben steht eine Sanduhr. Mit seiner Thematik und mit den Symbolen weist dieses wohl im 17. Jahrhundert entstandene Tuch auf Christi Tod, auf die Beweinung und auf die Himmelfahrt hin. Auch hier sind Blumenmotive eingestreut, die aber auf diesem Kelchtuch weniger dominieren als die Blumen auf dem Priesterkleid. |
Leder anstelle von Seide ist ein eher seltenes Material für Messgewänder. Das Museum besitzt zwei Kaseln dieser Art (Inv. Nr. XII 2.1 und 2.4), von denen die eine aus Peiden stammt. Diese sind nicht bestickt; vielmehr rauhte man das Leder auf und färbte es rötlich ein. Granatrosen und Ranken, ferner feine Punktverzierungen, wie sie auch auf italienischen Samten anzutreffen sind, wurden in Gold aufgepresst. Das Innenfutter besteht aus einem blassroten Leinenstoff. Die Lederkaseln gehören ins 18. Jahrhundert und sind kaum im Kanton Graubünden selber entstanden. Möglicherweise ist Italien Ursprungsland auch für diese Messgewänder. |
Betrachten
wir nochmals das kostbare Madonnenkleid, die bestickten
Paramente und Kelchtücher, so fällt auf, dass sie alle
nicht mit Sicherheit im Kanton Graubünden hergestellt
wurden. Teilweise führte man sie als Kostbarkeiten aus
benachbarten Ländern ein. Aber nicht überall konnte man
sich diese ausländischen Erzeugnisse leisten, so suchte
man den einfacher herzustellenden Ersatz. Direktdruck mit
Holzstempeln auf Stoff, hauptsächlich mit schwarzer, hie
und da auch mit roter Farbe, ist ein solcher Ersatz. Bereits im 17. Jahrhundert findet man Holzmodeldrucke auf grober, fester Leinwand, also auf Stoffen, welche die einheimischen Bäuerinnen aus Hanf und Flachs bis zum fertigen Gewebe im Hause herstellten. Vermutlich nähten dieselben Bäuerinnen die Stücke in der gewünschten Grösse zusammen und verzierten die Nahtstellen sehr häufig mit einem Klöppelgrätchen. Es ist anzunehmen, dass nicht die neueste Leinwand zum Drucker gebracht wurde, sondern dass es sich vielmehr um ältere, schon oftmals gewaschene Stücke handelte, auf denen die Druckfarbe besser haftet. Der Drucker kann nicht weit entfernt gewohnt haben, er muss zum bäuerlichen Handwerkertum grösserer Dörfer gehört haben. Vorlagen zu bedruckten Decken trifft man bereits in Modelbüchern des 15. und 16. Jahrhunderts an, in den meisten Fällen aber müssen Tücher mit solch alten Mustern wesentlich jünger datiert werden als die Motive selber. Der Grund liegt darin, dass sich die Holzmodel naturgemäss nach einer gewissen Zeit abnützen. Der ländliche Drucker, der sein Motiv nicht |
gerne
verlieren wollte, schnitt nach seiner alten Vorlage einen
neuen Stempel. Auf diese Weise können sich Musterformen
bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts erhalten haben,
jedoch nicht wesentlich länger, da in dieser Zeit die
Handdruckerei allmählich verschwand. Charakteristisch
für den europäischen Zeugdruck des 17. Jahrhunderts
sind die Spitzenimitationen. Diese Musterungsart trat
zuerst in Deutschland auf, zu einer Zeit, als sich die
Bevölkerung, die während des Dreissigjährigen Krieges
verarmt war, keine Spitzen mehr leisten konnte. Man weiss, dass die echte Spitze in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Italien erfunden worden ist. Dies lässt sich anhand von Spitzen-Modelbüchern nachweisen, deren früheste italienischen Ursprungs sind. Sie wurden in Venedig gedruckt. Die gleichen Spitzenvorlagen lassen sich ohne weiteres für Druckspitzen verwenden. Man findet in Deutschland solche Ersatzspitzen nach italienischer Vorlage. Diese neue Musterungsart entsprach auch den Verhältnissen und Bedürfnissen des Berglandes Graubünden. Es ist nicht verwunderlich, dass man die gedruckte Spitze hier ziemlich häufig antrifft, und zwar nach den bisher bekannten Beispielen mit einer gewissen Stilverspätung gegen Ende des 17. und anfangs des 18. Jahrhunderts. |
Ein schönes
Beispiel für Spitzenimitation ist ein
heute im Schweiz. Landesmuseum
aufbewahrtes Antependium unbekannter
Herkunft (Inv.Nr. LM 3405.185), das einst zur Verkleidung
der Vorderseite eines Altartisches diente. Die Madonna im
Strahlenkranz ist von Heiligen umgeben, und um die ganze
Szene führt eine Ornamentbordüre, die unzweifelhaft
Spitzen nachahmt. Verwandte
Stücke mit der Muttergottes im Zentrum finden sich auch
im Klostermuseum Disentis. Hier zeigt es
sich, dass dichte Musterungen am Rand beliebt waren. Die
ornamentfreien hellen Stellen mit der Madonna auf einem leinenen
Vespertuch aus Igels/Rumein ziehen den
Betrachter umso stärker an. Eine Durchdringung von
Ornament und Figuren wie auf dem oben beschriebenen
bestickten Parament, ist also keineswegs angestrebt. Vom 16. bis ins 18. Jahrhundert hinein
wurden wie andernorts auch in Graubünden bedruckte
Sargtücher mit Totenköpfen und dem Monogramm
Christi (IHS) verfertigt. Das im Bündner Oberland
erworbene leinene Fragment des Rätischen Museums
(Inv.Nr. XII C 29) zeigt in vier engbedruckten Eckfeldern
Totenschädel über gekreuzten Gebeinen, die mit der
Inschrift IHS abwechseln. Grössere Schädel, von
züngelnden Flammen umgeben, bilden die Arme eines
Kreuzes, in dessen Mittelfeld eine helle Fläche für die
Kreuzigungsgruppe ausgespart ist. Drei Engel sammeln das
Blut der Wunden, Maria und Johannes stehen am
Kreuzesstamm, an dessen Fuss der Totenschädel ruht. Die
Inschrift INRI erscheint seitenverkehrt. Dies ist in
einfachen Druckbetrieben gelegentlich anzutreffen. Der
des Lesens vielleicht nicht kundige Modelstecher hat sich
nicht überlegt, dass die Buchstaben, die er in normalern
Schrift in den Holzblock eingrub, im gedruckten Bild
seitenverkehrt erscheinen. |
|
Ein Sargtuch
im Klostermuseum Disentis gleicht dem Churer
Tuch in der Anordnung der Motive, jedoch fehlt das
Mittelbild mit dem gekreuzigten Christus, dafür werden
die von Schädeln gebildeten, senkrechten Kreuzesarme
rechts und links von einer Blumenbordüre begleitet.
Diese Bordüre weist wohl auf eine etwas spätere
Entstehungszeit hin. Das Churer Stück könnte ins
beginnende 18. Jahrhundert und das Disentiser Sargtuch in
die 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts datiert werden. Das Datierungsproblem der Schwarzdrucke sei nun anhand eines letzten Beispieles nochmals zusammengefasst. Das Gewerbemuseum Basel besitzt ein Bündner Kelchtuch (InvNr. 1918.33) mit einer Blumen-Blätter-Bordüre und einer Kreuzigungsdarstellung im Zentrum. Die unter dem Kruzifix und den beiden Kelchen wiederholten Grossbuchstaben weisen auf das im Messopfer gegenwärtig gesetzte Kreuzopfer hin: P(assio) D(omini) N(ostri) J(esu) Ch(risti). Im Rätischen Museum wird ein beinahe gleiches leinenes Tuch aufbewahrt (Inv.Nr. XII 2.9). Für den gekreuzigten Christus, für Maria und Johannes sowie für die Kelche links und rechts aussen müssen beim Druck der beiden Kelchtücher dieselben Stempel verwendet worden sein. Das Innenbild des Basler Tuches ist etwas einheitlicher und gestraffter als dies beim Churer der Fall ist. Hier wurden nämlich gegenüber der Basler Darstellung sechs Engel und verschiedene Blumen und Sterne beigefügt. Ausserdem trägt dieses Kelchtuch, welches ursprünglich in Breil verwahrt wurde, interessanterweise die Jahrzahl 1815. Hiermit bestätigt diese Gegenüberstellung die obigen Ausführungen: Während nämlich die religiöse Darstellung ins 17. oder gar noch ins 16. Jahrhundert weist, gehört die Pflanzenbordüre, die sich in ihrem Stil an die Kattunmuster anlehnt, ins 18. Jahrhundert. Die Jahrzahl auf dem Churer Stück verdeutlicht, dass diese verschiedenen alten Motive noch im beginnenden 19. Jahrhundert Verwendung fanden. |
|
Zum Schluss
seien einige Bemerkungen über die Motive, die wir auf
den besprochenen kirchlichen Textilien angetroffen haben,
angefügt. Neben den figürlichen Szenen religiösen Inhalts wurden auch ornamentale Muster abgebildet, aber nirgends findet sich ein Hinweis dafür, dass für diese kirchlichen Tücher besondere Ornamentmotive verwendet worden wären. Beim Madonnengewand zum Beispiel wählte die Stickerin dieselben Blütenranken und die gleichen abstrakten Ornamente, die auch in der profanen Stickerei zu finden sind. Auch das Messgewand zeigt stilisierte Rosen, Tulpen und Nelken, die in derselben Form auf Trachtenteilen vorkommen. Ursprünglich, zur Zeit des Mittelalters, war solchen Blumenmotiven Symbolgehalt eigen; sie wurden vor allem im Zusammenhang mit dem Marienkult oft dargestellt. Die Tatsache aber, dass sie bei unseren Beispielen in |
Verbindung
mit der Kreuzigung vorkommen, zeigt doch, dass ihnen kaum
mehr symbolischer Wert beigemessen wurde; in den meisten
Fällen setzte man sie aus rein dekorativen Gründen auf
Textilien. Auf den besprochenen Beispielen wird vor allem
der Opfertod Christi dargestellt; auch die Mutter Gottes
mit dem Kind ist zusammen mit Heiligen häufig
abgebildet. Zwischen der liturgischen Verwendung des
Textilstückes und der bildlichen Darstellung besteht ein
Zusammenhang, was sowohl bei den Kaseln wie bei den
Kelch- und Sargtüchern deutlich zum Ausdruck kommt. Wir befinden uns mit diesen Werken einer vorwiegend ländlichen Kultur bereits in einer Zeit, welche Bibelillustrationen viel besser verstand als die symbolhafte Sprache von Pflanzen und dekorativen Anordnungen. |
content | Last revised 18 December 2005 |