ANNE WANNER'S Textiles in History   /  publications

Bündner Trachten, Textilien und Textilgeräte
Publiziert 1979,
in:
Das Rätische Museum, ein Spiegel von Bündens Kultur und Geschichte, Chur 1979, S.348
von Anne Wanner-JeanRichard

  Literaturangaben:
- Beretta-Piccoli, Maria, Die Benennung der weiblichen Kopftracht des Landvolks der deutschen Schweiz, Bern 1936
- Chönz, Selina, Engadiner Kammtaschen, in: DU 30, 1970, S. 576-585
- Curti, Notker, Stuorz und Capetsch, Trachtenstudie aus dem Bündner Oberland, in: ASA 19, 1917, S. 122-140
- Kreuzstich und Filetmuster aus Graubünden, Kulturhistorische Monographie mit 20 Kunstbeilagen und 80 Tafeln mit Stickerei-Vorlange, Neue Folge, Chur 1929
- Textilien, in: Katalog der Disentiser Klostersammlung, Disentis 1936, S. 7-16
- Goldstern, Eugenie, Beiträge zur Volkskunde des bündnerischen Münstertales, Wien 1922, S. 40-43
- Heierli, Julie, Volkstrachten von Zürich, Schaffhausen, Graubünden und Tessin, Erlenbach-Zürich 1930
- Horvath, A.. Barbara und Werder, Margrit, Macramé, Die Sammlung Maurizio im Rätischen Museum, SRMC 22, 2978
- JeanRichard, Anne, Kattundrucke der Schweiz im 18. Jahrhundert, Diss., Basel 1968
- Schneider, Jenny und Wanner-JeanRichard, Anne, Bündner Kammtaschen aus dem 17. - 19. Jahrhundert, SRMC 7, 1969
- Simonett, Christoph, Ein königliches Tischtuch und ein Grabstein ohne Namen, in: BM 1961, S. 240-245 (betr. Taf. A)
- Sutter, Leonhard, Alte Bündner Stickereien und Webereien, Ausstellung im Gewerbemuseum Winterthur, Winterthur 1927
- Wanner-JeanRichard, Anne, Textilien aus dem Kanton Graubünden, in: Schweizer Volkskunst, Hg. Pro Helvetia, Zürich 1969, S. 31-38
- Witzig, Louise, Schweizer Trachtenbuch, Zürich 1954
   
 
  Die Bündnerin des 18. und 19. Jahrhunderts zeigte eine Vorliebe für Stickereien, sei es auf Teilen ihrer Tracht, auf Wäschestücken und auf Decken aller Art. Das Rätische Museum, welches die reichste und bedeutendste öffentliche Sammlung von Bündner Textilien verwahrt, vermag dies augenfällig zu belegen. Noch liegen auch bei Bündnern, die das Erbe der Ahnen hochhalten, sehr viele Textilien in Truhen und Schränken.

Das ländliche Kleid entwickelte sich durchaus innerhalb der allgemeinen Mode, aber die Formen gelangten mit der Verspätung, die für abseits der kulturellen Zentren liegende Gebiete typisch ist, in die Bergtäler. Die roten Röcke entsprechen z.B. der spanischen Hofmode des 17. Jahrhunderts, während sie im Engadin hauptsächlich im 18. Jahrundert anzutreffen sind. Sie gehören übrigens auch zur Tracht der Deutsch-Freiburgerinnen. Der Einfluss des näheren und fernern Auslandes auf die ganze Textilkunst im Bergland Graubünden ist auf dem Weg über die in fremdem Solde stehenden Bündner Soldaten und Offiziere, über politische Missionäre, über die Kleingewerbler und später über Grossunternehmer, die oftmals mit neuen Anregungen, Andenken und Geschenken aus den Städten Europas in ihre Heimat zurückkehrten, zwar leicht zu erklären, jedoch wenig erforscht worden.

Meistens bemühten sich die Frauen ländlicher Regionen, durch feinere Tracht den höheren Ständen näher zu rücken. Die Trachtenformen wandelten sich innerhalb der rund 200 Jahren ihres Bestehens, d.h. im 18. und 19. Jahrhundert immer wieder. In Bünden stellte die Lugnezer Tracht für das Oberland den älteren Typus dar, der bis gegen 1840 allgemein getragen wurde. Diesen löste das dunkle Biedermeiergewand mit dem engen Jäckchen und den weiten sogenannten Schinkenärmeln ab. Aehnliches gilt für die rote Rokoko- und für die schwarze Empiretracht im Engadin. Die in Museen aufbewahrten historischen Trachten waren nur selten tägliches Arbeitsgewand, blieben doch vor allem die kostbaren Kleider erhalten, wie man sie an Sonn- und Feiertagen trug.
  Die Tracht darf keinesfalls als starre Uniform aufgefasst werdem; sie ist ständig verschiedenen Umwelteinflüssen offen und damit Wandlungen unterworfen. Das Museum besitzt keine vollständige und typische Männertracht, ja es scheint, dass es in Graubünden gar keine spezilelle Tracht für Männer gab.

Alle Teile der Frauentracht, Rock, Jacke, Schuhe, Handschuhe, können mit Stickerei verziert sein. Besonders reiche Stickereien finden sich an Miedern, Vorsteckern, Schultertüchern und an Kopfbedeckungen. Das Mieder, ein enges Trägerjäckchen, das am Leib mit feinen Haselruten versteift ist, umschnürt die Taille eng. Der ebenfalls brettharte Vorstecker wird mit einer Seite am Mieder befestigt und mittels unsichtbar angenähter Haften mit der gegenseitigen Miederkante verbunden. Meistens sind Mieder und Vorstecker aus demselben Material gearbeitet; ein dunkler Wollstoff, ausnahmsweise auch Samte oder Seiden, sind als Grund für die bunten Plattstichstickereien aus feinen Seiden- und Wollfäden besonders geeignet. Im 19. Jahrhundert kommen Gold- und Silberstickereien häufiger vor, die bunte Farbigkeit verschwindet zugunsten von schwerem, glänzendem Prunk. Mit Anlege- und Sprengtechnik war es der Stickerin möglich, mehr Relief in ihre Stickformen zu bringen; der Metallfaden wurde dabei über eine steife Unterlage, z.B. Karton, hin- und zurückgeführt. Im Interesse der Materialeinsparung liegen diese Metallfäden fast ausschliesslich auf der Oberfläche des Stoffes. Liess man das Mieder gelegentlich ohne Schmuck, so wurde wenigstens der Vorstecker bestickt. Fast alle de rund vier Dutzend Vorstecker im Rätischen Museum sind mit reichen Stickmusterungen versehen, aber nicht zweimal findet sich dieselbe Anordnung. Rosen, Tulpen, Nelken, Granatäpfel, Herz- und Blattmotive kommen in immer neuen Kombinationen vor. Hier konnte die Stickerin ihre Phantasie walten lassen und ihre persönliche Eigenart zum Ausdruck bringen.
       
 
  Bei den prächtigen Engadiner Schultertüchern lassen sich im wesentlichen zwei Hauptgruppen unterscheiden: einerseits gibt es dunkle Seiden-, Samt- oder Wolltücher mit denselben Blumenmotiven wie auf den Miedern und Vorsteckern; kräftig hebt sich die farbige Seidenstickerei oder die glänzende Metallfaden-Stickerei vom dunklen Stoffgrund ab. Andererseits kommen hauchdünne, helle, oft weisse Seidengewebe vor, die an zwei Kanten und in einer Ecke mit für die feine Gaze allzu schweren Gold- und Silberstickereien versehen sind. Es steht nicht eindeutig fest, wo diese Stickereien entstanden. Möglicherweise sind es in- oder eher ausländische Klosterarbeiten, vielleicht aber ist an Werke von Tiroler oder italienischen Stickerinnen, die vorübergehend im Engadin arbeiteten, zu denken. Erwähnenswert sind auch die Freud- und Leidtücher. Es handelt sich um dunkle, auch blaue oder braune Baumwolltücher mit eingewebten Randmustern und mit einem gestickten Blumenstrauss als Eckverzierung. Die Tücher sind quadratisch und werden der Diagonale nach zum Dreiecktuch gefaltet. Ueblicherweise wird so die bunte Verzierung sichtbar. War die Trägerin in Trauer, so benützte sie die andere Seite, deren Musterung ganz weiss war. Die im Rätischen Museum erhaltenen Schultertücher des Oberlandes und des Gebietes um Chur zeigen vorwiegend Webmusterungen. Sie gehören in den meisten Fällen zu den Trachten des späteren 19. Jahrhunderts: es scheint, das sie von Gewerbetreibenden aus Oberitalien oder Frankreich mit nach Hause gebracht wurden.

Nicht alle Hauben und Kappen sind mit Stickerei verziert. Eine der ältesten Formen, der Capetsch, war nie bestickt. Diese Haube scheint im 17. Jahrhundert in Süddeutschland heimisch gewesen zu sein; sie war in Bünden vor allem im 18. Jahrhundert verbreitet. Dokumentarisch ist der Capetsch bereits für das Jahr 1679 im Oberland bezeugt. Er wurde dort noch bis gegen 1870 bei Prozessionen getragen. Wohl die bekannteste Kopfbedeckung der Bündnerinnen ist das zur Rokokotracht gehörige Coppelin oder Capadüsli.
  Als kleines flaches Käppchen von schwarzer Farbe trug man es im Prättigau und im Bergell. Etwas grösser, bunt und hell und aus kostbarem Seidenbrokat gefertigt, war es in bürgerlichen Kreisen, also z.B. in Chur, anzutreffen. Am häufigsten aber kommt es im Engadin vor. Hier entwickelte es sich zur steifen Kopfbedeckung aus Samt oder Seide. Auf beiden Seiten sind bunter Seidenstoff oder ein farbiges Band muschelartig drapiert; der dunkle Mittelstreifen ist für Stickereiverzierungen geeignet. Die meisten Beispiele zeigen Motive in glänzender Silber- oder Goldstickerei; sie sind wahrscheinlich im frühen 19. Jahrhundert entstanden. Die sogenannten runden Schlappen trug man im 19. Jahrhundert vor allem im Oberland, in etwas anderer Form aber auch im Misox. Diese meist schwarzen oder dunkelbraunen Kappen weisen häufig Blumenmotive in Reliefstickerei aus Gold und Silber auf. Schliesslich sind die zuweilen mit besonders eigenwilliger Stickerei versehenen Valser Zughubi zu erwähnen. Diese wurden ebenfalls bis weit ins 19. Jahrhundert hinein getragen.

Die Kinderhäubchen sind wie die Frauenhauben reich bestickt. Besondere Sorgfalt liess man den Taufhauben angedeihen, vererbte man diese doch zusammen mit der ganzen Täuflingsausstattung, zu der besonders auch die bestickten Taufdecken und die Fäschen genannten Wickelbänder, welche ebenfalls verziert wurden, gehörten, von Generation zu Generation. Auch die Fallhauben zeigen zuweilen Stickereien. Diese breiten, gepolsterten Kopfbänder sind oben kreuzweise mit Bändern verbunden. Sie schützen Kleinkinder beim Umfallen vor Verletzungen.

Zu den Kopfbedeckungen gehören auch die aus feinem Metalldraht kunstvoll gefertigten Brautkronen. In Untervaz wurden sie direkt auf den Kopf gesetzt. Andernorts in Graubünden ist dieses Flittersträusschen nur sehr klein. Im Oberland steckte es die Braut auf den Capetsch und im Engadin auf das Capadüsli.
       
 
 

Wesentliche Merkmale der Tracht sind nicht allein die Verzierungen, die Farben und Formen, sondern auch die Tatsache, dass man die Röcke, die Jacken, die Hemden aus dauerhaften, selbst erzeugten Stoffen verfertigte. Für deren Herstellung pflanzte man Hanf und Flachs und hielt eigene Schafe. Spinnräder, Webstühle und andere Textilgeräte, die zur Verarbeitung der Grundstoffe nötig sind, gehörten somit zu den häuslichen Gerätschaften. Armrocken und Handspindel sind die urtümlichen Spinngeräte. An deren Stelle trat später das viel leistungsfähigere Spinnrand, von dem das Rätische Museum eine beachtliche Anzahl verschiedenster Typen besitzt: Am primitiven und schmucklosen Handspinnrad muss das Rad von Hand gedreht werden. Beim Tretrad bewirkt ein Fussbrett die Radumdrehung. So bleiben beide Hände für die Formung des Fadens frei. Hier unterscheidet man zwischen dem liegenden und dem aufrechten Spinnrad. Das eine Mal ist der Spinnapparat neben, das andere Mal über dem Rad angeordnet. Eine als ältester Typus beurteilte weitere Variante gelangte aus Vrin ins Rätische Museum. Dieses Gerät mit der schrägen Bankform war für Holland charakteristisch; es wird aber als "altes englisches Trittrad" bezeichnet. Das Handwerk des Spinnraddrechslers kann für das Oberland bis 1915, für andere Gebiete, z.B. Vals, Tavanasa, Vaz und für das Prättigau, bis um 1900 nachgewiesen werden. Wahrscheinlich wurden nur das Handspinnrad, der sogenannte Spinnbock, und das liegende Tretspinnrad in Graubünden selber

  hergestellt. Das handwerklich anspruchsvolle aufrechte Rad, das auch Tiroler- oder Schwobenrad heisst, wurde wohl aus Deutschland eingeführt.

Bevor die Bäuerin mit dem Spinnen der Faser begann, waren Vorbereitungsarbeiten notwendig: Mit dem auch Kardätsche genannten Wollkrempel lockerte sie die Wollfasern auf und brachte diese alle in die gleiche Richtung, was das Spinnen erleichterte. Wesentlich komplizierter gestaltete sich die Vorbereitung der Hanf- und Flachsfasern. Hanfbreche und Schwingbrett mit hölzernem Schwungschwert oder Messer waren zum Entfernen der verholzten Stengelrückstände und zum Weich- und Geschmeidigmachen der Fasern nötig. Beim Hecheln wurden die noch breiten, zum Teil zähen Fasern der Länge nach gespalten. Diese und andere Textilgeräte verfertigte der Bauer an langen Winterabenden selbst, und oft beschnitzte er sie mit Verzierungen, fügte Daten, Hauszeichen oder Initialen dazu. Die vorbereitete Hanffaser musste auf den Rockenständer gebunden werden. Entweder steckte dieser als Stab im Spinnradrahmen oder er stand auf eigenem Fuss neben dem Spinnrad. Rockenaufsätze, die man ebenfalls in den Spinnradrahmen steckte, dienten zur Aufnahme von Wolle oder Werg. Hatte die Spinnerin eine ganze Spule voll gesponnen, so trat der Haspel in Funktion. Mit diesem wurde das Garn zur Strange aufgewunden.
       
 
  In der Schausammlung des Rätischen Museums ist ein Webstuhl zum Weben eingerichtet. Webschiffchen, deren Hohlraum in der Mitte zur Aufnahme der kleinen Spule dient, gehören dazu. Auf ähnlichen zweischäftigen Trittwebstühlen entstanden die schönen Leinendecken mit lancierten blauen und roten Musterungen. Häufig sind stilisierte Vögel, Sternblumen, zuweilen auch Granatäpfel dargestellt.
Daneben gibt es eine ganze Gruppe von Decken aus dem Engadin, deren Schuss aus bunten Wollgarnen gearbeitet ist. Streifenmusterungen, z.T. mit stilisierten Blumen, herrschen hier vor.

Bei einfacheren Webgeräten, wie dem Bandwebstuhl oder Webgitter, mit dem sich nur schmale Bänder weben lassen, ist ein Webschiffchen nicht nötig, denn die Spule lässt sich von Hand eintragen. Das Gerät kann nur aus einem Brett bestehen, das oft Verzierungen, Daten und Initialen zeigt. Der kompliziertere Typus lässt sich auf einem Tisch abstellen, weil das Brettchen in einem rechteckigen Behälter befestigt ist. Die eingezogenen Fäden werden an der gegenüberliegenden Seite am Zettelbaum angebunden. Zur Fixierung sind Zahnrad und Sperre angebracht. Mit einem reich beschnitzten Webgerät besonderer Art aus St. Antönien lassen sich aus schmalen Filz- oder Tuchstreifen Winterhausschuhe, sogenannte "Endifinken", herstellen.

Im weitern Sinn zählen auch Nadelkissen, Nadel- oder Nähkästchen, Strumpfleisten und die zwei Wäschetafeln aus Chur, welche heute eine wichtige Quellen für Kostümgeschichte bedeuten, zu den Textilgeräten.

Da es Spezialkenntnisse bezüglich der Farben voraussetzt und zudem besondere Einrichtungen und grosse Räume, wurde das Bedrucken von Stoffen mit Mustern verschiedenen Orts in Graubünden handwerksmässig betrieben, doch weiss man darüber wenig Genaues.
  Im Rätischen Museum zeugen davon ein offenbar bis anfangs des 20. Jahrhunderts gebrauchter Drucktisch mit Handwalze und Metallrahmen sowie 166 Druckstöcke oder -model aus der Stoffdruckerei von Karl Hemmi in Churwalden. Dort stand noch 1921 ein Haus, das "zur Farb" hiess. Sehr zahlreiche Model und wenige Handwerksgeräte kommen u.a. aus Disentis/Disla, Breil/Danis, Safien, Chur, Zillis, Bondo, Poschiavo/la Rösa und La Punt. Die älteren Model wurden ganz aus Holz geschnitten, bei den jüngeren, die man wahrscheinlich aus dem Glarnerland bezog, sind die Motive aus Messinglamellen und -stiften auf den Holzstock gesetzt.
Um 1910 wurden in Disentis für die dortige Färberei Berther in Disla, wo man in der Regel im Zweimannbetrieb allerdings nur wintersüber, wenn die Landwirtschaft ruhte, arbeitete, noch Holzmodel hergestellt.

Zahlreiche bedruckte Stoffe aus Graubünden besitzen neben dem Rätischen Museum die Klostersammlung Disentis und das Schweizerische Landesmuseum. Die bunten Kattundrucke, die unter anderem als Futter von Hauben, Vorsteckern und auch von Kammtaschen Verwendung fanden, mögen aus andern Gebieten der Schweiz nach Graubünden eingeführt worden sein.
Hier ist der Schwarzdruck auf weisser Leinwand namentlich für kirchliche Textilien, wie Kelchtücher und Sargtücher gut belegt. Auf anderen Stücken ahmte man Spitzen und Fransen mittels Schwarzdruck nach. Auch die dicht bedruckte Decke mit den grossen Blumen und Palmen, den Pfauen und den kleinen Herren in Rückenansicht gehört dazu.
Als Bündner Besonderheit sei das Bedrucken von Wollstoffen herausgehoben. Einige der roten Trachtenleibchen sind mit ähnlichen grossformatigen Blumen- oder Früchtemotiven in dunkler Farbe verziert, wie sie auch auf zwei weissen Wollröcken vorkommen. Im Museum wird ein entsprechendes Stück aus Chur aufbewahrt.
       
 
       
 

Samedan gestickt von Anna Juvna Püt-Pool, 1775
Inv.Nr. VIII 139
   
  Neben Teilen der Frauentracht tragen in Graubünden manchmal auch Decken verschiedensten Verwendungszweckes kunsthandwerklich bedeutsame oder mehr volkstümliche Stickereien, die durch ihre Komposition oder durch ihre Aussagekraft bestechen, so z.B. die prunkvolle wollene Tischdecke von 1644 aus Valendas und eine Engadiner Minnegabe. Der Reiz dieser technisch eher unbeholfenen Arbeit liegt in der Unmittelbarkeit und Erzählfreude, mit der die entsprechenden Motive auf den Stoff gesetzt sind. Eine Taufdecke in Plattstich von 1763 aus Sent sowie aus Lavin eine 378 cm lange Wickelbinde für ein Kleinkind zeigen denselben Stil wie die Trachtenstickereien des Engadins. Um 1775 stickte Anna Juvna Püt-Pool in Samedan die Ansicht ihres Dorfes in bunter Wolle auf die Lehne einer gepolsterten Bank.

Blumenmusterungen, Wappen, allegorische Figuren, Jahrzahlen, Initialen, zuweilen auch die Namen der Stickerin oder Besitzerin, z.T. in Plattstich mit Seiden- oder Wollfäden, kennzeichnen manche der prächtigen Engadiner Kammtaschen, die vor allem im ausgehenden 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts beliebt waren. Zur Verwahrung kleiner Toilettengegenstände, aber auch von Briefschaften, wurden diese an der Stubenwand aufgehängt.

  Deren zwölf von Zizers und Chur, vor allem aber aus dem Engadin blieben im Rätischen Museum, weitere im Schweizerischen Landesmuseum, mehrere auch in Privatbesitz erhalten; Einzelstücke gelangten ins dänische Nationalmuseum in Kopenhagen und ins Philadelphia Museum of Art (USA).

Die Bündnerin schmückte auch Wäschestücke aus Leinwand mit Stickereien. Dazu verwendete sie rotes und blaues, seltener jedoch gelbes Garn. Für schwarze Stickereien wurde Wolle oder Seide gebraucht, also eine tierische Faser, die den dunklen Ton beim Färben besser annahm.


Durch die 1931 erfolgte Erwerbung der umfangreichen Sammlung von Leonhard Suter in Samedan gelangte das Rätische Museum vor allem in den Besitz von Engadiner und auch Münstertaler Textilien.
Dazu kamen 1972 Trachten- und Wäschestücke in grosser Zahl aus dem Stammhaus der Ausland Bündner-Familie Baldini in Stampa/Borgonovo. Sie zeigen, dass die Stoffe im Bergell in ähnlicher Art verziert sind wie im nahen Engadin. Auch Nordbünden ist in der Textilsammlung des Museums gut, jedoch nicht so zahlreich vertreten.
 

Taufdecke aus Sent, 1763, Inv.Nr. XII 3 C 10

 
Minnedecke aus dem Engadin, 1696, Inv.Nr. XII 3 C 11
 
  Was die Ziertechniken betrifft, so zeichnen sich vor allem die Textilien aus den südlichen Tälern, vorab dem Engadin, durch einen Reichtum aus, der in anderen Gebieten der Schweiz nicht so leicht zu finden ist. Es ist anzunehmen, dass die Nachbarländer, besonders Italien und das Tirol, einen entscheidenden Einfluss ausübten. An ein und demselben Stück sind drei bis vier Techniken eher Regel als Ausnahme.


Der Kreuzstich ist in hohem Masse an das leinene Grundgewebe gebunden, denn die Stickerin zählt die Fäden ab. Allen figürlichen und geometrischen Motiven ist deshalb eine gewisse Strenge eigen. Vorbilder für Kreuzstichstickereien, die auch für Filetarbeiten verwende werden konnten, finden sich vornehmlich in italienischen Stickmusterbüchern des 16. Jahrhunderts. Nirgends in der Schweiz trifft man ähnlich reich mit Kreuzstich verzierte Bettücher wie im Bündnerland. Diese Bettvorhänge und Prunkleintücher gehörten zur Ausstattung der Wöchnerin. Von solcher Pracht umgeben, empfing die neue Mutter Freundinnen und Bekannte, welche ihr Glückwünsche und Kindbettgaben überbrachten.

Taufdecken können ebenfalls mit Kreuzstich verziert sein. Diese wurden dem Täufling in der Regel von der Patin geschenkt. Sie dienten dazu, Körbe mit Backwaren für die Traufe zu decken. Sie fanden auch als Wiegendecken Verwendung und wurden später, wenn das Kind grösser war, verschenkt. Oft fügte man den vorhandenen Motiven weitere Stickereien bei, was nicht selten zu recht unregelmässiger Anordnung der Motive führte.
  Parade- oder Prunkhandtücher sind häufig mit Kreuzstichmusterungen verziert. Bei festlichen Anlässen oder wenn Besuche kamen, hängte man sie in der Stube über das einfache Gebrauchshandtuch.

Sehr feine und zarte Stickereien bestehen aus einem Spitzenstich, einer Abwandlung des Hexenstiches. Der Stich liegt frei auf dem Stoff und ist nur an wenigen Randstellen auf diesem fixiert. Das schönste Beispiel des Museums ist eine Wiegenausstattung mit schwarzer Spitzenstich-Verzierung. Die schwarze Farbe kommt auffallend häufig auf Kinderbettwäsche vor. Vielleicht handelt es sich dabei um eine Trauerausstattung. Sicher lässt sich dies nicht abklären, hat doch Schwarz in Graubünden nicht nur auf Trauer hingewiesen, sonst wäre diese Farbe nicht so oft zum Besticken von Prozessionshalstüchern und Altartüchern verwendet worden.

Die Technik des Kettenstichs kam wahrscheinlich erst im 19. Jahrhundert auf. Mit dem Kettenstich konnte die Stickerin freier gestalten, denn nun wirkte das Grundgewebe nicht mehr mitbestimmend. Leintücher, Tischtücher, auch Paradehandtücher wurden auf diese Art verziert. Im späteren 19. Jahrhundert arbeitete man auch mit einem nähmaschinenartigen Gerät, auch als Kurbelmaschine bezeichnet, mit der sich diese Stickereien viel schneller anfertigen liessen. Die Kettenstichtechnik soll vor allem von Samnaunerinnen ausgeübt worden sein, die sommersüber im Engadin Störarbeiten verrichteten.

 



Detail Bettvorhang, in Kreuzstich - Inv.Nr. H 1966-756

 



Paradehandtuch, Kettenstich - Inv.Nr. H1966.820

 
  Schliesslich ist auch die Plattstichtechnik auf Leinengeweben anzutreffen. Diese ist wie der Kettenstich geeignet, zeichnerische oder gar malerische Wirkungen hervorzurufen. Die Motive der Leinenstickereien sind den Blumenformen auf den Wollstickereien verwandt. Lebensbäume, Rosen sowie die im 17. Jahrhundert von Norden her in die Mode eingeführten Tulpen und Nelken werden auch auf Leinwand wiedergegeben. Der Gestalterin auf Leinwand war jedoch die regelmässige Anordnung des Musters besonders wichtg; ganze Bildkompositionen kommen selten vor. In den meisten Fällen wurden Pflanzen und Blüten zu stark stilisierten und geometrisierten Zierelementen.

Einen Hinweis verdienen auch die seltenen Klöppelspitzen und die zwei umfangreichen Mustersammlungen von Makramee-Knüpfarbeiten im Rätischen Museum und im Bergeller Talmuseum in Stampa. Diese fertigten die Schwestern Anna und Teodora Maurizio aus Vicosoprano in den Jahren 1881 bis 1904 an.

Bei oft fröhlicher Geselligkeit arbeiteten die Frauen in Graubünden während Jahrhunderten an und mit ihren einfachen Textilgeräten und schufen zwar vom Ausland her angeregte, aber doch kunsthandwerklich eigenständige Stoffe, Stickereien und Spitzen mannigfacher Art.
  Eine grosse Stoffpresse aus Laax und eine Strumpfwirkmaschine mit Hand- und Fussantrieb aus Says, beide wohl aus der Frühzeit des 19. Jahrhunderts stammend, zeugen im Rätischen Museum von der beginnenden Rationalisierung und Mechanisierung textiler Arbeitsmethoden. Doch scheiterten vielfache Versuche - u.a. von Ulysses von Salis-Marschlins in der zweiten Hälfte des 18. und von Pater Theodosius Florentini um die Mitte des 19. Jahrhunderts - , zur Bekämpfung von Auswanderung und Armut vor allem in Nordbünden Seiden- sowie Baumwollspinnerei und -weberei vorerst als Heimindustrie, dann auch in fabrikmässigen Betrieben einzuführen. So waren es die Textilfabriken des Industriezeitalters ausserhalb des Berglandes, welche das traditionelle schöpferische Wirken mit der Einfuhr von billig erzeugten Textilfabrikaten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weitgehend zum Erliegen brachten.

Dank unablässiger Bemühung einzelner Persönlichkeiten wurden die alten Handarbeitstechniken seit den 1920er-Jahren von der Bündner Frauenschule zu Chur, in neu gegründeten Webstuben einzelner Täler und dank der gesamtschweizerischen Trachtenbewegung wieder zum Leben erweckt.
Ohne sklavische Nachahmung alter Muster werden heute erneut vielfältige Erzeugnisse von künstlerischer Qualität geschaffen.
   
       
 

content Last revised 18 December, 2005