ANNE WANNER'S Textiles in History / vortrag: Hanro_meeting, Liestal 2015

Referat in Liestal – Hanro, 5./6. März 2015
„aus dem Nähkästchen erzählen ...“, von Anne Wanner-JeanRichard,

bedeutet, jemandem etwas verraten oder zugänglich machen, das ihm ansonsten verborgen bliebe.
Das Nähkästchen galt als ein sicheres Versteck für geheime Dinge. Trafen sich Frauen zum Nähen, so holten sie z.B. Briefe aus dem Kästchen hervor, zeigten sie und plauderten über den Inhalt.
Im Vorfeld zu dieser Tagung fiel auch diese Redewendung und sie gefiel mir als Titel für das Referat. Denn hier möchte ich Ihnen einen eher inoffiziellen Einblick geben in Museumsarbeiten vor etwa 50 Jahren, als es noch keine Computer, Digitalkameras und Handies gab.
Ich werde mehr oder weniger chronologisch vorgehen und über persönliche Erlebnisse in verschiedenen Museen berichten. Gleichzeitig will ich verschiedene Arten von Sammlungstypen ansprechen und auf den Nutzen hinweisen, den Erschliessungen mit sich brachten.



 
 


Schweiz. Landesmuseum Zürich, 1960


aus einem Trachtenumzug Ende 19. Jh.


Bündner Trachten, zusammengestellt gemäss J.Heierlis Publikationen, im Rätischen Museum

 

Mit einer ersten Sammlung kam ich 1961 in Kontakt.
Die Trachten waren damals bereits seit ca. 60 Jahren im Landesmuseum in Zürich ausgestellt. Die Kuratorin Jenny Schneider fand, es sei an der Zeit diese Ausstellung zu erneuern.
Gemeinsam mit Regula Hahn, einer Weberin und Dekorateurin räumten wir mit aller Sorgfalt die Schaukästen aus und lernten dabei die Arbeit der Sammlerin Julie Heierli (1859-1938) kennen. Sie hatte bereits um 1880 vor allem im Kanton Graubünden Quellenmaterial zusammengetragen und mitgeholfen bei der Gestaltung eines historischen Trachtenumzug anlässlich derEröffnung des Landesmuseums im Jahr 1898. Im Jahre 1902 stellte sie ihre Schau-Sammlung im Ostflügel im obersten Stockwerk des Museums aus.
Anschliessend sammelte Julie Heierli weiter, und von 1922 – 32 erschien ihr 5-bändiges Werk über Schweizer Trachten. Dieses Buch bildete noch jahrzehntelang Grundlage für weitere Trachtenpublikationen. Es war auch Nachschlagewerk für Trachtenvereine und Trachtenschneiderinnen. Heierlis Vorschläge zur Erneuerung der Tracht waren historisch begründet, und wirkten damit dem folkloristischen Aspekt der Trachtenbewegung entgegen.

In den frühen Museumsjahren verpackte man die nicht ausgestellten Objekte in Schachteln und Kisten und lagerte diese ganz unzugänglich im Turm des Landesmuseums.
Anlässlich der Erneuerung der Trachten Ausstellung, war nun der Moment gegeben,die Schachteln mit Textilien aus dem Turm herunterzuholen und eine Inventarisierung mit Photo der einzelnen Objekte in Angriff zu nehmen. Jenny Schneider beantragte die nötigen finanziellen Mittel, um einen noch ungenutzten Teil des Dachstockes des Museums zum Textildepot auszubauen.
So konnte die Textilsammlung des Landesmuseums in den folgenden Jahren erschlossen und für wissenschaftliche Untersuchungen zugänglich gemacht werden.



 




Wäsche eines mittelalterlichen Teppichs im Historischen Museum, Bern





 
Ebenfalls in den frühen 1960er Jahren verbrachte ich ein einjähriges Praktikum in Bern.
In jenen Jahren hatte sich Werner Abegg (1903-1984) entschlossen für seine Sammlung von historischen Seidengeweben ein Museum mit maximalen Bedingungen zu errichten, und auch ein Zentrum, ja Ausbildungszentrum, für Konservierung zu gründen. Zur Realisierung dieser Absicht errichtete er seine grosszügige Stiftung. Bis es jedoch soweit war, vergingen noch ein paar Jahre.
Zunächst stellte das Historische Museum Bern einen Raum zur Verfügung. Hier wollte man erste Erfahrungen für das Restaurierungsatelier sammeln. Mechthild Lemberg, später Flury-Lemberg, bereits seit 1957 am Berner Museum, sollte dieses zukünftige Restaurierungsatelier leiten. Für die vorgesehene Ausbildung von Textilrestauratorinnen suchte man Schülerinnen, ich hatte die Chance, eine von damals 2 Lernenden zu sein.

Zuerst bearbeiteten wir veschiedene Objekte des Berner Historischen Museums.
In dieser ersten Zeit gab es praktisch noch keine Restaurierungs-Einrichtungen. Wir reinigten die flachen Textilien auf einem Tisch mit destilliertem Wasser, das in bauchigen Flaschen bereitstand. Der grosse Dreikönigs-Teppich (Tournai, Mitte 15. Jh.) wurde im Freien, auf der Wiese vor dem Historischen Museum behandelt. Der Museumsschreiner verfertigte dazu einen Holzrahmen, ein grosses Plastiktuch wurde darüber und hinein gelegt und in diesem provisorischen Becken wuschen wir nun den Teppich. Nach dem Waschen folgte mehrmaliges Spülen, das Wasser floss beim Anheben der Plastikfolie ab und wurde mit Schwämmen weiter abgesogen. Anschliessend trocknete der Teppich im Museum auf einem Steinboden, der Einsatz von mehreren Föns beschleunigte diesen Vorgang.


 


Studien zu einem mittelalterlichen Gewebe


Literaturnotizen auf der Rückseite des Bildes


die Formeon boten Anregung zu einem Linolschnitt und zum Bedrucken von Stoff
 
An einem Tag im Jahr 1961 hiess es, die Kisten aus USA, mit den kostbaren Textilien der Abegg Sammlung seien nun angekommen. Wir packten alles sorgfältig aus, photographierten die Stoffe, legten kurze Invertarblätter an.
Einige Stoffe durfte ich genau studieren und abzeichnen. Die Beobachtungen hielt ich auf der Rückseite dieser Studienblätter fest. Sie sehen, dass mich die Muster auch zu eigenem Gestalten anregten. Interessante Motive schnitt ich in Linol und bedruckte damit Stoffe.



 


Rätisches Museum, Chur, nach einer Zeichnung
um 1900 von Paul Rüetschi,
Inv.Nr.Rät. Museum H 1969.913


Restaurierung und Inventarisierung
im Rätischen Museum in Chur


beim Waschen einer Fahne im Rät. Museum,
Skizze von R.v.Fischer


Ausschnitt aus Bettvorhang,
Inv.Nr. Rät.Museum H 1966-786

 
In die späteren 1960er Jahren fällt meine Tätigkeit am Rätischen Museum in Chur. Zunächst ging es darum, Fahnen zu restaurieren und ab 1964 arbeitete ich hier als Assistentin des Direktors.
Ortsmuseen bewahren in manchen Fällen Kulturgüter der Umgebung auf. Sie sammeln in einem eher passiven Sinn, denn oft sucht das Museum die Güter nicht, sondern wartet, bis alte Objekte angeboten oder geschenkt werden. Je nach Bedeutung der Stücke, und der finanziellen Lage des Museums, ist auch Kauf möglich. Die Museumsarbeit liegt im Inventarisieren und Erschliessen dieser Kulturgüter. Dieser Tätigkeit schenken einzelne Sammlerpersonen oft weniger Beachtung. Ich werde darauf noch zurückkommen.
Als Beispiel für Chur nenne ich hier den sehr schöner Bestand an bestickten Haushalttextilien. Der Sammler Leonhard Sutter aus Samaden hatte Handarbeiten des 16. – 19. Jhs aus verschiedenen Talschaften Graubündens zusammengetragen. 1931 verkaufte er diese bestickten Handtücher, Bettdecken, Prunkleintücher, Kissenbezüge an das Rätische Museum.
Erforscher und Liebhaber Schweizerischer Volkskunst zeigten an diesen Stickereien besonderes Interesse. Bereits an der 1. SAFFA 1928 in Bern hatte man sich zurückbesonnen auf diese vielseitige Schweizerische textile Volkskunst. Man wollte die alte Stickereikunst, wie sie einst beispielsweise in Bündner Alpentälern gepflegt wurde, vor dem Untergang bewahren und neu beleben. Damals gab die Bündnerische Vereinigung für Heimatschutz eine Mappe für Kreuzstich- und Filetmuster aus Graubünden heraus, bis 1939 folgen dieser Publikation mehrere Neuauflagen.
Die Idee übernahm in den 1950er Jahren auch das Schweizer Heimatwerk. Mit seinen Stickkursen und entsprechenden Wettbewerben leitete es unter anderem auch eine Renaissance des Kreuzstiches und der Bündnerstickerei ein.


 


Publikationen zur Bündner Stickerei



 
Die Vorlagemappen mit Motiven zum Nacharbeiten bildeten wie beabsichtigt, Anregung zum Gestalten,und in allen diesen erwähnten Publikationen sind Beispiele aus der Sammlung Sutter aus dem Rätischen Museum abgebildet.
Die Stickereien beeinflussten auch meine eigene Arbeit, als ich später für Museumskollegen und Fachleute ein Wörterbuch der Stickstiche zusammenstellte. Grundlegende Stickstiche sind hier neben deutsch auch in englisch, französisch und italienisch aufgeführt, auch der Bündner Stickerei ist ein Abschnitt gewidmet.



 


private Sammlung


von Handarbeitsgeräten


und Stickereien

 
Hier möchte ich einen kleinen Abstecher einfügen und auf aktives Sammeln eingehen, als Gegensatz eben zum Sammeln in Museen. Dazu verlasse ich kurz die Museumsvergangenheit, denn es ist erst ein paar Wochen her seit ich Gelegenheit hatte, einer Sammlerin von Handarbeitsgeräten und Handstickereien einen Besuch abzustatten. Sie sammelte in den letzten ca. 20 Jahren in der Gegend von St.Gallen. Sie bringt jeden nur erdenklichen Flohmarkt in Erfahrung und sucht an diesen Orten nach alten Textilien. Gerne verzichtet sie auf Ferien und grössere Reisen, nur damit sie diese edlen Handarbeiten erwerben kann. Die Sammlung ist im Untergeschoss ihres Hauses untergebracht, hier baute sie auch eine Ausstellung ihrer Lieblinge auf. Sie reinigt die Stücke, photographiert sie und bewahrt sie auf in den hier zu sehenden Schubfächern und Gestellen.
Im Laufe der Jahre entstanden viele Photoordner, in denen Standorten notiert sind, die einzelnen Stücke sind jedoch nicht numeriert oder erfasst, und so gibt es kein Inventar im eigentlichen Sinn. Alles Wissenswerte über den Erwerb dieser Stücke ist im Moment im Kopfe der Sammlerin aufbewahrt, und für die Nachwelt nicht zugänglich, die Sammlung ist also nicht eigentlich erschlossen.



 


altes Rathaus in Zug



Kelchtuch aus St.Oswald, datiert 1679

Historische Sammlung der Stadt Zug




alte Inventarkarte, handschriftlich

 
1973 hatte mich das Schicksal in das schöne Städtchen Zug verschlagen. Ich kam in Kontakt mit dem Historiker Josef Brunner, der sich dafür einsetzte, in Zug ein Museum für die historische Sammlung zu errichten. Die Zuger Museumsstücke waren einst im Rathaus ausgestellt gewesen, in den 1940er Jahren brannte es dort, das Feuer beeinträchtige die Textilien leicht, und man gab alle Textilien in die chemische Reinigung. Daraufhin verpackte man die gereinigten Sachen in Schachteln und deponierte diese im Estrich des Rathauses.
Zwar gab es alte handschriftliche Inventarkarten, aber nun sollten die Textilien auch photographiert und die alten Einträge überarbeitet werden. Zuerst war der Rathaussaal im obersten Stock mein Arbeitsraum. Immer, wenn ich mich hier betätigte, holte ich eine Anzahl Schachteln aus dem nicht weit entfernten Estrich herunter, photographiete und beschrieb die Objekte und legte sie daraufhin in eine neue, säurefreie Schachtel. Die Handnotizen schrieb ich später mit Schreibmaschine auf neue Karten ab. Nötige Restaurierungsarbeiten konnten mit Hilfe der Abegg Stiftung ausgeführt werden.
Was nun die Räumlichkeiten für ein neues Museum in Zug betraf, so war dies eine langwierige Angelegenheit. Aber eines Tages war es soweit: ein neues Museum würde in der alten Burg entstehen. Das Zuger Stimmvolk hatte abgestimmt (ca. 1976), dass diese nicht abgerissen, sondern auf wendig restauriert und zum Museum umgestaltet werden solle.

Auch in Zug besteht die Textilsammlung aus vielen privaten Schenkungen, die hier aufbewahrten Kulturgüter sind Zeitzeugen der Stadtgeschichte.
Neben Objekten aus Privathaushalten, lernte ich hier eine Schenkung aus altem Kirchenbestand kennen. Dabei handelte es sich um Paramente, also um Kirchengewänder und Altartücher aus unterschiedlichen Epochen, die früher zum Bestand der Zuger Stadtkirchen St. Oswald und St. Michael gehörten. Unter diesen Kirchentextilien sind die reich bestickten  Altartücher des 17. Jhs., ganz besondere Kostbarkeiten. Sie stehen in Zusammenhang mit der Stickerei in Klöstern der Innerschweiz. Vor allem im Gebiet Luzerns entstanden zu dieser Zeit qualitätvolle Paramentenstickereien, ausgeführt von Klosterfrauen.



 





Kloster Glattburg am Jubiläumstag




Die Klosterfrauen im Jahre 2004


Priestergewand von 1770 aus dem Kloster

 

Hier möchte ich nochmals einen kleine Abstecher einfügen, in die Zeit, in welcher ich eine klösterliche Paramenten Stick-Werkstatt kennenlernen durfte. Für das 250-Jahr-Jubiläum der Benediktinerinnen Abtei Glattburg bei Oberbüren sollten die dortigen Bestände bearbeitet werden. Hier beeindruckte mich besonders die Kontinuität, die in der Werkstatt dieses Klosters mit langer Vergangenheit, herrscht. Solange es besteht, bleibt auch das Stickzimmer unverändert. Es wird nicht aufgeräumt und weggeworfen, wenn Stickerinnen das Zeitliche segnen. Das Wissen und Können verschwindet nicht, denn die Arbeit wird von den Nachfolgerinnen weitergeführt. Jüngere Klosterfrauen arbeiten meist längere Zeit mit den älteren Stickerinnen zusammen und nehmen deren Wissen auf.
Die Schränke und Kästen waren denn auch wahrhafte Fundgruben, in denen Vieles aus vergangenen Zeiten zum Vorschein kam. So fanden sich z.B. sehr alte Vorzeichnungen, die teilweise mit im Kloster aufbewahrten Stickereien des frühen 18. Jhs übereinstimmen. Die Motive kommen vor auf dem Gewand des heiligen Magnus, der in einem Altar der Klosterkapelle liegt. Es handelt sich um einen sog. Katakombenheiligen. In Oberbüren liegt er an seinem ursprünglichen Bestimmungsort, andere gelangten in Museumssammlungen.

 





besticktes Samtkleid des Katakombenheiligen




die Stickvorlage aus dem Klosterfundus

  Zu diesen besonderen Heiligen hier die nachfolgende Erklärung:
Im Jahre 1578 waren in Rom die Katakomben wiederentdeckt worden. Der Einsturz eines Gebäudes brachte unterirdischen Grabanlagen ans Tageslicht. Daraus ergab sich eine Märtyrerverehrung von grossem Ausmass, denn von Rom aus verschenkte man solche vermeintlichen Märtyrerleiber. Im 17. und 18. Jh. sollen mehr als 200 von ihnen im Gebiet der Schweiz an Kirchenaltären zur Verehrung niedergelegt worden sein. Für ihre Ausstattung sind rote Stoffe typisch, meinte man doch, die Gebeine stammten von Märtyrern, die um ihren Glauben Blut vergossen hätten. Die Klosterchronik Oberbürens berichtet, der Heilige Magnus sei am 1. Januar 1776, der heilige Donatus ein Jahr später geschenkt worden. In dieser Chronik ist auch notiert, dass die Klosterfrauen den roten Samt selbst bestickten.
Aus den Rechnungsheften des Klosters ist ersichtlich, dass die Schwestern bis 1914 Aufträge zur Fassung von heiligen Leibern erhielten und dass sie auch kleinere Reliquienaufträge ausführten. Noch erhalten ist z.B. in Tobel TG, der Heilige St. Innozenz. An seiner Fassung arbeiteten die Frauen 5 Monate lang.


 


Marie Thoma, später Schwester Benedicta


Vorzeichnung zur Rückseite eines Priestergewandes


Priestergewand aus der Kirche in Oberbüren

 

Weitere Kloster-Dokumente des frühen 20. Jh. belegen die Zusammenarbeit der Klosterwerkstatt mit der St.Galler Paramentenfirma Fraefel & Cie, d.h. Klosterfrauen führten Stick-Aufträge für diese Firma aus.
Angaben zu den Stickerinnen sind ebenfalls überliefert. So erhielt z.B. Marie Thoma vor ihrem Eintritt ins Kloster eine Ausbildung bei der erwähnten Firma Fraefel & Cie. In Glattburg leitete sie später als Schwester Benedicta die Paramentikwerkstatt.
Das Kloster besitzt auch eine eigene Sammlung von Kirchengewändern und Altartextilien, welche in Schränken und Schachteln gut verwahrt und betreut, aber nicht eigentlich inventarisiert sind.




 


Textilmuseum St.Gallen





Teil eines Altarbehangs, ca. 1320


Der Sammler Leopold Iklé

 
Die meisten Museumsjahre verbrachte ich in St.Gallen am Textilmuseum, wo ich mit einer Kollegin zusammenarbeitete. Damals, im Jahre 1978, befand sich der grösste Teil der Sammlung in Schubladen Kästen mit rund 500 Schubladen. Zusätzlich lagerten Textilien in Kartonschachteln und in der Bibliothek gab es Rahmengestelle. Bei letzteren handelte es sich um Holzrahmen mit einem darin eingespannten schwarzen Tuch, darauf hatte man Beispiele von historischen Stickereien aufgenäht. Einige Textilien bestanden aus Wolle und so kam es, dass man hier eines Tages Motten entdeckte. Nach entsprechender Behandlung beschlossen wir, diese Rahmensammlung aufzulösen und die Stickbeispiele in die übrige Sammlung zu integrieren.
Zu den Grundbeständen des Museums gehören die Sammlungen Iklé und Jacoby.
Leopold Iklé (1838-1922) war Unternehmer, er stammte aus Hamburg aus einer grossen Familie, die sich alle in der Textilfabrikation und im Textilhandel betätigten. Etwa um 1850 kam Leopold erstmals nach St.Gallen, hier liess er sich nieder und 1882 erhielt er das Bürgerrecht. Zwei Jahren vorher hatte er seine Fabrik für Maschinenstickereien gegründet.
Für eine erfolgreiche Produktion waren gute Vorlagen sehr wichtig. Iklé begann, eine Sammlung von Vorlagen als Anregung für die Musterzeichner anzulegen. In dieser Zeit des Historismus interessierte er sich besonders für historischen Stickereien und Spitzen. Auf seinen Geschäftsreisen in ganz Europa kam er in Berührung mit alten und neueren Stickereien, und auch in der Schweiz hielt er die Augen offen. So fielen ihm eines Tages im Kloster Sarnen die beiden ursprünglich aus Engelberg stammenden Altarbehänge von ca. 1420 auf. Er konnte sie erwerben, denn sie fanden im Kloster keine Beachtung mehr. Heute gehören sie zu den ältesten und wertvollsten Beständen des Textilmuseums.

Den grössten Teil seiner Vorlagensammlung schenkte Leopold Iklé 1904 dem Textilmuseum, die Stickereien sollten Dessinateure der Hand-, wie der Maschinenstickerei inspirieren.
Zu jener Zeit zog sich Iklé zwar von der Firma zurück (er zählte damals 66 Jahre3), aber er blieb ein leidenschaftlicher Sammler. Jetzt reiste er zu Auktionen und erwarb dort verschiedene wertvolle historische Textilien. Mit ihnen schmückte er seine Wohnung in St. Gallen. Auch im Sommer, den er jeweils in seinem Haus am Bodensee verbrachte, konnte er es nicht ohne seine Lieblingsstücke aushalten und nahm viele mit ins Sommerhaus.
Nach seinem Tode 1922 wurde diese Liebhabersammlung mit historischen Spitzen und Stickereien an einer Auktion in Zürich versteigert. Iklés Neffe John Jacoby, er lebte in London, ersteigerte damals einen grossen Teil für seine eigene Stickereisammlung. Als Jacoby 1955 starb, boten die Nachkommen dem Textilmusem einen Teil dieser Sammlung an. So kehrten einige Stücke der ehemaligen Iklé Sammlung wieder nach St.Gallen zurück.

Diese erwähnten Bestände umfassen immer von Hand verfertigte historische Arbeiten. Aus der Firma der Gebrüder Iklé gelangte ein weiterer Sammlungstypus ins Textilmuseum, nämlich die Firmen Musterbücher. Hier handelt es sich um Muster von Maschinenstickereien, wie sie im Laufe der Jahre produziert und als Referenzen zusammenkamen. Ich nenne sie hier lediglich der Vollständigkeit halber. Meine Kollegin Frau Ursula Karbacher wird heute Nachmittag auf diesen Typus detaillierter eingehen.


 


Stickerei aus dem Textilmusem St.Gallen


Leinenstickerei mit Bathseba und David, 16. Jh.


Ausschnitt mit Susanna


Ausschnitt mit König David

 

In St.Gallen bearbeitete ich zuerst die „Schweizer Leinenstickereien“. Verena Trudel hatte darüber ihre Dissertation geschrieben und einen Bestandeskatalog erstellt. Damit war eine gute Grundlage für dieses Sachgebiet vorhanden.

Hier möchte ich eine Geschichte erwähnen, die auf weitere Aspekte der Museumsarbeit hinweist: Eine grosse Anzahl von Leinendecken war in der Familie Iklé verblieben, das Textilmuseum wusste, dass ein Nachkomme diesen Familienbesitz in einem Banktresor in St.Gallen verwahrte. Im Museum hoffte, ja spekulierte man darauf, diese Decken eines Tages geschenkt zu erhalten. Die Besitzerfamilie sah dies aber anders, sie sandte die Decken nach London an ein Auktion von Christie. Erst recht kurz vor diesem Anlass erfuhren wir im Museum davon. So setzte ich also alle Hebel in Bewegung, um möglichst zu verhindern, dass die Stickereien in alle Welt zerstreut würden, und um sie in die Schweiz zurückzuholen.
Das Museum in Frauenfeld, das Rätische Museum und das Landesmuseum waren bereit, sich zu beteiligen und an der Auktion Stickereien für ihre Sammlungen zu ersteigern. Zudem gelang es in kurzer Zeit, Sponsoren zur finanziellen Mithilfe zu finden. Die Stickereien selber hatte ich aber noch nie zu Gesichte bekommen, und so beschloss ich, - es blieb nicht mehr viel Zeit gross anzufragen und auf Bewilligungen zu warten - in eigener Regie nach London zu fliegen und dort mit einer Kollegin vom Landesmuseum eine Begutachtung vorzunehmen. Zur Auktion selber fand ich mich im Büro von Christie Schweiz in Zürich ein und übermittelte unsere Gebote für die Stickereien per Telephon.Wir hatten schliesslich Erfolg und konnten die Stücke wie gehofft zurückkaufen.
Anschliessend war es möglich, die neu erworbenen und die bereits vorhandenen Leinenstickereien in St.Gallen ausstellen. Eine kleine Publikation begleitete damals die Veranstaltung.


 


Mustertuch, Deutschland, 1677
Sammlung F.Fischbach


Mustertuch, Deutschland, 1688
Sammlung Leopold Iklé



Mustertuch, Deutschland 1785
Sammlung Bing-Hübner

   





Hirschmotiv als Vorlage für Stickerei, aus der Vorlagensammlung von Johann Sibmacher, Nürnbeg, um 1600

 
Als Abschluss zeige ich Ihnen hier einige Muster- oder Modeltücher aus dem Textilmuseum St. Gallen. Diesmal trug nicht ein einzelner Sammler diese rund 300 Tücher zusammen, die Sammlung bildete sich vielmehr im Museum selber, aus verschiedenen Sammlungen.
Mustertücher stiessen und stossen immer noch auf grosses Interesse von Spezialisten und Besuchern aus aller Welt. Sie sind beliebt als textile Vorlagen, man kopiert die ganzen Tücher Stich für Stich  und verwendete sich auch mehrfach für Publikationen. Die Tücher selber sind eigentliche Muster- und Motiv Sammlungen: hier bewahrten und tradierten die Stickerinnen Motive, die schon seit ca. 1523 in gedruckten Modelbücher vorkommen. Als Beispiel sehen sie das beliebte Hirschmotiv aus einem gedruckten Vorlage-Buch, um 1600 entstanden. Über eine Zeitspanne von mehr als 100 Jahren kommt es in fast identischer Art immer wieder vor. Auf den Tüchern erlernten und übten 9 – 15 jährige Mädchen textile Techniken. Die Anzahl verschiedener Stickstiche ist besonders bei den älteren Beispielen sehr gross. Oft stickten sie auch Alphabete und Zahlenreihen, und man kann annehmen, dass sie beim Sticken gleichzeitig auch mit den Buchstaben Bekanntschaft schlossen.


Schlussgedanken
In diesem Referat stellte ich einige Sammlungen vor, es handelte sich dabei um nicht sehr grosse, überschaubare Bestände. Das Inventarisieren wurde in traditioneller Art mit Karteikarten und Schreibmaschine ausgeführt.
Ich bin überzeugt, dass die Arbeit in heutiger Zeit, mit Computerprogrammen neue Möglichkeiten eröffnet. Nun können mehrere Museen, auch Institute verschiedener Länder, untereinander vernetzt werden. Dabei kommt eine grössere Datenmenge zusammen, und tiefere Einblicke in vergangene Zeiten und auch in frühere Produktionsweisen werden möglich.
Die Herausforderungen an die Museumsleute scheinen mir jedoch heute wesentlich grösser:
Müssen doch Historiker der Gegenwart und Zukunft mit den Möglichkeiten von Datenbanken gut vertraut sein. Um Resultate zu erhalten ist es nötig, dass sie die Programme gezielt einzusetzen wissen.



content Last revised March, 2015