ANNE WANNER'S Textiles in History / publications |
Kammtaschen -
Gebrauchsgegenstand oder Raumzierde ? publiziert 1969, in: Schriftenreihe des Rätischen Museums, Chur 1969, Heft 7, S. 19. von Anne Wanner-JeanRichard |
Literatur,
erschienen nach Publikation des oben genannten Aufsatzes: - Selina Chönz, Engadiner Kammtaschen, in: Monatszeitschrift "DU", August 1970, S. 576-585 - Bettina von Meyenburg-Campell, Eine Kammtasche aus dem Oberengadin, Sinnbild und Schmuck, in: Petnera, Das Hohelied von Salomon. o.J. (ca. 1990), S. 38-46 (Engadin Press AG Samedan, Kranich Verlag Zollikon) |
|
|
|
|
|
|
zu den Kammtaschen im
Rätischen Museum: - Kammtasche, Rät. Mus. Inv. Nr. H 1966.732, um 1800, 49 x 23,5cm farbige Seidenstickerei, Plattstich, auf schwarzem Wollstoff - Kammtasche, Rät. Mus. Inv. Nr. XII 3C 22, Mitte 19. Jh., 54cm x 24 cm farbige Seidenstickerei, Plattstich - Kammtasche, Leder, bemalt - Kammtasche, Rät Mus, Inv.Nr. VIII 83, Anfang 18. Jh., 50cm x 20,5cm x 5cm Holz mit Schnitzmotiven - Rät. Mus. Inv.Nr. H 1968.678, wohl 1. Drittel 19. Jh., 30,5cm x 19,5cm x 4cm Keramik mit plastischem Dekor |
In der Sammlung des
Rätischen Museums Chur finden sich die
verschiedenartigsten dieser reichbestickten Wandtaschen.
Die älteste von ihnen trägt oben das Datum 1693,
besteht aus violetter Satinseide und ist mit
Blumenmotiven aus Metallfaden bestickt, die vier
Behältnisse sind mit Karton versteift und mit
Leinenstoff gefüttert. Klöppelspitzen aus Metallfaden
umsäumen Rand und Taschenkanten, und auf der Rückseite
finden wir einen einfachen Bezug aus Leinenstoff. Sehr
oft hat man für dieses rückseitige Futter auch
buntbedruckte Baumwollstoffe verwendet, Reste von
Vorhängen oder gar Wandtapeten. Weder diese noch eine andere Engadiner Kammtasche zeigen Abnützungserscheinungen, die darauf hinweisen würden, dass man hier Kämme oder Toilettengegenstände aufbewahrte. Die Taschen sind nämlich durchaus nicht ausgeweitet, sie bilden auch keine Fächer, sondern liegen flach auf der Rückseite auf. Hier sind bestimmt nie andere Gegenstände als flache eingesteckt worden, in späteren Zeiten vielleicht "Zeitungen", die aus den einzelnen Abteilungen herausschauten und dem Ganzen das Aussehen eines Kammes gaben? Einige befragte Leute haben denn unsere Taschen auch spontan als "Zeitungshalter" bezeichnet. |
Jedoch fragt es sich, ob man
die Zeitung üblicherweise an der Wand aufbewahrte oder
sie nicht doch eher auf den Tisch legte. In den
Wandtaschen des 18. Jahrhunderts können eher
volkstümliche Schriften, wie zum Beispiel Examens- und
Probeschriften, Glückwünsche zum Jahreswechsel oder zu
Ostern oder auch Erinnerungsschriften an verstorbene
Familienglieder, Bekannte oder Freunde aufbewahrt worden
sein. Auch wäre es möglich, dass man hier hinein Briefe
von Familienangehörigen im Ausland und in Uebersee
gesteckt hat. Solche Ueberlegungen zeigen, dass bis heute nichts Genaues über die Verwendung der Kammtaschen bekannt ist. Man weiss einzig, dass sie in der guten Stube, in der Nähe des Spiegels hingen und mit ihren kunstvollen Stickereien den Raum zu verschönern halfen. Im folgenden seien nun einige besondere Formen von Kammtaschen vorgestellt. Vielleicht lässt sich durch den Vergleich die eigentliche Verwendung der Taschen doch etwas näher umschreiben. |
Die prachtvollen Kammtaschen
mit Familienwappen, Jahrzahl und Sinnbildern, von denen
sich in Engadiner Privathäusern noch manches Beispiel
erhalten hat, sollen an dieser Stelle nicht nochmals
erwähnt werden, da sich der Artikel von Jenny Schneider
eingehend mit ihnen befasst. Weniger reiche Taschen
kommen ebenfalls im Engadin vor. Eine solche gelangte aus
jenem Tal ins Rätische Museum. Diese etwa um 1800
entstandene Wandtasche hat nur zwei Behältnisse und ist
aus schwarzem Wollstoff gearbeitet. Bunte Blumenmotive in
Plattstickerei sind als Verzierung angebracht und anstatt
mit Silberspitzen sind die Kanten mit einem bunten Bande
eingefasst. Aber auch hier sind die Behältnisse mit
Karton versteift und mit einem Leinenrest gefüttert.
Diese volkstümliche Arbeit ist sicher eher in einer
einfachen Bauernstube als in einem Kloster entstanden.
Die Motive erinnern sehr an Malereien auf Bauernmöbeln,
zu denen Beziehungen bestehen. Oben, an Stelle eines
Wappens, sind zwei einander zugeneigte Vögel abgebildet.
In der Art eines Lebensbäumchens wächst eine
anspruchslose Blume zwischen ihnen. Darunter spriessen
auf der einen Tasche Vierblattblumen und Tulpen aus einem
Herz. Auf der anderen Tasche ist ein Granatapfel -
Sinnbild des Lebens und der Fruchtbarkeit - abgebildet,
aus dessen unterem Teil Blumen und Blätter
herauswachsen. Im Vergleich mit den seidenbestickten |
Prunktaschen sind die
Blumenmotive sehr einfach gehalten, und doch wirken sie
in ihrer Unmittelbarkeit und mit den immer noch
kräftigen Farben sehr erfrischend. Neben Taschen, die wegen ihren farbigen Pflanzenmotiven gefallen, ziehen andere den Beschauer durch ihre farbige und sehr dekorative Flammenstichwirkung an. Verschiedene Ornamente und alle Regenbogenfarben können vorkommen, und die Bezeichnung "Pfauenfeder" ist für ein Beispiel, das gut hundert Jahre als sein mag, doch sehr treffend. Dieselbe Wandtaschenform fand sich im Bergell in einem Privathaus, an einem Beispiel, welches ziemlich sicher aus Venedig stammt und das um 1700 entstanden sein dürfte. Diesmal handelt es sich um Taschen aus Leder, auf die Vogel- und Blumenmmotive mit feinem Pinsel aufgemalt wurden. Der Grund ist vergoldet und am Rand wurde diese Vergoldung mit feinen Pressverzierungen versehen. Auch die Rückseite besteht aus einem Stück gepressten und verschieden bemalten Leders. Wohl ist das Material unterschiedlich, aber die Verwendung mit den Taschen, die nur flache Gegenstände aufnehmen können, ist doch genau gleich wie bei den Wandtaschen aus dem Engadin. |
Anders ist dies nun beim
nächsten Beispiel. Auch diese Wandtasche kann im
beginnenden 18. Jahrhundert entstanden sein, doch haben
wir eine Kammtasche aus Holz vor uns, mit Fächern, die
sich leicht mit den verschiedensten Gegenständen füllen
liessen. Die Taschen nehmen von oben nach unten in der
Grösse etwas zu und sind mit Schnitzereien verziert, mit
Motiven, die mit den Vögeln und Blumen der bereits
betrachteten Kammtaschen nicht mehr viel Gemeinsames
haben. Blattranken und stilisierte Tulpen finden sich
zwar noch an der Umrandung und auf einem der
Behältnisse, daneben kommt eine Blumenrosette und ein
Engelskopf vor. Leider wissen wir nicht, woher diese
hölzerne Wandtasche stammt. Aehnliche Schnitzmotive
finden sich auf Bergeller Möbeln. Vielleicht ist auch
unsere Holztasche im Bergell hergestellt worden. Eine andere Wandtasche aus Keramik ist möglicherweise in der Hafnerei von St. Antönien im ersten Drittel des 19. Jhs verfertigt worden. Der Scherben ist hellgelbrot gebrannt und die Vorderseite glasiert. Die untere Tasche sowie die ganze Frontseite zeigen gelbbeige Glasur, währenddem die obere Tasche, wie wenn sie ein Blumenkistchen imitieren wollte, ziegelrot glasiert ist. Auf der unteren Tasche und auf dem Oberteil ist ein plastischer Dekor aufgelegt. Blätter und Stengel sind in Seitenansicht wiedergegeben und eine rotglasierte Blüte zeigt sich dem Betrachter von oben her. |
In diesem Falle sind die
Behältnisse so gestaltet, das sich Gegenstände
hineinlegen lassen. Doch scheinen Keramik-Wandtaschen mit
applizierten Verzierungen eher zu den Seltenheiten zu
gehören; man kann sogar annehmen, der Töpfer habe diese
Sonderform nach einem textilen Vorbild gestaltet. Stellen
wir die behandelten Taschen nochmals nebeneinander, so
fällt uns auf, dass Blumenmotive die häufigsten
Ziermotive sind, mögen sie nun gestrickt, gemalt,
geschnitzt oder in Ton modelliert sein. Für die
Aufbewahrung verschiedenartigster Gegenstände aber
lassen sich nur die letztgenannten Wandtaschen aus Holz
oder Ton gebrauchen. Um zu einer gültigen Aussage zu kommen, sollten wir noch viel mehr Formen dieser Wandtaschen ansehen (1). Es scheint aber, dass vor allem die textilen Engadiner Kammtaschen des 17. und 18. Jahrhunderts diese besondere Form der flachen Taschen, in die sich nur wenige, flache Dinge stecken liessen, aufweisen. Velleicht ist diese Form von Süden her ins Hochtal gelangt. In jedem Fall aber bedeuten die prachtvollen "petneras" eine Zierde der Engadinerstube. Im Laufe der Entwicklung muss dies auch ihre Hauptfunktion geworden sein, währenddem von der praktischen Bedeutung lediglich der Name übrig blieb. |
Anmerkung: 1 - ohne Anspruch auf
Vollständigkeit wies Dr. Theo Gantner, Basel, in
dankenswerter Weise auf folgende Vorkommen von
Kammtaschen hin: |
content | Last revised 18 December, 2005 |