ANNE WANNER'S Textiles in History   /  publications

Einige Texte und Bilder aus der Publikation:
Leinenstickereien des 15. bis 17. Jahrhunderts
aus der ehemaligen Sammlung Leopold Iklé
von Anne Wanner-JeanRichard, Herausgeber Textilmuseum des Kaufmännischen Directoriums St. Gallen, Mai 1990
ISBN 3-9520007-1-X

  Literaturhinweise:
zu den Leinenarbeiten:
- Trudel, Verena, Schweizerische Leinenstickereien, Bern 1954, dazu Katalogband
- Schneider, Jenny, Schweizerische Leinenstickereien, Bern 1972
- Petraschek-Heim, Inge, Schweizer Leinenstickereien, in: Jahrbuch des Vorarlberger Landesmuseumsvereins 1978/79, Bregenz 1979, S. 243
- Wanner, Anne, Leinenstickereien des 15.-17. Jhs, aus der ehemaligen Sammlung Leopold Iklé, St.Gallen 1990 (aus dieser Publikation stammen die hier wiedergegebenen Texte. Zusätzlich findet sich dort ein Katalog aller im Textilmuseum St.Gallen befindlicher Leinenstickereien der Sammlung Iklé)
- Wanner, Anne, Tischdecke mit Darstellungen aus dem Leben eines Rindes, in: Zuger Neujahrsblatt 1994, S.72 - 81, Hg. Gemeinnützige Gesellschaft des Kantons Zug, ISBN 3-85761-251-7
zum Sammler Leopold Iklé:
Faeh, Adolf, die Sammlung Iklé, Zürich o.J.
Iklé, Leopold, Textilsammlung Iklé, St. Gallen, 1908
Iklé, Leopold und Faeh, Adolf, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Spitze, Hg. Kaufm. Directorium St.Gallen, Zürich (1913)
Faeh, Adolf und Leopold Iklé (1838-1922), Gedenkblätter unter Zugrundlegung seiner Memoiren, St.Gallen, o.J.

 
   
  Texte aus der oben erwähnten Publikation:

  Tierdarstellungen:
Zu den ältesten Beispielen von Leinenstickereien im Textilmuseum St.Gallen gehören die Streifen mit Tieren in Ranken. Den Tieren können symbolische Bedeutungen zugeschrieben werden, sind doch Tiersymbole eng verbunden mit den ersten Darstellungen in der christlicher Kunst. Auch auf dem Gebiete der Textilkunst gibt es Tierbilder schon sehr früh, z.B. finden sich solche eingerahmt in Medaillons auf spätantiken und frühchristlichen Seidengeweben.

Eine erstaunliche Verbreitung und Nachwirkung hatte der "Physiologus", eine griechisch abgefasste Schrift, in der Eigenheiten von Tieren, Pflanzen, Steinen beschrieben sind. Daran schliesst sich jeweils eine christliche Auslegung, die den hinter dem Wort verborgenen Sinn deuten will. Dieses Werk entstand vermutlich um 200 n.Chr. in Alexandria in Aegypten. Eine erste lateinische Fassung soll zwischen 385 und 500 n.Chr. geschrieben worden sein, und eine deutsche Uebersetzung entstammt dem 11. oder 12. Jh. Sein Einfluss auf die geistlche und weltliche Literatur des Mittelalters, und seit dem 10. Jh. auch auf die Kunst, war gross. Dennoch ist kaum anzunehmen, dass die Stickerinnen der Leinenarbeiten den Physiologus aus eigener Anschauung kannten. Vielmehr mögen sie ihre Tierfiguren nach überlieferten Vorstellungen und Bildern gestaltet haben.

Das Einhorn wird im "Physiologus" beschrieben als keusches und wildes Tier, das sich nur von Jungfrauen fangen liess. Es versinnbildlicht die Menschwerdung und jungfräuliche Geburt Christi. Der Hirsch kann nach dem mittelalterlichen Text mit Quellwasser das Böse und den Teufel überwinden. Das Wasser ist ein Symbol für Christi Blut, und der Hirsch wird somit zum Symbol für Tod und Wiedergeburt Christ. Der Pelikan ist ebenfalls ein Symbol für den Opfertod Christi.

 
Jagddarstellungen finden sich zwar bereits auf römischen Bodenmosaiken des 2. - 4. Jhs n.Chr., stehen jedoch dort vermutlich nicht in religiösem Zusammenhang. Erst später auf Stickereien und zusammen mit dem Einhorn bekommt die Jagd symbolhaften Charakter, sie wird zur symbolischen Verkündigung. Der hornblasende Jäger steht für den Erzengel Gabriel. Mit seinen vier Hunden (manchmal bezeichnet als Fortitudo, Temperantia, Justitia, Prudentia ), die die Tugenden verkörpern, treibt er das Einhorn der Jungfrau Maria entgegen.

Auf profanen Darstellungen kann die Jagd auch vorkommen. Hier legt das Einhorn seinen Kopf in den Schoss einer modisch gekleideten Dame.

Neben dem Einhorn ist der Hirsch ein bedeutsames Tier, sei es in von Pflanzen gebildeten Medaillons oder auf Jagddarstellungen. Er wird nun ein beliebtes Motiv der gedruckten Modellbücher und erreicht damit über Jahrhunderte eine weite Verbreitung und Nachahmung. Diese gedruckten Modellbücher bilden von 1523 - 1626 eine fortlaufende Reihe. Die ersten, von Hans Schönsperger geschaffen, waren noch in Holz gestochen. Um die Wende zum 17. Jh. vollzog sich der Uebergang zum Kupferstich, und hier ist vor allem das Modellbuch des Hans Sibmacher bekannt (1. Auflage Nürnberg 1598, 2. Auflage 1601) oder dasjenige von Federico Vinciolo aus Venedig (1. Auflage Paris 1587, 4. Auflage Paris und Turin 1589).

Die Sibmacher Motive finden sich noch lange im textilen Bereich, z.B. in den Bündner Kreuzstich- und Filetarbeiten, und hier kann man symbolhaften Charakter und religiöse Bedeutung kaum mehr annehmen.

 



Detail, Pfau, aus Leinenstickerei, 17. Jh.
Textilmuseum St.Gallen, Inv.Nr. 20015

 



Detail, Einhorn aus Ueberhandtuch, dat. 1596
Textilmuseum St.Gallen, Inv.Nr. 43159

 
  Pflanzen
Blüten und Blütenranken sind wichtige Elemente der Leinenstickereien. Währenddem die Ranken hauptsächlich dekorative Funktion haben, darf die Wiedergabe verschiedenster Blüten vielleicht in Zusammenhang gebracht werden mit Prachtgärten und den gedruckten Pflanzenbüchern des 16. und 17. Jhs, durch welche das Wissen von den Pflanzen in breite Schichten des Volkes hineingetragen wurde.
Unter anderen legten die Fugger in Augsburg, der Nürnberger Patrizier Christoph Peller, der Fürsbischof von Eichstätt (zwischen Nürnberg und München gelegen) besonders bemerkenswerte Gärten an. Es waren die Jahre, in denen Seeleute und Entdeckungsreisende neue Pflanzen nach Europa brachten. In den Gärten pflanzte man sie an, hier sollte mit Beispielen aus allen vier Erdteilen ein Ausschnitt aus dem Paradies entstehen. Abgebildet wurden die Pflanzen in Herbarien, und einleitend gedachte man jeweils Gottes, als des Ursprungs aller Dinge, also auch der Pflanzenwelt. Der Gelehrte und Botaniker Charles de l'Ecluse (1526-1609) schreibt auf dem Titelblatt seiner Geschichte seltener Pflanzen von 1601: "Jeder Pflanze gab Gott ihre Kraft und jedes Gewächs lehrt, dass er lebt".

Die immer mehr verfeinerte Holzschnitt-Technik und später der Kupferstich erlaubten eine genaue Wiedergabe aller Details, und es ist denkbar, dass Einzelblätter aus Herbarien Vorlagen für gestickte Blüten bildeten. Allerdings lassen sich die Pflanzen der Stickereien botanisch schwer bestimmen, denn oftmals sind die Formen stilisiert. Naturformen scheinen mit Phantasieformen vermischt, auf Leinenstickereien fehlen die Farben. Einige Blüten waren im 16. Jahrhundert besonders beliebt, und es scheint, dass diese Vorlieben ihren Niederschlag auch in den Leinenstickereien fanden.

Der Granatapfel, der vor allem für die italienischen Seidengewebe der Renaissance ein Leitmotiv bildete, hat mit dem botanischen Granatapfel oft nur entfernte Gemeinsamkeiten. Auf den Leinenarbeiten kommt er als bekrönte Apfelform und mit sichbarem samenreichen Inneren häufig vor.

 
Grosse Bedeutung kam der Verbreitung der Tulpen seit etwa 1550 zu. Conrad Gesner (1516-1565) soll die Blüte aus dem Osten 1561 zum erstenmal in Europa abgebildet haben. Dieser Zürcher Gelehrte, der in seiner Heimatstadt eine bedeutende Naturaliensammlung besass und einen botanischen Garten begründete, hinterliess bei seinem Tod eine Anzahl Zeichnungen zu einer "Historia Plantarum".

Blüten von Nachtschattengewächsen erscheinen häufig, und vielleicht handelt es sich um den bittersüssen Nachtschatten. Weil nun aber Leinenstickereien weitgehend farblos sind, könnte es sich genausogut um Blüten von Kartoffeln oder Tomaten handeln. Diese Blüten waren als Zierpflanzen im 16. Jh. sehr beliebt. Die Kartoffel, ehemals von Columbus und Magellan nach Europa gebracht, soll Charles de l'Ecluse 1588 in Flandern begegnet sein, und die Tomate aus Peru oder Mexico, war 1570 in Europa ebenfalls bekannt.

Die Passionsblume, die aus Westindien (Mittelamerika, Karibik) zu uns gelangte, bedeutet eine weitere Neuentdeckung jener Jahre. Bei Basilius Besler, dem Autor des "Garten von Eichstätt" von 1613, fehlt sie zwar. Im englischen Herbarium des John Gerard von 1633 ist sie aber abgebildet und beschrieben. Hier heisst es, die Jesuiten hätten die Blüte "passiflora" genannt, wegen ihrer Aehnlichkeit mit der Dornenkrone Christi.

Für die fortlaufenden und sich überschneidenden Wellenranken, die häufig medaillonartige Felder bilden, könnten Ornamentisten wie z.B. der 1514 in Zürich geborene und später in Nürnberg wirkende Virgil Solis (gestorben 1562) Vorlagen geliefert haben.

 



Detail, Tulpe
Hist. Mus. Kanton Thurgau, Frauenfeld

 



Detail, Blüte von Nachtschattengewächs
Textilmuseum St. Gallen, Inv.Nr. 43159

 
  Evangelistensymbole, Lamm Gottes, Maria, Heilige
Evangelistensymbole finden sich auf den Leinenstickereien häufig. Rein vom Kompositorischen her betrachtet, bilden diese vier Symbole günstige Eckmotive. Das Betonen der vier Ecken oder die Einteilung der Fläche in vier Hauptteile lässt sich bei bildlichen Darstellungen weit zurückverfolgen, wie die Seiten mit Evangelistensymbolen der berühmten irischen Evangelienbücher des 8. und 9. Jahrhunderts zeigen.
Aelter und oft verbunden mit kosmischen Vorstellungen ist die Geschichte der Zahl Vier: vier Jahreszeiten, vier Himmelsrichtungen, vier Elemente usw. Im frühen Christentum hatten christliche Philosophien diese Vierzahl ins christliche Denken miteinbezogen. So vertrat Irenäus von Lyon (2. Jh. n.Chr.) die Ansicht, Christus, der Baumeister des Alls, habe den Menschen das Evangelium viergestaltig, doch von einem Geiste zusammengehalten, gegeben. Damit wäre das Evangelienbuch als Ganzes, ein Abbild der von Gott geschaffenen Welt, und die zu Beginn wiedergegebenen Symbole stehen für die Verfasser der einzelnen Evangelienbücher.

Die Evangelistensymbole sind halb- oder ganzfigurige, meist geflügelte Wesen. Währenddem sie in der Malerei oftmals aufgeschlagene Bücher in den Händen halten, kommt in der Stickerei häufig ein eingerolltes Spruchband mit ihrem Namen vor. Das Symbol für Matthäus ist der Mensch, für Markus der Löwe, für Lukas der Stier, für Johannes der Adler.

Im Zentrum der Leinendecken findet sich oft das Lamm Gottes mit Nimbus (Heiligenschein), Kreuz, Fahne, Kelch. Es verkörpert Christus, der sich für die Sünden der Welt opferte. Darauf weist auch der Kelch hin, der das Blut auffängt. Die Fahne bedeutet Christi Auferstehung. Die Stellung des Lammes im Zentrum weist darauf hin, dass Christus das viergestaltige Evangelienbuch durch einen einzigen Geist zusammenhält.

  Im Zusammenhang mit Christi Opfertod sah man auch die Verklärung Mariens, war sie doch als Mutter an seiner Menschwerdung beteiligt. In den Evangelien finden sich zwar keine Hinweise für die Marienkrönung, und man nimmt an, diese Vorstellung gehe auf eine apokryphe, das heisst auf eine nicht in der Bibel enthaltene Erzählung, und auf die "legenda aurea" des Jacobus de Voragine des 12. Jhs zurück. Mariens Körper soll nach dem Tod so hell geleuchtet haben, dass es deswegen schwierig war, sie anzusehen. Das Leuchten setzte man um in einen Maria umgebenden Strahlenkranz. Diese bedeutende Ereignis in Mariens Leben wurde eine der bekanntesten Szenen des späten Mittelalters.

Maria wird auch dargestellt in der Verkündigungsszene, seltener auf Leinenstickereien sind Geburt, Anbetung, Tod oder ganze Marienleben-Zyklen.

Bei den Heiligendarstellungen überwiegen auf Leinenstickereien die Frauengestelten, die manchmal in Halbfigur und in sie umschliessenden Blattranken wiedergegeben sind. Die ähnlich gestalteten Wurzel-Jesse-Bilder zeigen die Vorfahren Christi.

Ein besonderer, auf einem Beispiel vorkommender Heiliger ist Jodokus, auch Jobst und Jost genannt. Er soll um 600 in der Bretagne geboren worden sein, man verehrte ihn aber in Deutschland, Oesterreich und in der Schweiz sehr. Er war der Schutzheilige der Schiffer und Siechenhäuser (Krankenhäuser). Zudem hatten ihn die in Bruderschaften vereinten Jakobspilger zu ihrem Patron erwählt und stellten ihn dar mit Hut und Stab und der Krone zu Füssen, denn nach der Legende soll er abgelehnt haben über sein Königreich, die Bretagne zu herrschen.

 



Detail mit Evangelist Lukas
Textilmuseum St. Gallen, Inv.Nr. 20011

 



Detail mit Lamm Gottes
Hist. Mus. Kt. Thurgau, Frauenfeld

 
  Biblische und profane Themen, die Vorbilder
Sehr beliebte Themen auf den erhaltenen Leinenstickereien sind Begebenheiten aus dem alten Testament wie Szenen aus der Schöpfungsgeschichte (Adam und Eva) oder die Opferung Isaaks. Auch Bilder der reichen Stoffwelt der Apokryphen, also in der Bibel nicht enthaltene Erzählungen, etwa diejenige des Tobias oder der Susanna, wurden häufig dargestellt. Geschichten des alten und des neuen Testaments können auf ein und derselben Stickerei vorkommen. Aus dem neuen Testament finden sich vor allem Themen zum Leben und Leiden Christi. Christus wird auch segnend als "Ecce Home" wiedergegeben.

Die für die Stickereien so charakteristische, naive Erzählfreude zeigt sich besonders im profanen Bereich. Dazu gehört die Gruppe der sog. Weiberlisten, in welcher die Frau versucht, dem Manne durch List überlegen zu sein. Als Illustration dazu dienen auch einige Geschichten des alten Testaments, wie David und Bathseba, Simson und Dalila, Adam und Eva, Judith und Holofernes, Joseph und Potiphars Frau.

Daneben sind Bilder aus der geschichtlichen Vergangenheit (Entstehung der Eidgenossenschaft im Historischen Museum des Kantons Thurgau, Frauenfeld) oder aus der täglichen Umwelt erhalten, sei es nun die Darstellung verschiedener häuslicher Tätigkeiten, ganzer Hausinventare oder Tisch- und Essgeräte (Schweizerisches Landesmuseum). In der ehemaligen Sammlung Iklé ist zu diesem Themenkreis die Decke mit dem Lebenslauf des Rindes besonders bemerkenswert: in vier Szenen gelangt der Verkauf von Rindern zur Wiedergabe, im Mittelfeld melkt ein Mädchen eine Kuh.

  Die Vorzeichnungen zu den Bildern wurden wohl meistens mit dem Pinsel auf den Stoff gemalt. In der Stickkunst sind Namen von Entwerfern sehr selten überliefert, aber man nimmt an, dass Sticker und Entwerfer nicht ein und dieselbe Person waren. Verena Trudel fand dafür zwei Beweisschriften nämlich eine Briefstelle aus dem Jahr 1575, in welcher von einer Vorlage zu einem Tischteppich die Rede ist. Beim anderen Dokument handelt es sich um einen Chronik-Eintrag um 1500, die den Preis für das Entwerfen eines Altartuches nennt.

Vorlagen zu den Motiven finden sich besonders häufig in zeitgenössischen Bibeln, und der Einfluss von Hans Holbein d.J., Tobias Stimmer, Jost Amman, Virgil Solis zeigt sich allerorts. Bei der Erschaffung Evas diente eine Darstellung in der Art der Weltchronik von Schedel als Vorbild, bei Simson und Dalila übernahm man die Illustration von Holbein in der grossen Froschauerbibel, Zürich 1540.

Ein deutlicher Stilunterschied ist sichtbar bei den Tierdarstellungen und den sie umgebenden Ranken auf dem Tuch mit der Geschichte des Rindes. Hier scheinen die Bilddarstellungen von einer Holzschnittfolge übernommen. Die Pflanzenranken auf derselben Stickerei wirken dagegen steif und unbeholfen. Für das vegetabile Ornament müssen andere Vorlagen gedient haben. Aehnliche Ranken finden sich z.B. auf Schnitzaltären, auch auf Stichen von Ornamentisten. Möglicherweise gab es Vorlagen auf Einzelblättern, die von verschiedenen Kunsthandwerkern benutzt und den jeweiligen Umständen angepasst werden konnten.

 



Detail aus Marienleben, Verkündigung
Textilmuseum St.Gallen, Inv.Nr. 43160

 



Detail aus Verkauf eines Rindes
Decke mit Geschichte eines Rindes
Besitz der Korporation Zug

 
  Zierstiche
Die Leinenarbeiten sind äusserst reich an verschiedenen Zierstichen, eine einzige Stickerei kann rund 12 verschiedene Arten aufweisen. Die Belebung der Fläche durch Stickstiche ist also ein wichtiges Merkmal dieser Gruppe von Textilien und bildet einen der Reize der Arbeiten.

Währenddem auf den Decken des 15. Jahrhunderts Plattstich und Klosterstich überwiegen, kommen im 16. Jahrhundert verschiedene Feston-, Hexen- und Schlingstiche vor. Häufig sind in die Hexen- und Linienstiche zusätzliche Fäden eingeflochten, und damit entstanden Sticharten, die Leopold Iklés besondere Aufmerksamkeit erweckten. Als Kenner der kostbaren Nähspitze forsche er nach dem Ursprung jener so begehrten Fadenkunstwerke. In den Schling- und Flechtstichen, die ja auf dem Gewebe liegen und mit diesem nur am Rande der gemusterten Fläche verbunden sind, glaubte er, die Anfänge der Spitze gefunden zu haben.

Eine genaue Untersuchung der Stiche führte Verena Trudel durch (vgl. Literaturhinweise). Sie beschreibt 25 verschiedene Stiche und von einigen Arten mehrere Variationen. Alle diese Möglichkeiten hier aufzuführen würde den Rahmen des Heftes sprengen. Es seien nur einige besondere Stiche, vor allem aber die Flecht- und Schlingstiche erwähnt.

 
Der sog. Klosterstich fehlt nur auf wenigen Leinenstickereien. Es handelt sich um einen langen Spannstich, der mit schrägen Ueberfangstichen festgehalten wird und damit dem nur selten vorkommenden Stielstich gleicht.

Sehr beliebt waren die vielen Variationen des Festonstiches. Die einzelnen Elemente lassen sich auf die verschiedensten Arten gruppieren.
Ebenfalls ein Schlingstich ist der Verbindungsstich, den man beim Zusammensetzen von Stoffteilen hie und da verwendet.

Der Hexenstich ist in vielen Formen anzutreffen, und besonders beliebt waren die Varianten mit zusätzlich eingezogenen Fäden. Vor allem für die Blütenstengel verwendete man den Hexenstich als Grundstich und flocht in diesen hinein zwei Reihen mit linkem Maschenstich. Arbeiten des 17. Jahrhunderts zeigen häufig einen besonderen Hexenstich. Es ist der orientalische Flechtstich (auch Malteserstich) der in der Ostschweiz "Zwifelstrick" heisst. Der Name soll zurückgehen auf Appenzeller Gürtler, welche den Metallschmuck und das Lederzeug der Sennen und Tiere verzierten. Sie nannten ein besonderes Ornament mit dem Aussehen der in Frage stehenden Stickart "Zwifelstrick".
     


Klosterstich

 



Schlingstich, Klosterstich,
St. Gallen, Textilmuseum Inv.Nr. TM 20011




Flechtstiche, Schlingstiche

St. Gallen, Textilmuseum Inv.Nr. TM 20011

 



Schlingstiche und
verschiedene Gruppierungen mit Schlingstichen






Hexenstich mit Flechtstich
darunter Malteserstich

       

content  Last revised 10 April, 2006