-------ANNE WANNER'S Textiles in History   /  publications

Chormantel (auch Rauchmantel oder Pluviale)
von Anne Wanner,
in: Leopold Iklé - Ein leidenschaftlicher Sammler, hgg. Textilmuseum St.Gallen, 2002


Ein liturgisches Kleidungsstück, vom Priester anlässlich von Prozessionen und feierlichen Handlungen getragen.
Stickereimotive in vergoldetem Silber und farbigen Seiden auf reichen dunkelvioletten Samt appliziert. Kanten beschnitten. Schild und Besätze um Hals und an den Kanten fehlen, einige Motive sind mit andersfarbigen Seiden restauriert.
Kante vorne 121 cm, Rückenmitte 96 cm, Bogen unten 400 cm
England, Anfang 16. Jh.. Provenienz: Sammlung Spitzer.
Textilmuseum St.Gallen, Inv.Nr. 23809 (Textilsammlung Iklé 1908, Nr. 1261)




       
       
  Über das ganze Gewand verstreut finden sich Engel und verschiedene Blumen, darunter stilisierte Lilien. Sie weisen auf die im Hohelied Salomons (Kap. 2, Vers 1) beschriebenen Blumen des Feldes, welche als Sinnbilder Mariens aufzufassen sind. Die in Gold und Blau gekleidete Maria mit offenem Haar als Zeichen ihrer immerwährenden Jungfräulichkeit, ist im Mittelpunkt der Stickerei wiedergegeben. Zu den Strahlen um sie herum bemerken verschiedene apokryphe Erzählungen, Marias Körper habe nach ihrem Tod so hell geleuchtet, dass man sie dieses Lichtes wegen nicht anschauen konnte.

Auf der Stickerei wird sie von fünf halbfigurigen, aus den Wolken hervorkommenden Engeln in die Höhe gehoben. Zwölf weitere Halbengel umgeben Maria. Auch sie sind mit Lichtstrahlen versehen und leuchten aus Wolken hervor. Die Zahl zwölf weist auf die zwölf Apostel oder in erweiterter Bedeutung auf die gesamte christliche Kirche. Sieben Engel mit je vier Flügeln und teilweise ausgestreckten Armen beten Maria an. Vier Engel mit je zwei Flügeln zeigen auf einem Spruchband die Inschrift: "da Gloriam Deo (gib Gott den Ruhm)". Direkt unter Maria hält ein weiterer Engel Leidenswerkzeuge, ein Schild mit Dornenkrone.
  Höhepunkt der englischen Stickerei bedeuteten die Jahre 1250-1350. Später verschwanden die reichen Stickereien, und um 1500 sind die Darstellungen nicht mehr individuell gestaltet. Die einzelnen, untereinander sehr ähnlichen Motive wurden separat auf Leinwand gestickt, ausgeschnitten und in einem weiteren Arbeitsgang auf das seidene oder häufig auch samtene Kirchengewand appliziert. Einzelne Figuren oder Szenen müssen in Stickereiwerkstätten als Auftragsarbeit entstanden sein, denn ähnliche Stickereien haben sich heute in mehreren Sammlungen erhalten (vgl. Durian-Ress Saskia).

 
  Literatur:                                                                           

- Braun P. Joseph, Eine Kasel des 16. Jahrhunderts und verwandte Paramente, in: Die christliche Kunst, 1913/1914, S. 44-54

- Wallis Penelope, Ein mittelalterliches englisches Kirchengewand im Textilmuseum St.Gallen, in: Textilkunst, 12. Jahrg. Heft 1/84, S. 19-21

- King Monique and Donald, European Textiles in the Keir Collection, 400 BC to 1800 AD, London 1990, p. 104

- Durian-Ress Saskia, Textilien Sammlung Bernheimer, München 1991, S. 86, Nr. 30 Pluviale (Inv. 27533). Mit Angaben von verwandten Stickereien und zugehöriger Literatur

- Wanner-JeanRichard Anne, Begleitheft zur Ausstellung Gold- und Seidenstickereien, Textilmuseum, St.Gallen, März 1994 bis Frühling 1995, S.11

- Pirenne-Hulin Françoise, Une chasuble, travail anglais du 15e siècle, conservée au Trésor de la Cathédrale de Liège, in: Bulletin de la Société des Bibliophiles Liègois, Tome XXIV, 2001, S. 79-86

- Sporbeck Gudrun, Köhler Dorit, Museum Schnütgen: Die liturgischen Gewänder 11. bis 19. Jahrhundert, Köln 2001, S. 256, Nr. 70, Pluviale aus der Grande Chartreuse



content   Last revised 15 December, 2005