ANNE WANNER'S Textiles in History   /  publications

"Sankt Galler Spitzen", von Anne Wanner-JeanRichard, publiziert in: Das ist Spitze, Begleitheft zur Sonderausstellung im Historischen Museum Luzern, 25. Januar bis 7. Mai 1995, Historisches Museum Luzern 1995, S. 25 - 39

Abschnitte 1-5: Anfänge. Zu einigen Ostschweizer Entwerfern.
Abschnitte 6-12 : Ende 19. Anfang 20. Jahrhundert - Verschiedene Einflüsse. Schulen. Literatur.

 

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Appenzell

Handstickerei von Hand und mit Maschine
im ausgehenden 19. und im 20. Jahrhundert.

In St.Gallen entwickelte sich in diesem Zeitraum die Maschinenstickerei mehr und mehr, aber danebern existierte die Handstickerei besonders für Spezialitäten weiterhin. Offenbar beschäftigten sich nun vielfach - manche meinen sogar ausschliesslich - Frauen aus dem Kanton Appenzell mit diesen feinen Handarbeiten. Man weiss nicht genau, woher die Entwürfe zu diesen Stickereien stammten, die Zeichnungschule in St.Gallen könnte solche geliefert haben, und auch alle in diesem Institut ausgebildeten Textilentwerfer.

In Appenzell bemühte man sich um die Qualität der feinen Handarbeiten, indem man Stickkurse einführte. Von 1889 - 1901 standen diese unter Leitung von Stickereifabrikant Breitenmoser, später wurde daraus eine staatliche Einrichtung. Diese Kurse fanden jedes Jahr im Frühling statt, sie wurden jeweils von 30 - 40 Mädchen im Alter von 14 - 17 Jahren besucht.

  Im 20. Jahrhundert machte sich der Kunstmaler Hans Caspar Ulrich verdient um die feine Appenzeller Handstickerei. Er wurde am 30. August 1880 als Sohn eines Architekten und Stadtrates in Zürich geboren, wo er die Kunstgewerbeschule besuchte. Später lernte er in Karlsruhe in einer Kunstdruckerei, und studierte daraufhin in München Malerei.
Es folgten Reisen nach Paris, Venedig, Florenz. Aus gesundheitlichen Gründen zog Ulrich ins Appenzellerland, pachtete in Weissbad ein Häuschen. Im Mai 1914 heiratete er Ida Eich.

In Weissbad lernte er die Fertigkeiten der Appenzellerinnen kennen. In seinem Atelier setzten Stickerinnen seine Entwürfe in Stickerei um, und auf seine Anregung hin verwendeten sie alte Zughöhltechniken (Durchbruch) wieder. Meistens sind seine Arbeiten signiert mit dem Buchstaben "U" im Henkel eines kleinen Blumenkorbes.
Ulrich setzte sich für die Weiterbildung talentierter Stickerinnen ein. Als Ziel schwebten ihm künstlerisch geleitete Fachkurse vor.

       

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Druckwerke

Druckwerke als Vorlagen:

Dem Textilmuseum wurden seit etwa 1980 immer wieder reich bestickte, runde Tischdecken angeboten. Diese Decken mit Durchmesser von etwa l m bis 1.80 m sind verziert mit Ornamentik und mit Figurenszenen, die sich in Beziehung bringen lassen mit Illustrationen in bekannten und beliebten Büchern der Mitte bis 2. Hälfte des l9. Jahrhunderts.

Eine solche Decke, vom Textilmuseum St.Gallen erworben, mit Durchmesser von 145cm, zeigt 8 bildliche Darstellungen aus Napoleons Leben, vier davon sind in Nadelspitze, vier weitere sind in Weissstickerei gearbeitet.

1839 war in Paris das Buch "Histoire de l'Empereur Napoleon" von Paul-Matthieu Laurent de l'Ardèche erschienen. Es war illustriert mit zahlreichen Holzstichen nach Zeichnungen des Künstlers Horace Vernet (1783-1863). Die Szene mit Napoleon und Pyramiden in Aegypten zeigt beispielsweise die Umsetzung eines solchen Stiches in Stickerei.

Ein Leipziger Verleger wollte in ähnlicher Art eine Geschichte Friedrichs des Grossen herausgeben. Der Historiker, Kunsthistoriker und Dichter Franz Kugler (1808-1858) konnte für dieses Unternehmen gewonnen werden, als


  Illustrator wirkte Adolf Menzel (l815-1905) mit, und gedruckt wurde dieses mit Holzstichen illustrierte Buch in Berlin von 1846-1857. Eine weitere, in der Ostschweiz gearbeitete Decke, heute in Nürnberg, zeigt das Flötenkonzert und weitere Szenen aus dem Leben Friedrichs des Grossen.

Eine weitere, weissbestickte Decke zeigt Szenen, aus Goethe's 1808 erschienenen Doktor Faust. Der Düsseldorfer Künstler Peter Cornelius (1783-1867) war von der Tragödie sehr beeindruckt, und er zeichnete dazu 12 Blätter. Stilistisch griff er dabei auf das Mittelalter zurück und setzte sich bewusst in Widerspruch zu französischen Strömungen wie Rokoko und Empire. Goethe selber war von diesen Blättern sehr angetan. Cornelius verkaufte sie dem Frankfurter Verleger Wenner, der sie 1816 in Stichen von Ruscheweyh herausgab. Der Künstler beeinflusste damit die späteren illustrierten Ausgaben von Goethes Faust. Als Vorlagen zur gestickten Decke verwendete man Stiche und Zeichnungen von Engelbert Seibertz (geb. 1813) und von A. Zwick. Währenddem Seibertz Bilder die Ausgabe von 1854 illustrieren, fanden sich die von Zwick in der Ausgabe von Moritz Ehrlich, Berlin 1883.



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Naturformen

Das Stilisieren von Naturformen in den Zeichnungsschulen von ca. 1870 - 1914

Seit der Mitte des 19. Jhs entstanden Kunstgewerbeschulen und auch Zeichenschulen für Industrie und Gewerbe. Das Zeichnen nach Natur bedeutete in diesen Schulen eine wichtige Grundlage, man sah in der Natur das "nie versagende Vorbild für Farbe und Form". In der ersten Jahrhunderthälfte liebte man realistisch dargestellte Pflanzen, in der 2. Hälfte versuchte man, die Natur zu stilisieren. Darunter verstanden die einen, das etwas strengere Zeichnen der Naturformen und das Weglassen von Unwesentlichem. Künstlerpersönlichkeiten brachten bald ihre eigene Ueberzeugung in die Pflanzenwelt, sie idealisierten diese nach bestimmten aesthetischen Formen. So lässt sich der floralen Jugendstil vor allem in Arbeiten der Stickerei, als ein ein idealisiertes Naturbild ansehen. In einem weiteren Schritt bildete das Pflanzenstudium vor allem Ausgangspunkt und Anregung zu neuen Formen. Der Künstler sollte Ge­etzmässigkeiten des Pflanzenbaus herausfinden, und diese seiner Gestaltungskraft dienstbar machen.

1892 befasste sich Richard Hofmann (1853-1903) in Plauen im Vorwort zu seinen Stickereivorlagen mit dem Thema Stilisieren. Nach seiner Ansicht herrschte bei den Franzosen ein wilder Naturalismus, weil sie die Gesetzmässigkeiten von Symmetrie, Flächenverzierung nicht beachteten. Die Naturbeobachtung in der japanischen Kunst empfand er jedoch als vorbildlich, und es zeigte sich denn auch in den Stickereivorlagen des ausgehenden 19. Jh ein starker japanischer Einfluss.

  Fast gleichzeitig betonten andere Künstler die Linie. Dies führte bei Otto Eckmann (1867-1902) zum floralen Jugendstil. Hier wiegen sich Blüten, Zweige, Gräser in s-förmigen Linien, aber gesamthaft treten realistische Naturformen wieder stärker hervor.
Zeitgenossen kritisierten dass Henry van de Velde (1863-1957) an seiner Schule in Weimar das Naturstudium nicht lehrte. Für ihn besassdie Linie eine besondere Kraft, und er beschäftigt sich mit den Gesetzmässigkeiten ihrer Bewegung über Jahr­zehnte. Von der einfachen Linie gelangte er zu komplexen Flächenmustern. Hier schenkte er der Ausgewogenheit zwischen positiv schwarzen und negativ weissen Flächen grösste Aufmerksamkeit.
Auch die strengeren und abstrakten Formen eines Josef Hoffmann (1870-1956), der 1903 die Wiener Werkstätte mitbegründete, führten zu neuen Impulsen.

In den Schulen blieb das exakte Studium von Pflanzenformen eine wichtige Grundlage. Manche Lehrer, wie z.B. Johannes Stauffacher (1850-1916), seit 1888 an der Zeichnungsschule in St.Gallen, änderten ihre Art über die Jahre hinweg nur wenig, und blieben bei dem leichten Stilisieren und Weglassen von Unwesentlichem.

In der Stickerei überlebte der florale Jugendstil das Jahr 1902 mit dem Tod Otto Eckmanns und auch Otto Werders nicht lange. Es entwickelte sich bald ein sachlicher Stil, mit kleinen, geometrischen, ruhigen Mustern, die sich nicht vordrängten, und die sich zudem gut für die technischen Gegebenheiten der Stickmaschine eigneten.

     
 



   

 

   

 


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Ostasien

Der Einfluss Ostasiens

Seit der Oeffnung der japanischen Häfen um 1854 verstärkte sich der Einfluss ostasiatischer Kunst in Europa. Neue Bildthemen wurden angeregt, und als bedeutendste Neuerung zeigte sich eine wesentliche Aufwertung des Dekorativen.

In Paris machte der Kunsthändler Samuel Bing seinen Zeitgenossen die japanische Kunst zugänglich, man kann ihn als Inspirator des Japonismus in Frankreich bezeichnen. In seinem Geschäft für ostasiatische Kunst bot er mehrere Tausend japanische Holzschnitte an und handelte mit Japanobjekten. Grösste Breitenwirkung erreichte dieser Einfluss durch Bings 1888 gegründete Zeitschrift "Le Japon Artistique". Damit sollte das europäische Kunstgewerbe neuen Halt und Vorbild gewinnen.

Auch in St. Gallen war das Interesse für Ostasien gross. Schon im Jahre 1860 hatte das Kaufmännische Directorium versucht, in Japan und China neue Absatzgebiete zu finden. Ein Rudolf Lindau reiste in diese Länder und berichtete dem Directorium über die entsprechnden Möglichkeiten. L.O.Werder lernte während seiner Pariserzeit, 1888 und 1889, Bings Galerie sicherlich kennen.

  Später an der St.Galler Zeichngsschule kann er "Le Japon Artistique" nicht übersehen haben, hatte doch die Bibliothek jene Zeitschrift von Anfang an abonniert, und zudem lag das Heft in manchen Musterzimmern von Stickereifirmen.

Zu einem wichtigen Motiv des floralen Jugendstils entwickelte sich die Iris oder Schwertlilie. Bei den holländischen Malern des 17. Jhs hatte sie in prachtvollen Blumen-Arrangements eine hervorragende Rolle gespielt. Mit den japanischen Farbholzschnitten kamen die westlichen Künstler mit einer neuen Flächenkompositionsweise in Berührung. Die Art und Weise, blühende Pflanzen darzustellen, blieb in Ostasien nicht zufällig und einzelnen Künstlern überlassen, sondern sie war in Lehrbüchern, z.B. im Senfkorngarten, aufgezeichnet.
Bei der Iris ranken sich einige Blätter empor, andere neigen sich, meistens bilden die Blätter die Hauptachse. Auch der Leerraum ist in die Stilisierung einbezogen. Es ergibt sich eine Verbindung von ungebrochener Naturfrische, feinem dekorativem Geschmack, hoher stilistischer Sicherheit.

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St. Gallen

Die Zeichnungsschule in St.Gallen

Gegründet wurde die "Schule für Musterzeichner am 11. November 1867 mit 24 Schülern. Sie unterstand dem Kaufmännischen Directorium (Handelskammer der Kantone St.Gallen und Appenzell), und die Fabrikanten, die sich ihr gegenüber zunächst skeptische verhielten, erkannten bald die Nützlichkeit der hier ausgebildeten qualifizierten Zeichner.

1882 zog sich der erste Leiter Heinrich Bendel aus Gesundheitsgründen zurück, und in Prof. Friedrich Fischbach aus Deutschland fand sich im Jahre 1883 ein neuer Direktor, der das Unterrichtsprogramm erweiterte. Die Schule hiess nun "Zeichnungsschule für Industrie und Gewerbe" und zusammen mit Museum und Musterzimmer (später Bibliothek) sollte ein einheitliches Ganzes entstehen. Ein eigenes Haus für die Institute wurde am 2. November 1886 an der Vadianstrasse eingeweiht. Die Zusammenarbeit mit Fischbach allerdings gestaltete sich weniger erfreulich als erhofft, unter anderem legte jener zu viel Gewicht auf das historische Ornament. Sein Vertrag wurde nach Ostern 1888 nicht mehr verlängert. Gleichzeitig hob man die Direktorenstelle der Zeichnungsschule auf, es gab nun nur noch den Direktor des Museums, der auch die administrative Schulleitung übernahm.

1908 erlebte die Schule mit 366 Schülern einen Höhepunkt, aber seit 1914 hatte sie gegen die zunehmende Stickereikrise zu kämpfen, 1923 zählte sie noch 20 Schüler. Eine neue Bedeutung konnte sie 1929 nochmals erreichen, indem aus der Stickerei-Zeichnungsschule eine Zeichnungsschule für Textilindustrie und textiles Kunstgewerbe wurde. 1980 nannte man sie um in Fachschule für Textiles Gestalten, gegenwärtig sind wieder neue Lösungen für verschiedene Probleme nötig.

  Um die Jahrhundertwende prägten verschiedene Persönlichkeiten die Zeichnungsschule und den Musterstil in St.Gallen. Es ergaben sich in dieser Stadt ähnliche Debatten um Kunst und Industrie,wie in Deutschland.

Der Industrielle Otto Alder (1848-1933) war ein bedeutender Vertreter der Maschinenstickerei. Als jahrelanges Mitglied der Museumskommission interessierte er sich für die Ausbildung von Entwerfern und für Fragen der Kunst. Im neuen Stil, besonders in den Arbeiten des Genfers Eugène Grasset, sah er "fessellose und regellose Phantasiegebilde" und bemängelte die "indiskutable Inkorrektheit der Zeichnung". Er meinte, ein solcher Stil wäre für St.Gallen "eine ganz falsche Fährte", denn in der Stickerei sollte die Eleganz regieren, und das Ornament müsse mithelfen, "diejenigen Variationen von Mustern herauszubringen, die der Markt von Saison zu Saison erheische".

Im Lehrerkollegium der Zeichnungsschule befand sich seit 1892 Emil Hansen (Nolde) (1867-1956) aus Norddeutschland. Auf Grund seiner Skizzenbücher mit historischem Ornament hatte man ihn unter 34 Bewerbern ausgewählt, und man erwartete eine Formensprache, die sich an alten Stilen orientierte. Nolde sollte Entwürfe für das Kunstgewerbe liefern und Unterricht im Flachornament erteilen. Schon bald jedoch suchte er seinen eigenen Ausdruck, und setzte sich mit dem Jugendstil auseinander. An der Schule fand er dafür kein Verständnis, es wurde ihm auf 1898 gekündigt, "weil es Herrn Hansen nicht gelungen ist, die gewerbliche Seite seiner Aufgabe, auf die von Anfang an das Schwergewicht gelegt wurde, in einer Weise auszubilden, wie man es erwartet hatte."

     

       

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St. Gallen

Der in St.Gallen hochgeachtete Blumenmaler Johannes Stauffacher (1850-1916) lehrte seit Mai 1888 an der Schule "Stilisieren und Componieren unter besonderer Berücksichtigung der Bedürfnisse unserer Industrie", wobei "das Studium der Natur die solide Basis bilden muss, auf welcher sich das Können der Zeichner entwickelt."

Er hatte als einer der ersten Schüler die St.Galler Zeichnungsschule absolviert und sich anschliessend in Paris zum anerkannten Zeichner weitergebildet. In seinem Unterricht vertrat er eine naturalistisch-ornamentale Richtung, und den neuen Stil, den er "Nudelmeierei" nannte, lehnte er gänzlich ab. Otto Alder warf ihm vor, er bilde seine Schüler zu Spezialisten im Blumenzeichnen aus, auch betrachte er die Industriellen mit Geringschätzung, die von Kunst und Zeichnen nichts verständen, auf diese Weise halte er die Musterzeichner geradezu fern von ihrem zukünftigen Berufe. Die Diskussionen zogen sich über mehrere Jahre und führten zur Kündigung auf den 30. Juni 1904. Stauffacher gründete nun in St.Gallen eine eigene Zeichnungsschule.

L.O.Werder(1868-1902) unterrichtete seit 1.September 1896 als Lehrer für Musterzeichnen für Maschinenstickerei an der Schule,ein Schulbericht erklärt dieses Fach wie folgt: "die Abteilung wird nach dem Plane geführt, dass im engeren Anschluss an das vorausgegangene Fach des Naturzeichnens einfache, in grossem Rapport gehaltene Flächenmuster entworfen werden; allmählich wird die Aufgabe bestimmter und enger gefasst und schliesslich eine spezielle Technik zu Grunde gelegt, für welche die Zeichnung zu berechnen ist."
  Werder bemühte sich, neben Grundlagen wie Naturstudien und Uebungen in künstlerischer Gestaltung, auch technische und wirtschaftliche Gesichtspunkte in seinen Unterricht einzubeziehen und bezeichnete dies als "bewusstes Komponieren".

Er glaubte an Kunst in Gewerbe und Industrie, und besonders auch an den Einfluss der erzeugten Produkte auf das Schönheitsgefühl der Allgemeinheit. Damit stimmte er überein mit der englischen "Arts and Crafts Exhibition Society". Weil die Industrie in seinem Denken eine wichtige Stellung einnahm, sind bei ihm Werkbundideen schon Jahre vor der Gründung dieses Bundes zu finden. Zwischen Stauffacher und Werder gab es ähnliche Spannungen über Individualität und Typisierung, wie im Werkbundstreit.

Zwei Besprechungen im Tagblatt St.Gallens durch Otto Alder über Werders Vorlagemappen, weisen auf ein gutes Verhältnis mit den Vorgesetzten. Alder betonte dort zwar zuerst, dass ihn der neue Stil nicht begeistere, weil ihm eben Duft und Eleganz fehlten, aber in Werders Werk fand er doch manch glückliche Lösung. In der 2. Serie lobte er Fortschritte, wie die Ausführung der Zeichnungen, die sorgfältig und wohlstudiert seien.

Leider konnte Werder nicht mehr alle seine Ideen verwirklichen. Er hätte im Sinne gehabt, die Textilsammlung eines weiteren kunstverständigen Industri­llen, Leopold Iklés nämlich, zu bearbeiten und in seine Lehre miteinzubeziehen. Iklé schenkte diese Sammlung dem damaligen Industrie- und Gewerbemuseum, und sie wurde eine der wichtigen Grundlagen für dieses Institut.
       

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Kunst und Industrie

Kunst und Industrie
In früheren Zeiten verkauften die Handwerker ihre Erzeugnisse selber, in der 2. Hälfte des 19. Jhs stieg die Bedeutung des Kaufmanns, er war es, der den neuen Industrien die Wege zuwies. Für einen guten Absatz stand die Frage im Vordergrund, ob das Endprodukt weite Kreise befriedige. Ebenfalls wichtig war die technische Brauchbarkeit eines Entwurfes, die aestethischen Qualitäten jedoch blieben unbedeutend. Dies hatte zur Folge, dass künstlerischen Werte bei den massenhaft produzierten Gebrauchsgegenständen in dieser 2. Hälfte des 19. Jhs zunehmend verloren gingen.

In England lehnten sich Künstler und Kunsthandwerker gegen die Imitation von alten Stilen auf, sie gründeten 1888 die "Arts and Crafts Exhibition Socienty", deren Ziele hohe Handwerksqualitäten und Materialgerechtheit war. Mit dieser Bewegung gewann der Künstlers als Mitarbeiter an Bedeutung , er sollte Anregungen geben, neue Wege aufzeigen, um über alte Formen hinauszugelangen. Der Fabrikant und Kaufmann seinerseits wünschte Hilfe bei der Bewertung der Entwerfer, sowie beim Verständnis des Künstlergeschmackes, denn er wollte das Gute vom Mittelmässigen unterscheiden können. Es entstanden Vermittlungsstellen zwischen Kunst und Gewerbe. Friedrich Deneken, seit 1897 Direktor des Kaiser Wilhelm Museums in Krefeld, betrieb gezielte Förderung des örtlichen Gewerbes unter Mithilfe von Jugendstilkünstlern. Er baute eine Vorbildersammlung auf, stellte Ausstellungen zusammen, suchte Künstlerentwürfe für das Gewerbe zu beschaffen. Weil aber Deneken die Industrieprodukte ablehnte, in ihnen minderwertige Produktkultur sah, ergaben sich Widersprüche zwischen seinen Vorstellungen und der industriellen Realität.

Der Belgier Henry Van de Velde wurde auf den 1. April 1902 nach Weimar berufen, um Gewerbe und Kunstgewerbe im Lande zu
  heben.Sein Einfluss sollte die formalen Qualitäten von Industrieprodukten verbessern, man erwartete von ihm Unterstützung von kleingewerblichen Betrieben bei formalen und technischen Innovationen, und endlich gehörte es zu seinen Aufgaben, überleferte Material- und Formerfahrung zu retten. Van de Velde errichtete Werkstätten, die gleichzeitig Lehr- und ProduktivWerkstätten waren, aber von seinem Ziel, diese Werkstätten unabhängig zu gestalten, blieb er weit entfernt.

Der Werkbund wurde in Deutschland im Jahre 1907 und in der Schweiz im Jahre 1912 gegründet.
Dieser Bund umfasste Architekten, Formgestalter, Kunstgewerbler, sowie Industrie- und Handwerksbetriebe. Man hatte begriffen, dass es nicht möglich war, zum Handwerk zurückzukehren, es war nötig, mit der Industrie und nicht gegen diese zu arbeiten. Kunst, Industrie und Handwerk sollten zusammenwirken, mit dem gemeinsamen Ziel, die gewerbliche Arbeit zu veredeln. Auf der Grundlage industrieller Fertigung sollte sich ein gegenwartsorientierter Stil entwickeln. Die Schulen sollten sollten nicht in erster Linie zur Kunst, sondern zum gewerblichen Geschmack erziehen.

Auseinandersetzungen zwischen erfindendem und ausführendem Geist, zwischen Kunst und Industrie fanden einen Höhepunkt im sog. Werkbundstreit von 1914. Hermann Muthesius, Mitbegründer des Werkbundes setzte sich ein für Typisierung. Für gewisse Normalbedürfnisse unserer technischen Zeit und zum besseren Export, sollten gute Normaltypen entwickelt werden. Die Künstler, allen voran Van de Velde, sahen in der Typisierung einen Verlust der Individualität, des freien, spontanen Schöpfertums.
Man meint, es sei der Ausbruch des ersten Weltkrieges gewesen, welcher damals das Auseinanderbrechen des Werkbundes um diese Frage verhindert habe.
       

Literatur zum Thema:
1) verschiedene Jahresberichte, die das Textilmuseum betreffen:
Verwaltungsberichte des Kaufmännischen Directoriums an die kaufmännische Korporation in St. Gallen
Jahresbericht der Zeichnungsschule für Industrie und Gewerbe in St.Gallen: 1. Bericht 1883 bis 9. Bericht 1892.
Bericht über das St.Gallische Industrie- und Gewerbe Museum, St.Gallen: 1. Bericht 1878 bis 15. Bericht  1892.
Seit 1892 Zusammenlegung von Bericht IGM und Bericht Zeichnungsschule
Bericht über das Industrie- und Gewerbe-Museum St.Gallen und über die Zeichnungsschule für Industrie und Gewerbe, seit 1892

2.) weitere Spezialliteratur:
- Alder, Otto, der neue Stil in der Stickereiindustrie, in: Tagblatt der Stadt St.Gallen vom 15.4.1898
- Alder, Otto, der neue Stil in der Stickereiindustrie, in: Tagblatt der Stadt St.Gallen vom 22.11.1901
- Alder, Otto, Bericht, gedruckt im Juli 1897, "convidentiell" Im Jahre 1903 erschien er als Beilage zum Bericht IGM, 1. Mai 1902 - 30.April 1903
- Grönwoldt, Ruth, Art Nouveau Textildekor um 1900, Katalog zur Ausstellung des Württembergischen Landesmuseums, Stuttgart 10. Juli - 31. August 1980
- Hartmann, von G.B. u. Fischer, Wend; Zwischen Kunst u. Industrie. Der Deutsche Werkbund, Stuttgart 1987
- Hochuli, Urs, "In welchem Styl man decorieren soll..", in:  Stickereizeit, St. Gallen 1989, S. 60
- Leuenberger, Hans Rudolf, 500 Jahre Kaufmännische Corporation St. Gallen, St.Gallen 1966
- Neff, Karl, Die Appenzeller Handstickerei-Industrie, Appenzell 1929
- Parry, Linda; Textiles of the Arts and Crafts Movement, London 1988
- Reuther, Manfred, das Frühwerk Emil Noldes, Köln 1985
- Schläpfer, Walter; Wirtschaftsgeschichte des Kantons Appenzell Ausserrhoden, Gais 1984
-.Sembach, Klaus-Jürgen, und Schulte, Birgit, Hg.; Henri van de Velde, ein europäischer Künstler seiner Zeit,                Ausstellungskatalog, Köln 1992
- Stauffacher, Johannes,  Studienreisen, St.Gallen 1897
- Strässle, Monica; Die textil-gewerblichen Bildungsinstitute in St.Gallen, in: Stickereizeit, St.Gallen 1989, S. 52
- Wanner, Anne; Kunstwerke in Weiss, St.Gallen, 1983
- Wanner, Anne; Maschinenstickerei: Bedeutung und Entwicklung, in: Stickereizeit, St. Gallen 1989, S. 80
- Wanner, Anne; Paris Longchamp: St.Galler Spitzen im Rennen, in: Stickereizeit, St.Gallen 1989, S. 90
- Wanner, Anne; Wilhelm Koch und die feine Reliefstickerei in der Ostschweiz, in: Zeitschrift für Archäologie und Kunstgeschichte, 4, 1993
- Wartmann, Hermann; Industrie und Handel 1867-1880, St.Gallen 1887 und 1891-1900, St.Gallen 1918
- Werder, Ludwig Otto, Neue Spitzen. Entwürfe für Spitzen, Stickereien, Gardinen in moderner Auffassung, Zürich 1898
- Werder, Ludwig Otto, Dentelles Nouvelles, types modernes pour dentelles broderies, rideaux, 2me série, Plauen 1901, 1. und 2. Auflage
- Ziegler, Ernst; Zur Geschichte des St.Gallischen Leinwandgewerbes, in: Rorschacher Neujahrsblatt 1983, 73. Jhg und: Vom Leinwandgewerbe, in: Stoffe und Räume, Langenthal 1986



  Ostschweizer Entwerfer 19./20. Jh., Schulen  

content  Last revised 25 July, 2006