ANNE WANNER'S Textiles in History / publications |
Texte einer ersten Version, zum Beitrag in der
St.Galler Geschichte, 2003 Die überarbeitete Version, zusammen mit Beiträgen von Marcel Mayer, Dr.phil, wurde publiziert: Vom Entwurf zum Export: Produktion und Vermarktung von Sankt-Galler Stickereien 1850-1914 von Anne Wanner-JeanRichard und Marcel Mayer, in: Sankt Galler Geschichte 2003, Band 6, die Zeit des Kantons 1861 - 1914, S. 143 - 168 ISBN 3-908048-43-5 (2003 Amt für Kultur des Kantons St.Gallen) |
Abschnitte 1-4: Entwerfer, Exporteure Abschnitte 5-9: Industrie-Ausstellungen, Stickmaschinen, Produkte Abschnitte 10-13: Schule, Gestaltung Literatur, Zitate |
10 |
Die Zeichnungsschule
in St.Gallen Die Industrie- und Handelskammer St.Gallen, Appenzell, gründete am 11. Nov. 1867 eine Zeichnungsschule (Z1). Zeichenlehrer und Leiter war Johannes Schlatter-Brüngger (1822-1899), der in den ersten 15 Jahren als alleiniger Lehrer etwa 100 Musterzeichner ausbildete, und nach Vergrösserung der Schule (Z2) bis zu seinem Rücktritt im Jahre 1890 hier unterrichtete. Das Jahr 1883 brachte einige Aenderungen: Friedrich Fischbach (1839-1912) aus Deutschland wurde zum Direktor der Zeichnungsschule (Z3) berufen, eine Position, die es nur bis 1888 gab. Neue Abteilungen entstanden, z.B. die Dilettantinnenklassen, aus denen sich eine Ausbildung im Kunststicken entwickelte. In den Jahresberichte wurden seit 1883 Listen aller eingeschriebener Schüler veröffentlicht, man zählte in diesem Jahre 37 Schülerinnen und 71 Schüler. Entwerferinnen erhielten von Anfang an dieselbe Ausbildung wie ihre männlichen Kollegen. Die Musterzeichnerinnen fanden allerdings nach vollendeter Ausbildung nur schwer eine Anstellung in einem Industriebetrieb (Z4). ....wir konstatieren von diesem Verfahren nur gute Folgen, wie dies übrigens überall der Fall ist, wo man unbefangen genug war, die Ausbildung von Schülern und Schülerinnen einheitlich in gemeinsamen Klassen zu betreiben, anstatt sie aus eigentlich kaum einzugestehenden Gründen zu trennen.... Ein neu erbautes Haus an der Vadianstrasse vereinte seit 1886 Schule, Bibliothek und Textilmuseum (Z5). Der erster Museums Direktor Heinrich Bendel (1845-1931) (Z6), trat 1883 zurück. Sein Nachfolger Emil Wild (1856-1923), stand dem ganzen, nun dreiteiligen Institut bis 1923 vor. Im Laufe der Jahre unterrichteten viele Lehrer am Institut. Der später weitherum bekannte Blumenmaler Johannes Stauffacher (1850-1916) hatte seine Ausbildung bei Johannes Schlatter-Brüngger erhalten. Nach einigen Studienjahren in Paris übernahm er im Mai 1888 den Unterricht im Stilisieren und Componieren unter besonderer Berücksichtigung der Bedürfnisse der Industrie. Das Studium der Naturformen bildete für ihn die |
Basis, auf welcher sich das
Können der Zeichner weiter entwickeln sollte (Z7).
Auf Grund von Skizzenbüchern mit historischen Ornamenten erhielt Emil Hansen (Nolde) (1867-1956) aus Norddeutschland im Jahre 1892 einen Lehrauftrag. Allerdings interessierte er sich nach einiger Zeit für die neue, 1896 in München entstandene Kunstströmungen und zeichnete für die Zeitschrift Jugend Ornamente und Vignetten. In St.Gallen blickte die Textilindustrie aus Tradition nach Frankreich, man war überzeugt, dass die wahre Eleganz im französischen Barock und vor allem im Rokoko liege. Für den japanischen Musterstil war das Interesse ebenfalls gross (Z9). Auch Ludwig Otto Werder (1865-1902), ehemaliger Schüler und späterer Lehrer, beteiligte sich an der Auseinandersetzung um den Jugendstil in St.Gallen. Seit 1. Nov. 1896 unterrichtete er das Fach Musterzeichnen für Maschinenstickerei (Z10), und ihm gelang es, die neuen Formen in St.Gallen beliebt zu machen. Auf Reisen besuchte er verschiedene Ausstellungen, studierte die englische arts and crafts-Bewegung, und diskutierte sicher auch mit seinem Kollegen Emil Hansen über den neuen Stil, die beiden unterrichteten doch fast 2 Jahre gleichzeitig an der Zeichnungsschule. Werder publizierte zwei Vorlagenwerke (Z11), und wollte damit den Beweis erbringen, für die Existenzberechtigung der jetzt sich bahnbrechenden Dekorationsweise.. Im ersten Mappenwerk erinnern die Mustervorlagen mit oft breiten, starken Linienführungen an japanische Holzschnitte. Die zweite Publikation zeigt feine, zarte Blütenkompositionen, floraler Jugendstil in seiner anmutigsten Ausprägung. Er betonte, dass man bei der Herstellung eines Entwurfes nichts dem Zufall überlassen dürfe. Auf der Grundlage von Naturstudien und künstlerischem Fühlen sollten technische Ausführbarkeit, wie Erfordernisse des Marktes berücksichtigt werden. Dies nannte er bewusstes Componieren, darin sah er den eigentlichen Zweck des Schulbetriebes. Leider erlebte Werder den Erfolg seiner Bemühungen nicht mehr, er starb am 27. Nov. 1902 (Z12). |
10a |
Anmerkungen: 1) Kaufm.Korporation und kaufm.Directorium 1864-1880, St.Gallen 1882, S. 31; V 1867/68, S.16,17. Sie bot einen Kurs für Anfänger, einen Fortbildungskurs für Musterzeichner und eine systematische Ausbildung zum Musterzeichner. Es gab nun ausgebildete Entwerfer und solche, die ihren Beruf im Fabrikationsbetrieb erlernten. Entwürfe von Musterzeichnern fanden auch bei handgearbeiteten Weissstickereien Verwendung 2) Aufgabe der Schule war es (Z 1883/1884, S.3,5,9, Jb 1883/1884, S. 1,2 ), durch Ausbildung von Zeichnern und Zeichnerinnen der Industrie und dem Gewerbe des Kantons St.Gallen zu dienen. Die Schüler sollten vielseitig in der Kunst des Ornamentzeichnens unterrichtet werden, und nicht in einer zufällig herrschenden Moderichtung. Man unterschied zwischen Tagesschülern und Stundenschülern mit mindestens 12 Stunden pro Woche. 3) Anstellung: V 1881/82, S.14; Jb 1882, S. 16; Z 1883/1884, S.4. Der Erwerb von Geweben von Fischbach ist bereits genannt im Jb 1878 S. 3. Die eigentliche Sammlung kam 1882 nach St.Gallen. Fischbach verkaufte sie für DM 15'000 oder sFr.18'750 zu jährlichen Raten von mindestens sFr.3000 (V 1881/1882 S. 17). In Z, 1883/1884, S. 4,5 werden 1206 Textilgegenstände genannt, neben Bucheinbänden, Buntpapieren, Druckmustern, Steingut-Ornamenten und einem indischen Broncepfau. Im Inventarburch des Museums Bd. 1 sind Fischbach-Textilien aufgeführt von Nr. 865 bis Nr. 1546 4) MZ 1893, S. 22, MZ 1899/1900, S. 13,14. 5) Neben der Zeichnungsschule gab es ein Musterzimmer im Direktorialgebäude der Handelskammer (=Kaufmännisches Directorium). Seit 1863 abonnierte man Textilmuster aus Frankreich, diese wurden auf Blätter geklebt und zu Folianten gebunden, den sog. Muster- oder Referenzbüchern. Als ausserdem graphische Vorlagen, Zeitschriften und gedruckte Bücher angeschafft wurden, entstand daraus eine Bibliothek. 6) Alle Direktoren und Lehrer (nicht die Frauen) sind aufgelistet in: Strässle, Monica; Die textil-gewerblichen Bildungsinstitute in St. Gallen, in: Stickereizeit, Kunst in St.Gallen - 1870-1930, St.Gallen 1989, S. 53,54 Direktor Wild übernimmt auch die administrative Verwaltung der Zeichenschule Z 1888/1889, S. 3; Nachruf V 1922/1923, S. 30-42. 7) Anstellung: V 1886/1887, S. 24; Z 1888/1889, S. 7; sowie in Johannes Stauffachers Buch: Studienreisen, St.Gallen 1897, S. 181. Ende der Tätigkeit: MZ 1902/1903, S. 14 - 17; sowie: V 1902/1903, S.17:...."Ende Juni ist es zu einer Kündigung der Lehrstelle des Herrn J. Stauffacher auf 30. Juni 1904 gekommen, weil Herr Stauffacher sich immer nicht dazu verstehen konnte, den Lehrplan der Schule auch für ihn massgebend anzuerkennen und sich loyal an denselben zu halten; vielmehr bei jeder Gelegenheit in Buch-, Brochüren- und Briefform jedem, der es hören wollte, verkündete, dass der Studiengang, wie er aus den Beratungen der Museumscommission und des Directoriums hervorging, gründlich verkehrt sei und durch einen von ihm selbst aufgestellten "richtigen Unterrichtsgang" ersetzt werden sollte"....; sowie: MZ 1903/1904, S. 12 |
8) Anstellung:
V 1890/1891, S. 17; Z 1891/1892, S.3, sowie
Jb 1992, S.2:..."Herr Hansen hat sich als
Zeichner für das Museum aufs Beste eingeführt, er hat
schon eine Reihe geschmackvoller Entwürfe für das
Kunstgewerbe geliefert". 9) Beziehungen zu Japan: St.Gallen/Appenzell: Kaufm. Korporation und Kaufm. Directorium in St.Gallen 1844-1863, St.Gallen 1866, S. 2-7; Lindau, Rudolf; Handelsbericht an das Kaufm. Directorium in St. Gallen, über Shanghai in China, St. Gallen 1861; und über Japan, St.Gallen 1862. vgl. Die Zeitschrift "Le Japon Artistique" befindet sich im alten Bestand der Textilbibliothek St.Gallen, sowie unter den 1985 an das Textilmuseum geschenkten Büchern aus der Textilfirma Grauer 10) L.O.Werders Ein- und Austritt in die Zeichnungsschule ist festgehalten in Z 1884-1886. In Privatbesitz ist L.O.Werders Tagebuch erhalten, das er vom 27. August 1885 bis am 10. Januar 1893 führte. Er weilte von 1888 bis Herbst 1889 in Paris und unterrichtete seit 1. Nov. 1896 als Lehrer an dem genannten Institut. Seine Tätigkeit wurde wie folgt umschrieben: Herr Werder wurde mit der Aufgabe betraut, im Musterzeichnen für Maschinenstickerei und verwandte Gebiete zu unterrichten.... Die Abteilung wird nach dem Plane geführt, dass im engeren Anschluss an das vorausgegangene Fach des Naturzeichnens einfache, in grossem Rapport gehaltene Flächenmuster entworfen werden, allmählich wird die Aufgabe bestimmter und enger gefasst und schliesslich eine spezielle Technik zu Grunde gelegt, für welche die Zeichnung zu berechnen ist (V 1895/1896, S. 18; MZ 1896/97, S. 12,15). 11) L.O. Werder, Neue Spitzen. Entwürfe für Spitzen, Stickereien, Gardinen in moderner Auffassung, Zürich 1898, L.O. Werder, Dentelles Nouvelles, types modernes pour dentelles broderies, rideaux, 2me série, Plauen 1901, 1. und 2. Auflage 12) Nachruf im Tagblatt der Stadt St.Gallen, Nr. 2, 3. Jan. 1903, 3. Blatt, er befasst sich eingehend mit Werders Unterrichtszielen. Ostschweiz Nr. 276 vom 29. Nov. 1902; NZZ, 1. Dez. 1902. Abkürzungen der Berichte V = Verwaltungsbericht KD = Verwaltungsberichte des Kaufmännischen Directoriums an die kaufmännische Korporation in St. Gallen Z = Bericht Zeichnungsschule = Jahresbericht der Zeichnungsschule für Industrie und Gewerbe in St.Gallen (gegründet vom Kaufmännischen Directorium), 1. Mai bis Ende März, 1. Bericht 1883 bis 9. Bericht 1892 Jb = Bericht IGM = Bericht über das St.Gallische Industrie- und Gewerbe Museum, St.Gallen, 1. Bericht 1878 bis 15. Bericht 1892, seit 1892 Zusammenlegung von Bericht Zeichnungsschule und Bericht IGM zu: MZ = Bericht IGM: Bericht über das Industrie- und Gewerbe-Museum St.Gallen und über die Zeichnungsschule für Industrie und Gewerbe. |
11 |
1883 suchte man auch für
die Abteilung der weiblichen Handarbeiten (Z13)
eine Lehrkraft im Ausland, und stellte Helene
Weidenmüller (1850-1938) aus Kassel,
Deutschland an. Sie unterrichtete die Mädchenklassen bis
1892 im Zeichnen, Malen und Handarbeiten. Später
übernahmen auch ehemalige Schülerinnen den Unterricht. Anna
Nef (Lebensdaten unbekannt) leitete die Klassen
bis zu ihrer Heirat im Herbst 1896. Anna
Schelling (1873-1960) führte einen
zweijährigen Lehrgang ein, den die Mädchen seit 1905
mit einem Diplom im Kunststicken abschlossen (Z14).
Die Absolventinnen konnten nun als Sticklehrerinnen
arbeiten oder ein Kunststickatelier führen, in dem Damen
des gehobenen Bürgertums Stickarbeiten zur
Verschönerung des Heimes fertig oder vorgezeichnet
erwarben. Anna Schelling, die unverheiratet blieb, prägte die Ausbildung von 1896 bis Ende der 1930er Jahre. Den Zeichenunterricht erteilten im Hause ausgebildete Musterentwerferinnen. Ausser einigen heute in der Textilbibliothek aufbewahrten Naturstudien, ist auch von diesen Frauen (Z15) kaum mehr als der Name bekannt. Elise Rüdin (1864-1956) unterrichtete an der Schule von Januar 1892 bis 1898. Die Heirat mit ihrem Berufskollegen Ignaz Adolf Stebel bedeutete das Ende ihrer beruflichen Arbeit. Gertrud Hauser (1860-1946) folgte ihr als Zeichenlehrerin, sie ist bis 1905 im Personal Etat der Jahresberichte aufgeführt. Auf die Frage, ob eine technisch begabte Stickerin nur von ihr selbst Erfundenes ausführen solle, reagierte die Schule 1915 mit der Einführung eines besonderen Zeichnungskurs, mit Abschlussdiplom. Bei Ellen Gmür und bei Sophie Meinherz, ihrer Nachfolgerin (Z17), lernten die Kunststickerinnen das Erstellen oder Abändern und Ergänzen von Entwürfen. Unsere Auffassung geht dahin, dass ganz vortreffliche Arbeit selbständigen Wert hat, auch wenn sie nach Anleitung Dritter entstanden ist. Die ausserordentliche Tüchtigkeit im Feinsticken, die in der Ostschweiz traditionell vorhanden ist, braucht nicht notwendig mit ebenbürtigen zeichnerischen Fähigkeiten verbunden zu sein....(Z16). Neben den Kunststickklassen gab es für Mädchen weitere Ausbildungmöglichkeiten: 1888 führte Emil Wild erste Frauen-Handarbeitskurse ein. Bis 1894 schlossen 55 von 715 Mädchen mit einem Diplom als Handarbeitslehrerin ab. Anfang 1895 bezog die gross gewordene Abteilung ihr eigenes Schulhaus. Elisabeth Bernegger (geb. 1872) von 1890 bis 1893 als Musterentwerferin ausgebildet, übernahm seit 1895 den Zeichnungsunterricht an der Frauenarbeitsschule. |
Nach dem Wegzug dieser
Schülerinnen war an der Vadianstrasse Platz freigeworden
für eine Kettenstich-Abteilung, dazu
gesellte sich die Nähmaschinen- oder Lorrainestickerei.
In einer ersten Phase von 1894 bis 1904 arbeiteten hier Frau
Rutishauser und Clara Wellauer (Z19).
Ein weiterer Versuch für Nähmaschinensticken datiert
vom Juli 1910. In 10 Wochen konnten Frauen diese Technik erlernen den Hausfrauen gewähren wir gerne bestimmte Ausnahmen von der Unterrichtszeit, um ihnen die Fortsetzung ihrer häuslichen Tätigkeit neben der Ausbildung zu ermöglichen (Z20). Anmerkungen: 13) Die Lehrerinnen dieser Abteilungen fanden bisher in keiner Untersuchung Erwähnung. Nachrichten finden sich in den Jahresberichten von Schule und Museum. Lebensdaten liessen sich teilweise im Stadtarchiv St.Gallen eruieren. Helene Weidenmüller (1850-1938): Eintritt: Jb 1883, S.2, Rücktritt: Jb 1891/1892, S. 6; Anna Nef (Lebensdaten unbekannt): Uebernahme: Jb 1891/1892, S. 6; MZ 1895/1896, S. 20-22, Anna Schelling (1873-1960): Uebernahme: MZ 1895/1896, S. 22; Auflösung der Kunststickklassen: V 1961, S. 52 14) Die Ausbildungszeit für Fachlehrerinnen des Kunststickens dauerte 2 Jahre, bei einer täglichen Unterrichtszeit von 7 Stunden, dazu gehörten 1-2 Tage pro Woche Unterricht im Zeichnen und Entwerfen. Daneben gab es Fachkurse, die an 4 Halbtagen pro Woche belegt werden konnten und Kurse mit freier Wahl der Zahl von Halbtagen...... V 1920, S. 51. 5) Elise Rüdin (1864-1956), Jb 1892/1893, S. 6, sie unterrichtet seit Januar 1892 Zeichnen und Malen. Gertrud Hauser (1860-1946), übernahm die Klassen nach der Heirat von Elise Rüdin mit I.A.Stebel, MZ 1902/1903, S. 4, 22. Gesundheitliche Probleme werden genannt, ab MZ 1905/1906 ist sie nicht mehr aufgeführt. 16) selbständiger Wert der Arbeit: MZ 1915/1916, S. 17, V 1920, S. 51 17) Ellen Gmür: V 1915/1916, S. 39, MZ 1915/1916, S. 14, Rücktritt: V 1920, S. 51, Nachfolgerin wird Sophie Meinherz: V 1920, S. 51 18) Elisabeth Bernegger (geb. 1872) Zeichenunterricht bei den Handarbeitslehrerinnen: MZ 1895/1896, S.4 19) Frauen Handarbeitskurse: MZ 1893/1894, S. 5, S. 28ff.; MZ 1894/1895, S. 3; Rückblick S. 23; industrielles Atelier: Kettenstichabteilung: MZ 1894/1895, S. 3; Industrielles Atelier: MZ 1910/1911, S. 15,16 20) Ausnahmen für Hausfrauen: MZ 1910/1911, S. 20 |
12 |
Im späteren 19. Jh.
hatten sich Maschinenstickereien zum bedeutenden
Schweizerischen Exportgut entwickelt. An den in- und
ausländischen Industrieausstellungen von 1878 bis 1914
sah man hauptsächlich Maschinenstickereien. Die
Handstickerei war nicht ganz verschwunden, sie wurde vor
allem im Kanton Appenzell weitergepflegt und hatte die
Stellung einer besonderen Spezialität erhalten (A12).
1878 kündigte sich in Paris (A13) ein Stilwandel an, ostasiatische, vor allem japanische Beeinflussung begann eine Rolle zu spielen. Die Schweizer Dessins blieben davon zunächst unberührt, die Muster gestaltete man weiterhin im Stile des Rokoko. Neue technische Erfindungen, wie die Schifflistick-maschine (A14) und die Aetztechnik(A15) mit ihrer Möglichkeit alte Musterstile zu imitieren, erhielten dem gegenüber grösseres Gewicht. Die Abhängigkeit vom Pariser Geschmack hatte sich verringert, die Zeichnungsschule St.Gallen und ihre Ausbildung von Stickereientwerfern fand im In- und Ausland Anerkennung. Der gute Rut der St.Galler Produktion vergrösserte sich international, ausländische Kunden besuchten die Stadt mehrmals jährlich. Umgekehrt waren Ostschweizer Unternehmungen in allen grösseren ausländischen Städten gut vertreten. Dadurch verlor der Vergleich an internationalen Ausstellungen seine Bedeutung, und als Paris 1889 das 100jährige Jubiläum der französischen Revolution mit einer Weltausstellung (A16) feierte, liessen sich Schweizer Industriellen nur mit Mühe zum Mitmachen überzeugen. Ein Punkt der Kritik bildeten die Preismedaillen (A17), die sich immer weniger auf erbrachte Leistungen bezogen. Auch setzte sich die Ansicht vermehrt durch, dass Neuigkeiten zum Schutz vor Kopisten besser geheim bleiben sollten (A18). Im Dezember 1896 entflammte die Diskussion um den richtigen Dekorationsstil anlässlich der Schweizer Landesausstellung in Genf von 1896 (A19) erneut. In einem Artikel des St.Galler Tagblattes wurden kritische Aeusserungen aus einem Bericht der Münchner Neuesten Nachrichten zitiert (A20). Der ungenannte Autor riet zu einer Neubelebung der Stickereiindustrie durch eine neue Auffassung im Ornament. Es handelte sich hier um eine Anspielung auf den Jugendstil, der sich in der St.Galler Zeichnungsschule nicht durchsetzte. Emil Hansen, der seit 1892 an der Schule unterrichtete, sympatisierte stark mit dem Münchener Jugendstil, wie oben erwähnt musste er deshalb auf 1898 St. Gallen verlassen (A21). |
Vor allem der Industrielle
Otto Alder stand diesem neuen Stil, den er als fessellos
und regellos bezeichnete (A22),
zunächst ablehnend gegenüber, nach weiteren
Auseinandersetzungen fand er jedoch später eine
Anwendung der neuen Ornamente in der Stickerei denkbar. Anmerkungen: 12 - E.A.Steiger-Züst, Schweiz. Landesausstellung in Bern 1914: die Stickerei Industrie 13 - W.H.Uhland, Leipzig 1880, Pariser Weltausstellung 1878 14 - Leopold Iklé, Schweiz.Landesausstellung in Zürich 1883, Bericht über Gruppe 5: die Stickerei, Zürich 1884. Schifflimaschine zum ersten Mal ausgestellt, S. 13 15 - An der Pariser Weltausstellung von 1889 waren Aetzspitzen zum ersten Mal ausgestellt 16 - Otto Alder, Weltausstellung in Paris, 1889, Schweiz.Stickerei Klasse 34, Biel 1890 17 - Leopold Iklé, C.Wetter-Rüesch, Weltausstellung Paris 1900, Bericht über Klasse 84: Spitzen, Stickereien und Passementerien, Neuchâtel 1901, über Preismedaillen, S. 20. Iklé mein hier, einige Firmen würden an Ausstellungen gute Objekte zeigen, nicht aber in ihrer täglichen Arbeit. Diese Firmen verschafften sich durch Anwendung bedeutender Kosten oder gar Verwendung Talente Dritter hervorragende Stücke. Die Medaillen zeigten vor allem die Bedeutung der ausstellenden Firma. Die Preisrichter berücksichtigten frühere Preise und verliehen einer Frima mindestens gleichwertig, aber nicht weniger gute als in Vorjahren. An der Landesausstellung in Bern (Schweiz. Landesausstellung Bern 1914, Gruppe 14, Stickereien, E.Wild-Gsell, St.Gallen, S. 250) verzichtete man auf das Verleihen von Preisen, über der Stickereiabteilung stand zu lesen, sie sei ausser Preiswerbung (Dr. Arthur Steinmann, die Stickerei i.d.Schweiz. Landesausst. 1914, aus: Schweizerland, Nr.3, 1914, S.135). 18 - Otto Alder, wie Anm.15, S. 11, S. 19, auch Genf 1896 19 - Schweizerische Landesausstellung in Genf 1896, Gruppe 8, Stickerei, F.Gull, S. 117 20 - Bemerkung eines ungenannten Autors im St.Galler Tagblatt vom 18.12.1896 21 - Kündigung von Emil Hansen in Verwaltungsbericht des Kaufmännischen Directoriums 1896/97, S. 22,23, St.Gallen 1898; vgl. auch: Anne Wanner, St.Galler Stickereispitze um die Jahrhundertwende, in: Spitze, hgg. G. Framke, 1995, S. 76 22 - dieser Bericht Otto Alders, gedruckt im Juli 1897 war zuerst vertraulich und mit der Bemerkung confidentiell versehen. 1903 erschien er als Beilage zum Jahresbericht IGM 1902/1903. Otto Alder besprach die Vorlagenwerke des Zeichenlehrers L.O.Werder im Tagblatt der Stadt St.Gallen vom 15.4.1898 und 22.11.1901 |
13 |
In den Jahren des Uebergangs
vom 19. zum 20. Jh. gab es heftige und zahlreiche Diskussionen
über die Bedeutung von Kunst, Kunstgewerbe, dekorative
Kunst und industrielle Produktion. Zwar lassen
sich Serien gleichartiger Produkte in Handarbeit
verfertigen, doch bildet gerade die Serienproduktion
wesentliches Merkmal der industriellen Fertigung.
Einzelne Typen, oft in Handarbeit verfertigt, bilden die
Grundlage zur serienmässigen Maschienproduktion. In
England befasste sich die arts and crafts
Bewegung (A23) mit ähnlichen Fragestellungen. Von
1888 bis 1916 machten Künstler in Ausstellungen auf gute
Muster aufmerksam, die auch in der Industrieproduktion
Verwendung finden sollten. Im Laufe der Jahre verlagerte
sich der Schwerpunkt mehr und merh auf die Gestaltung von
industriellen Produkten. Der Deutsche, wie der
Schweizerische Werkbund (A24)
suchten im frühen 20. Jh. Antwort auf die Frage, ob
serienmässig hergestellte Gegenstände einen Kunstwert
haben konnten. Design wurde zum Ausdruck eines
neuen Lebensgefühls, welches Bezüge zum Zeitgeschehen
schafft, die Entwicklung der Gesellschaft spiegelt. In Russland fand der Konstruktivismus eine besondere Antwort auf den sich abzeichnenden sozialen Auftrag (A25). Künstler erforschten die Wechselbeziehung zwischen Künstler und Produktion, in der Erschaffung nützlicher Dinge sahen sie eine Aufgabe und begaben sich selber in die Industriebetriebe. Sie hatten jedoch weder die Bedingungen der industriellen Produktion noch den wirklichen Bedarf der Leute genügend richtig eingeschätzt, auf dem textilem Gebiet hatten sie mit ihren klaren, geometrischen Stoffmustern wenig Erfolg, die Bevölkerung kaufte lieber Sophakissen mit Blütenkränzen! Ansätze zu Ideen der künstlerischen Avantgarde kann man in St.Gallen aufspüren. Der Textilsammler Leopold Iklé und sein Sohn Fritz Iklé bearbeiteten kurz vor dem 1. Weltkrieg volkskundliche Stoffe in dem mit der Zeichnungsschule verbundenen Museum (A26). In diesen selben Jahren begeisterte sich |
Sophie Taeuber
(1889-1944) in ihren Münchener Studienjahren für die
Volkskunst. Diese Künstlerin hatte ihre Jugendjahre in
Trogen verbracht, und später eine Zeitlang in St.Gallen
künstlerische Ausbildung erhalten (A27). Eine
Begegnung Sophie Taeubers mit den erwähnten Sammlern
liegt im Bereiche des Möglichen. Die zur Diskussion
stehenden kroatischen Stickereien sind heute noch in der
Textilsammlung erhalten. Sie zeigen kräftige
Farbtönungen, horizontal-vertikale Musterungen,
geometrische Formen, und könnten die Künstlerin zu
ihren ersten konstruktivistischen Arbeiten inspiriert
haben. Hans Arp, der Sophies Entwürfe 1915 in Zürich sah, war davon sehr beeindruckt (A28). Für die St.Galler Textilindustrie waren diese geometrischen Musterungen zu anvantgardistisch, solche Formen finden sich erst viel später, nachdem abstrakte Kunst und Art Deco sich etabliert hatten. Anmerkungen: 23 - über arts and crafts Bewegung: Linda Parry, Textiles of the Arts and Crafts Movement, London, 1989 24 - über Werkbund: Lucius Burckhardt, Hg., Der Werkbund in Deutschland, Oesterreich und der Schweiz, Stuttgart 1978 25 - über russischen Konstruktivismus: Alexander Nikolaewitsch Lawrentjew, Ein Leben für den Konstruktivismus, Stepanowa, Warwara (1894-1958); Ausstellung Helmhaus Zürich, 1.6.-1.7.1989, Das Leben zur Kunst machen 26 - nach seiner Schenkung von1900 und der Publikation des Textilkataloges von 1908 sammelte Leopold Iklé weiter. Eine Reihe von volkstümlichen Arbeiten, die sich in der Sammlung befinden, wurden damals nicht in die Inventarbücher des Museums eingetragen, handschriftliche Notizen weisen auf Leopold und Fritz Iklé als Donatoren. Von Fritz Iklé ist bekannt, dass er sich besonders um die textilen Techniken interessierte. 27 - Sandor Kuthy, Sophie Taeuber- Hans Arp. Künstlerpaare, Künstlerfreunde, von, Bern 1988 28 - Ausstellung im Aargauer Kunsthaus, Sophie Taeuber Arp zum 100sten Geburtstag, Aarau 1989, S. 26 |
Entwerfer, Exporteure | Ausstellungen, Produkte | Schule, Gestaltung | Literatur |
content | Last revised 27 July, 2006 |