Annatextiles VOCABULAR - Embroideries


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Weissstickerei
Taschentücher der Ostschweiz

Whitework Embroidery
handkerchieves of eastern Switzerland





             
   
  Taschentücher der Ostschweiz; aus der Sammlung des Textilmuseums St. Gallen.
In der Ostschweiz stickten die Frauen seit der Mitte des 18. Jahrhunderts als Heimarbeiterinnen. Auftrag und Material vermittelten Fergger, oder Zwischenhändler, welche die ausgeführten Stickereien an die Handelsherren in der Stadt weiterleiteten, und diese exportierten die feinen weissen Kunstwerke in alle Welt. Das Verzieren von Taschentüchern gehörte zu den häufig ausgeführten Stickarbeiten.
Im Lande selber bedeutete die Heimarbeit eine wichtige Einkommensquelle. Eine erste Industriestatistik aus dem Jahre 1880 nennt für die Kantone St.Gallen, Appenzell und Thurgau 2330 Handsticker und Handstickerinnen.

Ostschweizerinnen stickten zudem im Ausland. So waren im 19. Jahrhundert Molkenkuren in Badeorten beliebt. Appenzeller zogen oftmals mitsamt ihren Kühen und Ziegen in diese Kurorte. Hier stickten ihre Frauen und nahmen für vornehme Kundschaft Bestellungen auf. Andere Stickerinnen fanden Arbeit in Handarbeitsgeschäften grosser europäischer Städte, manchmal führten sie ihre Geschicklichkeit sogar in Schaufenstern solcher Geschäfte vor.


Aus den Jahren 1850 bis 1865 haben sich in der Textilbibliothek St. Gallen Vorzeichnungen der Firma Johannes Baenziger aus Thal (SG) erhalten. Nach dem frühen Tod des Gründers Johannes Baenziger (1804-1840) übernahm Joh. Georg Euler (1815-1895) das Geschäft seines Prinzipals.
Er begründete in kurzer Zeit den Weltruf der Firma und verkaufte Handstickereien in fast alle europäischen Staaten und nach Amerika. Für ihn arbeiteten Stickerinnen in der Ostschweiz und auch in Bayern, in Vorarlberg und im Tirol. Im Jahre 1840 soll er 4000 Arbeiter beschäftigt haben. Die Firma Baenziger besass mehrere Zweigniederlassungen, eine befand sich im Oesterreichischen Höchst, nahe der Schweizer Grenze. Im Inventar des Stuttgarter Museums sind Taschentücher der Firma Baenziger in Höchst erwähnt.

Die Sammlung des Textilmuseums St.Gallen umfasst ca. 300 von Hand bestickte Taschentücher, von den meisten sind die genauen Umstände der Herstellung unbekannt.

Durch den glücklichen Fund von Mustervorlagen wurde es möglich, einige Arbeiten genauer einzuordnen. Besonders erwähnenswert sind die von Wilhelm Koch (1823-1897) entworfenen Reliefstickereien. Er stammte aus dem deutschen Hanau und liess sich 1857 in der Ostschweiz nieder. Als Dessinateur arbeitete er in einer Firma, in welcher sein Bruder Teilhaber war. Dieses Geschäft, Custer, Koch & Cie St.Gallen, wurde am 15. Sept. 1861 aufgelöst. Wilhelm betrieb in der Folge eine Nähmaschinenhandlung.
Es ist sehr wohl möglich, dass er weiterhin Stickereien entwarf und diese von Ostschweizerinnen ausführen liess. Von ihm ist eine Sammlung von Vorlageblättern erhalten geblieben, es sind 173 Blätter mit Miniaturmalereien auf blauem und seltener braunem Papier. Oftmals sind zusätzlich kleine bedruckte Stoffstücklein aufgeklebt, damit wird eine Reliefwirkung suggeriert. Die fertigen Reliefstickereien bestehen aus Applikationen von dicht bestickten Stoffstücklein auf einem ebenfalls dicht bestickten Untergrund.

Die genannten Blätter legte man den Kunden vor, um nach deren Wünschen Aufträge zusammenzustellen. Anschliessend stellte der Dessinateur nach diesen Vorlagen Umzeichnungen, sog. Stüpfelzeichnungen her.
Transparentes Papier wurde mit feinen Nadeln durchstochen und die Musterformen liessen sich durch Durchreiben von dunkler Farbe auf den Stoff übertragen.

Weitere Taschentücher lassen sich auf Grund von Familiengeschichten datieren.
Zum Beispiel stickte Anna Maria Mettler (1825 -1870) aus Herisau. Von ihr blieb ein Taschentuch aus der Mitte des 19. Jahrhunderts erhalten. Man weiss, dass sie im
Jahre 1847 Sebastian Herzog (geb. 1822), der in St.Gallen ein Rideaux-Geschäft führte, heiratete. In der Folge war sie wohl von ihrer wachsenden Familie sehr in Anspruch genommen, und sie stickte nur noch selten.
Der jüngster Sohn Richard (1864-1935) ergriff später den Beruf eines Stickereientwerfers. Seine Kinder und Enkel bewahren heute noch Stickereien der Urgrossmutter auf.

Clara Rusch-Diethelm (1882-1960) heiratete 1907 den Ostschweizer Kaufmann Valentin Keel, der früh verstarb. 1916 schloss sie mit Landammann Rusch in Appenzell ihre zweite Ehe. Sie unterstützte die Handstickerinnen tatkräftig, vermittelte an diese manchen Auftrag von Freunden und Bekannten und erwarb auch selber Stickereien für die eigene Familie und zu Geschenkzwecken.
Sie schätzte Moritz Rechsteiner als Zeichner und Entwerfer und liess von ihm mehrmals Entwürfe anfertigen. (Anne Wanner-JeanRichard
)
  Sticktechniken:
In der feinen Handstickerei gelangten drei Gruppen verschiedener Stickstiche zur Anwendung:
Bei den Flächenstichen herrschte der leicht reliefierte Plattstich vor, dazu gehören auch eigentliche Reliefstickereien und Applikationen.
Die Gruppe der Hohlsäume und Durchbrucharbeiten heissen in der Ostschweiz "Zughöhl", sie lassen die Stickerei leicht und transparent erscheinen.
Schliesslich vermitteln die mit Schlingstich in vorbereitete Löcher eingearbeiteten Nadelspitzen der Stickerei ein besonders kostbares Aussehen.
Die Frauen spezialisierte sich meistens in eine der drei Musterungsarten, und die kleinen Kunstwerke wanderten von einer Hand zur anderen.

Die Technik des Kettenstichs soll um die Mitte des 18. Jahrhunderts von Lyon in die Ostschweiz gelangt sein. Das zu bestickende Gewebe spannte man straff in einen speziellen Rahmen, nun zog die Stickerin mit der Tambourier- oder Häkelnadel Schlinge um Schlinge durch den Stoff, es ergaben sich Linien aus Kettengliedern.
Obwohl man in der Ostschweiz die einnadelige Kettenstichmaschine seit 1867 kannte, blieben die Tambourierstickereien noch bis in die 1870er Jahr hinein beliebt.

Die erstmals 1882 geübte Ausschneide- oder Spachteltechnik eröffnete neue Möglichkeiten und erlaubte seit 1888 ein erfolgreiches Konkurrieren mit der Textilindustrie des englischen Nottingham. Erst im letzten Viertel des 19. Jhs wurde die Kettenstichmaschine für die sog. Grobstickerei unentbehrlich.


Maschinenstickerei:

Die 2. Hälfte des 19. Jhs brachte für die Handstickerei schwierige Zeiten. Die Handarbeit versuchte, ihre Stellung neben einer sich schnell entwickelnden Maschinenstickerei zu behalten.
Zwar hatte Josua Heilmann bereits 1828 eine Handstickmaschine in Mülhausen erfunden. Für eine zufriedenstellende Produktion waren jedoch entscheidende Verbesserungen nötig. Es gelang dem St. Galler E.F. Rittmeyer und seinem Mechaniker in den 1850er Jahren mit einer veränderten Maschine die ersten guten Resultate zu erreichen.
In den 1860er Jahren erfand Isaak Gröbli (1822-1917) aus Uzwil (bei St.Gallen) die seit 1883 weit verbreitete Schifflistickmaschine.

Für die Handstickmaschine war ein besonderer Tüchli-Rahmen entwickelt worden. Hier spannte der Sticker einen Viertel des Taschentuches straff ein.Auf der Maschine liessen sich etwa 40 solche Rahmen gleichzeitig besticken. War eine Ecke vollendet, so drehte man den Rahmen mitsamt dem Tuch, und bestickte auf diese Weise eine Ecke nach der anderen.
Mit der Stickmaschine liessen sich hauptsächlich Plattstichstickereien und Hohlsaumarbeiten ausführen.

Für die 1883 erfundene Aetzstickerei konnte man die ältere Handstickmaschine und auch die neuere Schifflimaschine verwenden. Mit pflanzlicher Faser wurde auf ein Gewebe aus tierischer Faser gestickt. Nach dem Entfernen des Trägergewebe mittels Natronlauge, blieb die Stickerei als “Spitze” übrig. Später verwendete man Acetat und ätzte das Trägergewebe mit Aceton weg. In neuerer Zeit lassen sich synthetische Grundstoffe (Solvron) mit warmem Wasser auswaschen. Folien oder Vlies können mit kaltem Wasser entfernen werden.
Diese Stickereispitze ist für alle erdenklichen Zwecken verwendbar, auch zur Verzierung von kostbaren Taschentüchern.



weitere Literatur über dasselbe Thema, von Anne Wanner:
- Taschen und Taschentücher,
Begleitpulikation zur Ausstellung im Textilmuseum St.Gallen, vom 1. Juni 1999 bis Frühling 2000.
- Taschentücher aus der Ostschweiz, in: Spitzen und Geschichten um das Taschentuch, Hg. Deutscher Klöppelverband, 1998, S. 105.
- Kunstwerke in Weiss, Stickereien aus St.Gallen und Appenzell im 19. Jahrhundert, St. Gallen 1983.

 
 
          Die nachfolgenden Beispiele stammen aus der Sammlung des

Textilmuseums St.Gallen (Schweiz)
Details von Taschentüchern mit Stickerei in Baumwolle und Leinen
  The following examples belong to the collection of the

Textilmuseum St.Gallen (Switzerland)
Details of handkerchieves with embroidery in cotton and linen threads.
     

Detail Taschentuch Inv.Nr. TM 23194

Detail Taschentuch Inv.Nr. TM 40114

Detail aus Taschentuch Inv.Nr. TM 20307

Inv.Nr. TM Detail aus Taschentuch Inv.Nr. TM 20353

Inv.Nr. TM Detail aus Taschentuch Inv.Nr. TM 40122

Inv.Nr. TM Inv.Nr. TM 20309, Mitte 19. Jh.

Inv.Nr. TM 20309 Detail mit Reliefstickerei

Inv.Nr. Detail aus Taschentuch Inv.Nr. TM 40122

Inv.Nr. TM 20323 Detail mit Reliefstickerei


Inv.Nr. TM 20323 Detail


Inv.Nr. TM 46364 Detail


Inv.Nr. TM 20310 Detail mit Reliefstickerei


Inv.Nr. TM 20310 Detail


Inv.Nr. TM 40070 Detail

 
Detail aus Taschentuch mit Reliefstickerei Inv.Nr. TM 20306, Mitte 19. Jh.


     

Machine embroidered handkerchieves

   


embroidered with handmachine
around 1850-60


embroidered with handmachine
Schrägstichfeston 1850-60


embroidered with handmachine
2nd half 19th century


Machine embroidered corners
of handkerchiefs, after 1870


Machine embroidered corners
of handkerchiefs, after 1870

Machine embroidered corners
of handkerchiefs, after 1870

   
Photonachweis:

Textilmuseum St.Gallen (Schweiz)
 

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Last revised August, 2016 For further information contact Anne Wanner wanner@datacomm.ch