ANNE WANNER'S Textiles in History   /  scan books

Thesis of Anne Wanner-JeanRichard: Kattundrucke der Schweiz im 18. Jahrhundert, ihre Vorläufer, orientalische und europäische Techniken, Zeugdruck-Manufakturen, die Weiterentwicklung, Basel, 1968
       
 
     
 
Kattundrucke der Schweiz im 18. Jahrhundert
ihre Vorläufer, orientalische und europäische Techniken, Zeugdruck-Manufakturen, die Weiterentwicklung
Basel, 1968

section 2
 
content scan    
 
   
  II. Indiennes im Orient und in Europa
1. Über Herkunft und Entwicklung
.............des orientalischen Musterungsvorganges........................09
2.
Die Bedeutung der ostindischen Handelskompagnien .............11
3.
Erste Nachahmungsversuche und Einschränkungen ...............12
4.
Bedeutende Druckerei-Betriebe außerhalb der Schweiz ..........16
5.
Oberkampf, Schüle und Leitenberger ......................................20
6.
Die Zeugdruck-Manufakturen der Schweiz ...............................24



Anmerkungen zu Text und Abbildungen:
1 bis 193 =
Hinweise, die sich auf den Text beziehen
200 bis 340 =
Nachweis von abgebildeten und besprochenen Stoff-Beispielen
 
 
       
  II. Indiennes im Orient und in Europa

1. ÜBER HERKUNFT UND ENTWICKLUNG DES ORIENTALISCHEN MUSTERUNGSVORGANGES
 
 
 
9 Im mittelalterlichen Europa besaß das Druckverfahren mit Applikationsfarben schwerwiegende Nachteile. Die Stoffe waren meistens weder wasch- noch feuchtigkeitsfest und der oft unangenehme Geruch machte sie für Kleider- oder Möbelstoffe wenig geeignet.
Im Orient muß seit frühesten Zeiten ein anderes, zwar zeitraubenderes, aber dafür befriedigenderes Verfahren der Stoffmusterung angewendet worden sein. Bereits Herodot berichtet von Bewohnern des Kaukasus, die auf ihre Kleider mit Hilfe einer aus Blättern gewonnenen Farbe Tierfiguren malen (33); Strabo (63 v. Chr-20 n. Chr.) erwähnt bedruckte Stoffe aus Indien (34) und Plinius (23-79 n.Chr.) spricht im 35. Buch der Naturalis Historia (35) über eine spezielle Art der Kleiderfärbung in Ägypten. Die deutsche Übersetzung lautet (36):

«In Ägypten malt man auch Kleider auf eine höchst wunderbare Weise, indem man die weißen Zeuge, nachdem sie gewalkt sind, nicht mit Farben, sondern mit Mitteln, welche die Farbe einsaugen, bestreicht. Nachdem dies geschehen ist, zeigt sich noch keine solche an den Zeugen; sondern diese werden in einen Kessel mit kochendem Farbstoff getaucht und nach einem Augenblicke gefärbt herausgezogen. Wunderbar ist, daß, während sich doch nur eine Farbe in dem Kessel befindet, aus demselben an dem Kleide diese und jene, je nachdem sie sich nach der Beschaffenheit des empfangenden Mittels verändert, entsteht und nachher nicht mehr abgewaschen werden kann; so verteilt der Kessel, welcher ohne Zweifel die Farben, wenn er sie schon aufgetragen erhielte, vermengen würde, diese aus einer einzigen und malt, während er kocht. Und solche gesottenen Kleider sind im Gebrauche dauerhafter, als wenn sie nicht gesotten wären.»

Dieser Text zeigt deutlich, daß die Ägypter zu Plinius' Zeiten nicht die Farbe auf den Stoff applizierten, sondern ein bestimmtes Mittel darauf anbrachten. Dieses Mittel saugte im folgenden
  Krapp-Farbbad die Farbe ein. Es handelt sich hier ohne Zweifel um ein Beizverfahren, das heißt, der Stoff wurde mit Beizen, die aus Eisen- oder Aluminium-Salzen bestanden, vorbehandelt. Die Salze als solche blieben auf dem Gewebe unsichtbar, wenn man sie nicht zur Erleichterung des Arbeitsvorganges etwas tönte. Und je nach ihrer Konzentration nahmen sie im Farbbad, das mit Hilfe der pulverisierten Krappwurzel angesetzt worden war, mehr oder weniger Farbe auf. Musterungen in Schwarz sowie Rot und Violett-Abstufungen waren das Endresultat. Genaueres wollen wir in einem speziellen Farbstoffkapitel erläutern.

Plinius gibt uns die älteste heute bekannte Beschreibung der Beizmethode. Vermutlich ist aber das Verfahren älter und wurde nicht bei den Ägyptern, sondern im Orient entdeckt. Einen Hinweis auf die Herkunft gibt uns das Gewebematerial, die Baumwolle. Nur diese Pflanzenfaser läßt sich nämlich auf die beschriebene Art und Weise mit Beizen behandeln, und von ihr wissen wir, daß sie im Orient seit frühester Zeit bekannt war.
Schon die frühe Sanskrit-Literatur gibt über die Verwendung der Baumwolle in Indien Auskunft (37), und von Herodot (38) erfahren wir, daß die Inder im 5. Jahrhundert v. Chr. Kleider aus Baumwolle trugen. Aus weiteren antiken Quellen ist ersichtlich, daß auch die Griechen die Baumwolle kannten (39).

So können wir mit diesen Angaben aus der antiken Literatur die Baumwollfaser schon sehr früh in Indien nachweisen. Ob aber die Musterungstechnik mit Beizen ebenso früh geübt wurde und ob Indien als deren Ursprungsort angesehen werden kann, läßt sich daraus nicht schließen.
Auch für die weitere Entwicklung der orientalischen, buntbemusterten Stoffe gibt es wenig Anhaltspunkte; sind doch bis heute aus dem Mittelalter weder Vorschriften gefunden worden noch können Stoffmuster mit Sicherheit in jene Jahrhunderte datiert werden.
       
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33 HERODOT, Hb. I, cap. 203.
34 Vgl. G.SCHAEFER, Mittelalterlicher Zeugdruck, a.a.O., S. 855.
35 Plinius, Nat. Hist., XXXV, cap. 42.
36 Deutscher Text nach der Übersetzung von Osiander und Schwab, Römische Prosaiker, 1856, S. 4018.
37 Vgl. H. WESCHER, Baumwollhandel und Baumwollgewerbe im Mittelalter, in: Ciba-Rundschau Nr. 45, Basel 1940, S. 1634.
38 HERODOT, Hb. III, cap. 106: «Sie (die Inder) besitzen eine Pflanze, die statt einer Frucht eine Wolle hervorbringt, die der Schafwolle ähnlich, aber noch feiner und besser als diese ist,
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und woraus sie sich ihre Kleidungen verfertigen.»
39
Die Baumwolle wurde in Griechenland durch die Züge Alexanders bekannt. Strabo (63 v. Chr. bis 20 n. Chr.) spricht von Baumwollpflanzungen am persischen Meerbusen (6. Buch, 2., 3. cap.), und Plinius (23-79 n.Chr.) beschreibt nußähnliche Kapseln und rühmt Schönheit und Zartheit der daraus verfertigten Zeuge (Nat. Hist., XVIIII, cap. L, ... superior pars Aegypti in Arabiam vergens gignit fruticem quem aliqui gossypion vocant, plures xylon et ideo lina inde facta xylina...)
       
 
 
10 Baumwolle war zwar als Material schon seit den Kreuzzügen ein wichtiger Handelsartikel zwischen der Levante und Europa, aber die bunten Baumwollstoffe scheinen im Mittelalter den Weg vom Osten nach dem Westen noch nicht gefunden zu haben. Erst nachdem Vasco da Gama 1498 den Seeweg nach Indien entdeckt hatte, gelangten indische Waren auf portugiesischen Schiffen nach Europa. Hier erregten vor allem die Textilien wegen ihrer Zeichnung und Brillanz großes Aufsehen.
Die Orientreisenden begannen sich nun auch für das Problem der Herstellung dieser farbigen Blumenmuster zu interessieren. In einem portugiesischen Manuskript von 1516 (40) finden wir die Bezeichnung «pintados». Dieses Wort kann von «pintar» (malen) abgeleitet sein oder kann sich auf«pinta» (Fleck) beziehen. Auch der Ausdruck «tchint» nach dem Sanskritwort «tchitra» heißt soviel wie befleckt. Davon haben sich später die englische Bezeichnung Chintz und das deutsche Wort Zitz abgeleitet.
Es stellt sich die Frage, auf welche Weise die Beizen auf den Stoff gebracht wurden. Läßt der Plinius-Text bereits auf eine Arbeit mit dem Pinsel schließen? Bezieht sich «pintados» auf Musterung mit dem Pinsel? Was Plinius betrifft, so wissen wir, daß er nicht immer selbst gesehen hat, was er beschrieb, und außerdem läßt sich nicht nachprüfen, in welchem Umfang der Text im Laufe der Zeit von den Kopisten verändert worden ist.

Erst im l7. Jahrhundert finden sich weitere Manuskripte mit technischen Angaben (40). Einige Autoren weisen auf Druckverfahren hin, während andere eine Maltechnik erwähnen. Leicht könnte man auf Grund der erhaltenen Schriften zum Schlusse kommen, der Pinsel sei für die kostbaren und reich verzierten Stoffe bestimmt gewesen, und mit gröberen Druckstoffen hätten sich ärmere Bevölkerungsschichten zufriedengeben müssen. Nun zeigt aber eine Handschrift aus der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts, die erst kürzlich gefunden worden ist (141), daß man die beiden Begriffe « drucken » und « pinseln » nicht immer deutlich unterschieden hat. Es steht hier zum Beispiel:
« Tout ce que je viens d'écrire à l'égard de la peinture des
  chittes, fait connaitre aux lecteurs que quoiqu'elle se fasse avec des moules, ou pour mieux parler soient empreintes avec des planches de bois, ne se jettent point pour cela au moule comme on fait les cloches, il y faut bien du temps...»

Man faßte als «teinture, peinture, impression» nicht als unterschiedliche Musterungsvorgänge auf, sondern bezeichnete scheinbar die gesamte Beizmethode als «peinture». Es muß sich für unseren Autor von selbst verstanden haben, daß die Beizen mittels Holzmodeln auf den Stoff gedruckt wurden.
Einerseits verunmöglicht diese neue Erkenntnis eine Unterscheidung zwischen kostbaren Stoffen, bei denen man pinselte, und geringeren Kattunen, die man bedruckte. Andererseits wird es aber klar, daß im Orient beide Techniken bekannt waren. Möglicherweise herrschte in Westindien der Druckprozeß vor, während man in Ostindien mehr mit dem Pinsel arbeitete (
vgl. S. 41).

Orientalische Stoffe aus Frühzeit und Mittelalter, die sicher datiert sind, gibt es bis heute nicht. Daher sind wir für unsere Vermutungen über Herkunft und Technik auf Beschreibungen in Manuskripten angewiesen. Wie wir gesehen haben, finden sich hier oft ungenaue oder schwer erklärbare Angaben. Genaue Daten über die Entwicklung der bunten Orientkattune lassen sich somit nicht aufstellen. Man kann lediglich Anhaltspunkte finden, die zu Vermutungen Anlaß geben.

Aus diesen Ausführungen geht aber doch eines hervor: Der mittelalterliche Druck ist nicht identisch mit dem Kattundruck auf orientalische Art. Zwar verwendete man in beiden Fällen Holzmodel. Doch wurden im einen Fall unechte Farben direkt auf den Stoff gedruckt und im anderen kam der Model lediglich mit mehr oder weniger farblosen Beizen in Berührung. Der Kattundruck sollte genauer als Beiz-Färbevorgang bezeichnet werden. Dabei ist die Frage, ob die Beizen mit dem Pinsel oder mit dem Holzmodel appliziert wurden, von untergeordneter Bedeutung.
 
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40
P. R. SCHWARTZ weist im Artikel: Les Toiles Peintes Indiennes, in: Bulletin de la Société Industrielle de Mulhouse, IV, 1962, S. 6 auf Duarte Barbosa, der in einem Manuskript von 1516
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die Eindrücke seiner Indienreise der Jahre 1508/9 wiedergibt. An anderer Stelle erwähnt Schwartz weitere Handschriften.
       
 
 
  2. DIE BEDEUTUNG DER OSTINDISCHEN HANDELSKOMPAGNIEN
       
11 Die indischen Waren wurden seit 1500 von den Portugiesen nach Europa gebracht, in Lissabon von den Niederländern gekauft und so auch im nördlichen Europa verbreitet. Die Auseinandersetzungen zwischen Spanien und den Niederlanden sowie die Eroberung Portugals durch Philipp II. von Spanien führten aber dazu, daß die Holländer selber nach Indien reisten und Handel mit indischen Waren trieben. Sie begannen nun in der Geschichte der Verbreitung unserer neuartigen Baumwolltücher eine ausschlaggebende Rolle zu spielen.
Allerdings blieben sie nicht die einzigen Indienfahrer. In verschiedenen Ländern wurden bald Handelsgesellschaften gegründet, welche die Schätze Indiens nach Europa zu vermitteln halfen (41). Um 1600 entstand unter Elisabeth I. von England (1588-1603) die englische «East-India Company». Die Holländer gründeten 1602 die «Vereenigde Oost-Indische Compangie». In Dänemark entstand eine entsprechende Gesellschaft um 1612, in Schweden um 1626, und schließlich wurde auch in Frankreich 1644 die «Compagnie des Indes Orientales» gegründet (auf Veranlassung von Colbert). Gründungen in Preußen waren nur von kurzer Lebensdauer.
Bei all diesen Kompagnien handelte es sich um private Unternehmen von Kaufleuten, die sich zusammengetan hatten, um die großen, für langwierige Überfahrten notwendigen Ausrüstungen aufzubringen. Sie waren also nicht staatlich, konnten jedoch einer staatlichen Förderung gewiß sein. Ihre Regierungen statteten sie mit Privilegien (Handelsmonopol, Steuervorrechte) aus; denn man sah in ihnen ein Mittel, Kolonialbesitz zu erwerben. Die Gesellschaften selbst betrachteten aber den Handel als Hauptzweck und betrieben das Kolonisieren nur insoweit als es nötig war, um das
  Herbeischaffen und Verfrachten der Rohmaterialien oder Fertigwaren reibungslos zu gestalten.

Das Ende des 18. Jahrhunderts bedeutete auch das Ende dieser Gesellschaften:
1790 hob der französische Konvent die Privilegien der französischen Kompagnie auf. 1795 wurde die Niederländisch-Ostindische und 1807 die Dänische Gesellschaft aufgelöst. Einzig die East India Company konnte sich bis zum Aufstand der eingeborenen Truppen im Jahre 1858 halten.

Diese Handelskompagnien brachten nicht nur die bemusterten Baumwollstoffe des Orients nach Europa, sie gaben auch europäische Wünsche nach Indien weiter und trugen dadurch zu einer Mischung von europäischem und indischem Stil bei. So wurde zum Beispiel das Wappentuch von Michel Begou und Elisabeth Beauharnais in Indien hergestellt (42).
Wir wissen, daß gerade in Frankreich die bunten Orientmuster im 17. Jahrhundert außerordentlich beliebt waren. Molière gibt für die Verbreitung dieser neuen Mode in seinem «Le bourgeois gentil homme» von 1670 ein schönes Dokument, läßt er doch Monsieur Jourdain sagen: «Ich habe mir diese Indiennemachen lassen . . . Mein Schneider hat mir erzählt, daß vornehme Leute am Morgen solche Röcke tragen.»

Vornehme Höflinge ließen also solche Indiennes schon im l7. Jahrhundert zu Schlafröcken verarbeiten. Später wurden auf Anregung Louis XV. sogar ganze Sommeranzüge aus Indienne angefertigt, und als 1684 siamesische Gesandte zu Besuch in Versailles weilten, erreichte diese Mode einen Höhepunkt.
       
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41 Vgl. WOLFGANG BORN, Textilornamentik, in: Ciba-Rundschau Nr. 36, Basel 1939, S. 1356.
42 P. R. SCHWARTZ erwähnt in seinem Artikel, Les Toiles Peintes Indiennes, a.a.O., diese Tatsache auf S. 5.
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Weitere Beispiele im Ausstellungskatalog: Collection de toiles peintes d'H.Wearne, Musée de l'Impression sur Étoffes de Mulhouse, Mai-Oktober 1966.
       
 
 
  3. ERSTE NACHAHMUNGSVERSUCHE UND EINSCHRÄNKUNGEN
       
12 Der Vorliebe für die bunten Stoffmusterungen aus dem Orient ist es zuzuschreiben, daß man bereits im 17. Jahrhundert in Europa versuchte, ebensolche Stoffe anzufertigen. Wie sich aber über Herkunft und Technik in Indien nur sehr wenig mit Bestimmtheit sagen läßt, so können wir auch die Leute nicht wiederfinden, auf welche die Einführung der Technik in Europa zurückgeht. Und über das Musterungsverfahren bei uns besteht ebenfalls keine letzte Klarheit.

Es ist weiterhin nicht sicher, ob die ersten Versuche den Indiennes wirklich ebenbürtig waren und den Vergleich mit ihnen - sie wurden durch das Waschen noch schöner und leuchtender - aushalten konnten. Wir wissen jedoch, daß sich namentlich die Weber durch das neue Produkt in den meisten Ländern benachteiligt fühlen; es kam in vielen Gebieten am Ende des 17. Jahrhunderts zu ausgedehnten Druckverboten.

Besonders streng wurde das Einfuhr- und Druckverbot in Frankreich gehandhabt, das kurz nach der Aufhebung des Ediktes von Nantes, nämlich am 26. Oktober 1686 erlassen wurde. Immerhin gab es bei diesem Verbot zwei Ausnahmen: In Paris durfte an privilegierten Orten gedruckt werden, und in Marseille war eine Produktion für Guinea erlaubt. Wahrscheinlich hielt man sich nicht allzu genau an diese Bestimmung; denn 1692 wird in einem weiteren Edikt die Einfuhr von in Marseille fabrizierten Indiennes nach Frankreich ausdrücklich verboten. Anscheinend nahm man aber auch dieses Verbot nicht sehr ernst.
Die «toiles peintes» erfreuten sich gerade in jenen Jahren besonders großer Beliebtheit, und es galt als ungewöhnlich mutig, bedruckte Kleider öffentlich zur Schau zu tragen. Erst am 5. September 1759 wurde die Indienne-Druckerei wieder freigegeben.

Die Chemiker-Koloristen der Epoche wollten sich um die Qualität des Farbstoffes bemühen (43). Für unsere Untersuchungen ist das Datum des Druckverbotes ein Anhaltspunkt, daß es schon vor 1686 in Frankreich bedeutende Manufakturen gegeben haben muß. H. Chobaut, der sich speziell mit den Marseiller Indiennes beschäftigt (44), findet bereits am 22. Juni 1648 eine Übereinkunft zwischen einem Spielkartenmaler und einem Formschneider, die sich zusammentun wollten « . .. à fere
  de vannes ou indiannes .., ce fait, les apliquer sur la toile...». Eine Zusammenarbeit von Spielkartenmalern und Formschneidern war jedenfalls bis 1665 üblich, und erst später arbeitete der Indienneur selbständig. Die Tatsache, daß in den Urkunden häufig Formschneider in Verbindung mit gemusterten Stoffen genannt werden, weist darauf hin, daß man in Marseille ein Druckverfahren anwandte. Das seit dem Mittelalter bekannte Prinzip der Formwiederholung mit einer direkt aufgedruckten und meistens nicht farbechten Masse kann in dieser Stadt weiter geübt worden sein. Vielleicht versuchte man bereits orientalische Formen nachzuahmen, oder man setzte sich mit dem fremden Vorgehen, nämlich dem indirekten Beizendruck, auseinander. Jedenfalls nannte man die bemusterten Stoffe «indianne», was doch auf irgendeine Beziehung zum Orient hinweist.

Als Colbert im Jahre 1669 den Freihafen Marseille gründete, gab er damit Anstoß zu einer weiteren Entwicklung in der Indiennedruckerei. Eine Folge von Colberts Beschluß war die Ansiedelung einer ganzen Armenierkolonie. Diese Leute aus dem Orient wußten um Vorteile und Besonderheiten des östlichen Färbeverfahrens. Bereits 1672 wird ein Armenier Bondac urkundlich erwähnt, der sich mit Marseiller Indienneuren zusammentat und versprach, diese alles zu lehren, was er über die Indienne-Malerei wisse (45).
Das Auftauchen von Armeniern, die das orientalische Stoffmusterungsverfahren im Westen weitergaben, bedeutete also einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der europäischen Indienne-Fabrikation. Nicht nur in Marseille, sondern auch in anderen Städten stoßen wir auf diese östlichen Handwerker.

In den Akten von Genua findet sich am 20. November 1690 (46) die Bitte des Armeniers Giobatta De Georgiis. Er möchte «. . . bambace indiana, mesari, fazzoletti . . .»bedrucken und verspricht, dazu die feinsten Farben des Orients zu verwenden. Ob in Genua wie in Marseille schon vor 1690 auf mittelalterliche Art und Weise gedruckt worden ist, geht aus den Dokumenten nicht hervor. Mit ziemlicher Sicherheit kann man aber annehmen, daß Georgiis ein ganz neues Handwerk in die italienische Hafenstadt gebracht hatte, denn er erhält für 10 Jahre ein Zeugdruckmonopol.
       
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Einer dieser Chemiker-Koloristen war Jean Hellot (1685-1766). In der Hauptsache befaßte er sich mit Wolle und Seide. Sein Hauptwerk behandelt die Färberei der Wolle. Außerdem ist bekannt, daß er sich mit der Akademie Schiraz (Persien) in Briefwechsel befand. Vgl. dazu: H. WESCHER, Große Lehrer der Färbekunst in Frankreich des 18. Jahrhunderts, in: Ciba-Rundschau Nr. 22, Basel 1938, S. 791, sowie: P. R. SCHWARTZ, la Fabrique d'Indiennes du
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Duc de Bourbon in: Bulletin de la Société Industrielle de Mulhouse, I, 1966, Kap: Le manuscrit de Caen.
44 Vgl. die Ausführungen von H. CHOBAUT, L'industrie des Indiennes à Marseille avant 1680, in: Mémoires de L'Institut Historique de Provenence; Tome XVI, Marseille 1939, S.81.
45 Vgl. H. CHOBAUT, L'industrie des Indiennes à Marseille, a.a.O., S. 88.
46 Archivio di stato di Genova, Artium, B. n. 178, cartella n. 19.
       
 
       
13 Im 18. Jahrhundert fehlen Nachrichten über die Herstellung der bunten Stoffe; deren Fabrikation war also in Italien nur von kurzer Dauer. Offensichtlich genügte ein Armenier allein nicht zur Einführung und Weiterentwicklung der neuen Technik. Er mußte sich noch mit Leuten verbinden, die sich bereits einige Jahre mit den Problemen des Druckens befaßt hatten, die sich für das orientalische Verfahren interessierten und die in ihrer Handlungsfreiheit durch den Staat nicht allzusehr eingeschränkt waren.

Diese Bedingungen sind auch für die Niederlande gewährleistet: Man hat schon aus dem beginnenden 17. Jahrhundert Nachrichten von holländischen Druckern. In einem Amsterdamer Protokoll (47) vom 1. Dezember 1611 heißt es, daß ein gewisser Harman Becx, Aert Duyfkens und Edmont Webb mit dem Bedrucken verschiedener Stoffe ihr Auskommen fanden. Diese Handwerker müssen ihre Stoffe mit Ölfarben bedruckt haben; denn auch in einer Urkunde vom 19. November 1627 (48) finden wir noch keine Erwähnung von Arbeiten in indischer Manier.
Doch müssen die orientalischen Stoffe bekannt gewesen sein, war doch Amsterdam im 17. Jahrhundert großer Verkehrs- und Marktplatz und erlangte vor allem als Stapelplatz für den indischen Handel Bedeutung. Zwei- bis dreimal im Jahr wurden Textilprodukte aus dem Orient zum Verkauf gebracht, und bald war Amsterdam der größte Markt von solchen Stoffen in Europa.

An der Einführung des speziellen Musterungsverfahrens waren Armenier und Türken maßgebend beteiligt. Wir lesen in einer Urkunde vom 28. Juni 1678 (49), daß sich die beiden Holländer Jacob ter Gou und Hendrik Popta mit einem Türken, Louwijs d'Celebi verbanden. Er soll ihnen beim Zubereiten der Farben geholfen haben.
Die ersten holländischen Betriebe entstanden etwas außerhalb von Amsterdam, nämlich in Amersfoort. Offenbar war hier besseres Wasser vorhanden zum Spülen und Bleichen konnte man auf dieses Element nicht verzichten -, und außerdem begünstigten gewisse Gründungsbestimmungen die Betriebserrichtungen außerhalb der Stadt. Noch im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts entstanden mehrere Manufakturen, und 1697 schreibt Savary in seinem Dictionnaire Universel (50) über die industriellen Erzeugnisse Amsterdams: «... des rubans d'or et d'argent, de soye, de fil et de coton, et des impriméries de toile de coton, dont les imprimeurs se vantent d'avoir trouvé le secret de faire des couleurs, aussi belles et aussi sûres que celles dont on se sert aux Indes et en Perse.»
  In Holland gab es keine Verbote. Die Kattundruckerei wurde hier als freies Gewerbe betrachtet und war somit an keine Zunftregel gebunden. Deshalb konnte sich die neue Industrie stark ausbreiten.

Auch in England waren im frühen 17. Jahrhundert die indischen Verfahren noch unbekannt, und es wurden lediglich Drucke auf grobe Leinwand hergestellt. Für das Datum der Einführung der neuen Technik ist man hier auf Vermutungen angewiesen, denn es konnten nur wenig aufschlußreiche Dokumente gefunden werden.
Wichtig ist eine Bittschrift, die 1696 dem «House of Lords» eingereicht worden ist (51). In diesem Jahre versuchten nämlich die Seiden- und Wollfabrikanten ein Verbot gegen die indischen Baumwollstoffe zu erwirken. Die Bittschrift ist von den betroffenen Indienne-Fabrikanten verfaßt und 50 von ihnen sind im Anhang mit Namen erwähnt. Diese relativ hohe Zahl läßt auf eine ansehnliche Industrie schließen. Nun stehen leider bei den Namen keine Ortschaften und von den 50 Bittstellern konnte man einzig sechs im Gebiete Ostlondons oder anhand von Gemeinderegistern am Flusse Lea lokalisieren.

Der englische Wissenschafter P. G. Floud suchte in einem Artikel (52) nachzuweisen, daß es in England zwei Arten von Druckern gab. Der größere Teil der Bittsteller soll aus Leuten bestanden haben, die mit einer primitiven Drucktechnik arbeiteten, und nur wenige eigentliche Indienneure führten beträchtliche Manufakturen.
Wahrscheinlich war der in der Bittschrift erwähnte William Sherwin ein bedeutender Mann, steht er doch dort an erster Stelle. Von ihm existiert auch ein Patent. 1676 wurde es «for a new way for printing broad callico» auf seinen Namen ausgestellt. Da das Patent 14 Jahre gültig war, besaß Sherwin damit vermutlich bis 1690 ein Druckmonopol. Man weiß auch, daß sich seine Zeugdruckerei östlich von London befand, nämlich in West Hamn am Lea. In diesem Gebiete Ostlondons müssen demnach die ersten eigentlichen Druckmanufakturen entstanden sein. Der Text des Patentes zeigt zudem, daß Sherwin in seinem Lande neue Methoden einführte. Hier heißt es nämlich: «... the only true way of East India painting and stayning... never till now performed in our kingdom».
Man könnte vermuten, daß Sherwin wie die Franzosen um 1672 (oder früher) und wie die Holländer 1678 durch irgendwelche Armenier oder Türken von dem neuen Verfahren Kenntnis erhalten hat.
       
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47
G.A.AMSTERDAM, Not.Archief, Protocollen notaris Jacobus, Portefeuille 374. Vgl. Willem Johannes Smit, De Katoendrukkerij in Nederland tot 1813, Juli 1928, Beilage 10.
48 G.A.AMSTERDAM, Not.Archief, Protocollen notaris Carels, Portefeuille 721. Vgl. WILLEM JOHANNES SMIT, a.a.O., Beilage 12.
49 G. A. AMERSFOORT, Vroedschaftsresoluties, 28 Juni 1678. Vgl. Willem J. Smit, a.a.O., Beilage 13.
50 Vgl. SA VARY, Dictionnaire universel de commerce, 1697, I, S. 410.
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51
House of Lords MSS. (4. April 1696).
52 Die Verhältnisse Englands wurden von P. C. Floud in drei Artikeln, welche in «The Society of Dyers and Colourists» erschienen sind, eingehend untersucht. Im ersten Artikel «The Origins of English Calico Printing» behandelt der Autor die frühen Druckvorkommen Englands. Der Artikel erschien im Mai 1960. Die Bittschrift wird auf S. 276 erwähnt.
       
 
       
14 So sind denn für England die Anfänge nicht ganz klar. Sicher ist nur, daß sich die Industrie gegen Ende des 17. Jahrhunderts rasch ausbreitete. Dadurch fühlten sich die alteingesessenen Seiden- und Wollweber benachteiligt und um 1700 wurde zu deren Schutz die ersten Maßnahmen getroffen. Zunächst handelte es sich lediglich um ein Einfuhrverbot indischer Stoffe.
Weitere Gesetze aus den Jahren 1712 und 1714 belegten jedoch die im Lande selbst hergestellten Erzeugnisse mit hohen Steuern, und 1720 wurde schließlich jeder Druck auf rein baumwollenen Geweben verboten. Allerdings fanden die Drucker einen Weg, diese Vorschrift zu umgehen, indem sie Mischgewebe aus leinener Kette und baumwollenem Schuß verwendeten. Als man 1736 versuchen wollte, auch dieses Vorgehen zu untersagen, gelang es den einflußreich gewordenen Zeugdruckern, die Manchester Akte durchzubringen, worin der Druck auf Mischgeweben ausdrücklich erlaubt wurde. Das Verbot, reine Baumwolle zu bedrucken, hob die Regierung erst 1774 auf, während die prohibitiven Steuern sogar bis 1831 bestehen blieben.

Über Deutschland wissen wir aus älterer Literatur (53), daß Augsburg eine bedeutende Stellung im Bemustern von Stoffen inne hatte. In dieser Stadt bestand eine alte Tradition im Verzieren von Geweben, läßt sich doch in den Steuerbüchern bereits für die Jahre 1475-1480 ein Jakob Tuchdrucker nachweisen.

Auch Jeremias Neuhofer und sein Vater, ein Tuchscherer (54), kannten den Buntdruck mit Ölfarben. Vor allem Jeremias muß mit holländischen Produkten in Berührung gekommen sein; denn er unternahm verschiedene Versuche, die Qualität dieser Erzeugnisse zu erreichen. So sandte er seinen Bruder Georg nach Holland, der aber falsche Information nach Hause brachte. Inzwischen hatte Jeremias versucht, mit Wasserfarben nach Schweizer Art zu drucken (55); doch soll auch dieses Verfahren nicht befriedigt haben, weshalb Georg eine zweite Reise nach
  Holland antrat. Während zwanzig Wochen arbeitete er dort und muß sich anschließend auch in England aufgehalten haben; denn von hier brachte er dann endlich das streng gehütete Druckgeheimnis nach Augsburg.

Das Vorhandensein einer Zeugdruckindustrie in Bremen ist neuerdings (56) durch zahlreiche Urkunden belegt worden. Der Färber Henrich Wilckens, der am 10..Februar 1643 als Mitglied der Kramerzunft erwähnt wird, soll bereits blau gemusterte Schürzen in einer Reservetechnik hergestellt haben. Der eigentliche Gründer einer Indienne-Manufaktur war aber sein Sohn Martin (geb. 1658), von dem mehrere Schriften an den Senat erhalten sind. Dieser Martin Wilckens bittet am 27. Februar 1690, ihm die « Octroye» auf 10 Jahre zu erteilen, «allerhand art Cattun zu trucken» und weist daraufhin, daß die beiden Emigranten Sabatery und Mesonet, die 1687 die Erlaubnis zum Kattundruck für die Dauer von 4 Jahren erhalten hatten, nicht in der Lage seien, den Bedarf Bremens zu decken (57). Natürlich erhob Sabatery Einspruch und betonte, daß man ihm die Bewilligung erteilt habe aus «christlicher Erbarmnis wegen unseres elenden Zustandes, in welchen wir um der Religion Vertriebenen gesetzt sind».

Am 1. April 1690 erklärt Martin in einer neuen Bitte, er werde bessere Ware und mehr Sorten liefern als die Franzosen, da er den Stoff durch einen Mann bedrucken lasse, der die Kunst in Ostindien erlernt und viele Jahre in den Niederlanden ausgeübt habe. Daraufhin wurde Wilckens Petition genehmigt. Am 2. Juni 1690 ist ein Vertrag mit dem Niederländer entstanden, der deutlich darauf hinweist, daß Martin Wilckens selber keine Kenntnis der Kattundruckerei besessen hat. Unter anderem steht hier nämlich: «... verpflichtet sich Kraft dieses Meister Borchard de Crone, Mons. Martin Wilckens die Kunst des Cotton färbens, druckens und abkochens aus dem Grunde und Vollkommenen zu lehren . . .».
       
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53
Vgl. GEORG ROGGENHOFER, Die Entwicklung der Kattundruckerei in Augsburg von ihrem Beginne bis zu Anfang dieses Jahrhunders, in: Deutsche Färberzeitung No. 14, 15 und 16; 1895; Die frühen Verhältnisse Deutschlands werden ebenfalls erwähnt bei V.KURRER, bei R.FORRER und bei JENNY-TRÜMPY.
54 Die unter Anmerkung 53 erwähnten Autoren berichten über Aufzeichnungen des Jeremias Neuhofer aus dem frühen 18. Jahrhundert. Da das Original nicht gefunden werden konnte, halten sich die Ausführungen im Text an das, was ROGGENHOFER, v. KURRER, FORRER und JENNY-TRÜMPY in ihren Werken aussagen.
55 In verschiedener älterer Literatur (vgl. Anm. 53 und 54) wird ein solches Schweizerisches Verfahren erwähnt. Nähere Beschreibungen fehlen jedoch. Wenn die Notiz bei ROGGENHOFER richtig ist (a.a.O., S. 184), man habe 1687 in England angefangen, «sogenannte Cottone mit Wasserfarben
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zu drucken», handelt es sich nicht um eine Schweizerische Erfindung. P. R. SCHWARTZ (briefliche Mitteilung) meint, unter diesen Wasserfarben habe man ganz einfach Beizen zu verstehen (darüber vgl.
S. 34 ff.).
56 F. WILCKENS, Der Kattundruck in Bremen, im 17. und 18. Jahrhundert, in: Melliand Textilberichte No. 12, 1964, Heidelberg, S. 1385-1388. 57 WILCKENS, a.a.O., führt aus, daß der Kattundruck in Bremen bereits seit 1687 bekannt war. Wie in anderen Städten gehen auch hier die ersten Druckversuche auf Hugenotten zurück, welche nach der Aufhebung des Ediktes von Nantes 1686 Frankreich verlassen hatten. Von Sabatery weiß man genau, daß er im Oktober 1686 mit Frau und 2 Kindern aus Montblanc bei Béziers/Languedoc, in Bremen einwanderte. Vermutlich handelt es sich um denselben Sabatery, der 1902 in der «Histoire documentaire de l'Industrie de Mulhouse» erwähnt wird, als in Bremen tätig und aus der « Midi de la France» stammend.
       
 
15 Diese beiden frühen Manufakturen in Augsburg und Bremen zeigen, daß auch in Deutschland das Vorhandensein einer primitiven Druckweise Grundlage für die Einführung der orientalischen Technik bildete. Die Augsburger Handwerker reisten dem Geheimnis nach und bemühten sich auf diese Weise um das besondere Färbeverfahren. Sie erfuhren es nicht von orientalischen Färbern selbst, sondern sozusagen aus zweiter Hand, nämlich aus Holland und England.
Der Bremer Martin Wilckens dagegen reiste nicht in fremde Länder, er ließ vielmehr aus Holland einen erfahrenen Zeugdrucker kommen. Auch in dieser Stadt läßt sich also der Druck auf indische Manier nicht direkt von Armeniern herleiten, wie das für die Hafenstädte Genua, Marseille, Amsterdam und vermutlich auch für England der Fall gewesen war. Damit wird es durchaus verständlich, daß in Deutschland die Methode einige Jahre später anzutreffen ist als in den übrigen Ländern.

Eigentliche Druckverbote wie in Frankreich und in England gab es in Deutschland nicht. Wegen den strengen Zunftbestimmungen kam es aber auch hier zu Schwierigkeiten, durften doch zum Beispiel die Tuchscherer Neuhofer nach dem Zunftgesetz nicht färben und mußten daher mit dem Färber Daniel Deschier und dem Formschneider Hans Jakob Enderle aus Isny gemeinsame Sache machen (54). Auf diese Weise gelang es Jeremias und Georg Neuhofer nicht, allein um das Geheimnis zu wissen. Enderle trennte sich nämlich schon bald von ihnen und eröffnete eine eigene Druckerei. In kurzer Zeit war die Konkurrenz so groß, daß der Rat Einschränkungen erlassen mußte. Es handelte sich nicht um schwerwiegende Verbote, sondern eher um technische Vorschriften, welche die Anwendung von Beizen und Farben betrafen, die aber bis heute nicht genau rekonstruiert werden können.

In anderen Ländern, wie in Österreich, Dänemark, Schweden und Rußland sind die Zeugdruck-Manufakturen neueren Datums; Gründungen erfolgten hier erst im Laufe des 18. Jahrhunderts.
  Zusammenfassend können wir die Frage nach den ersten Anfängen der neuen Druckmethode in Europa folgendermaßen beantworten:

Die entscheidende Neuerung bestand in Kenntnissen, die von Orientalen nach Europa gebracht wurden. Mit Sicherheit sind solche Handwerker 1672 in Marseille, 1690 in Genua und 1678 in den Niederlanden erwähnt. In England muß Sherwin seine Kenntnisse vor 1676 erworben haben, und Neuhofer sowie Wilckens in Deutschland lernten die Technik um 1690.
Die ersten Nachrichten haben wir somit aus Marseille; solange nicht ältere Dokumente zum Vorschein kommen, können wir annehmen, daß sich die neue Technik von hier aus über ganz Frankreich und auch nach anderen europäischen Ländern verbreitet habe. Zur weiteren Entwicklung des Zeugdrucks in Europa gab vor allem die günstige Stellung Hollands im Welthandel des 17. Jahrhunderts Anstoß.
       
 
 
  4. BEDEUTENDE DRUCKEREI-BETRIEBE AUSSERHALB DER SCHWEIZ
       
  Zeittafel:    
16 HOLLAND
1678 Jacob ter Gou und Louwijs d'Celebi
1679 Harman Brant in Amsterdam
1715 Willen Langerwee in Kralingen und andere
1750-1800 Niedergang
ENGLAND
1676 William Sherwin erhält Druckerpatent. Andere frühe Drucker, die nicht durchwegs Indienneure waren
1756 Francis Nixon bringt sein Verfahren nach London
1760 Robert Jones in Old Ford
1764 Gebrüder Clayton in Preston, Lancashire
1768 John Munns in Crayford
1783 Thomas Bell, Walzendruck, Thomas Hoyle und andere
DEUTSCHLAND
1689 Jeremias Neuhofer in Augsburg
1690 Martin Wilckens mit Borchard de Crone in Bremen, als Konkurrenten der beiden Emigranten Sabatery und Mesonet
1737 L. König in Hamburg
1753 Hermann u. Gabriel Rachusen in Hamburg
1762 Untergang der Hamburger Industrie
1759 J. H. Schüle in Augsburg
1770/71 Errichtung einer neuen Fabrik
1800er Jahre: Untergang
  FRANKREICH
1672 Armenier Bondac verbindet sich mit Franzosen in Marseille
1733 in Marseille gibt es 24 Druck-Ateliers
1744 Joh. Rud. Wetter in Marseille
1762 Wetter produziert in Orange
1759 Oberkampf in Jouy
1783 seine Manufaktur wird zur Manufacture Royale
1788 Tod Wetters
1815 Plünderung von Jouy
MÜLHAUSEN
1746 Köchlin, Schmaltzer & Cie
1752 Hartmann & Co
1754 Anthès Feer & Cie
1756 Hofer, Risler & Cie
1759 nach Aufhebung des franz. Druckverbotes weitere Betriebsgründungen in Mülhausen, im Elsaß und im übrigen Frankreich.
       
 
   
17 Unsere Betrachtungen über die Anfänge der Anwendung der neuen Technik in Europa gaben die Ausgangsposition für die in der Zusammenstellung erwähnten Manufakturen. Wir sehen nochmals, daß sich die ersten Unternehmen bereits im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts feststellen lassen. Das frühe 18. Jahrhundert hat zur Entwicklung der Zeugdruck-Technik im allgemeinen wenig beigetragen. Man muß diesen Stillstand auf die Wirkung der Druckverbote zurückführen. Die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, in dem sich die Betriebsgründungen zu häufen beginnen, ist die eigentliche Blütezeit für den Stoffdruck.

Über die Bedeutung der einzelnen Betriebe stimmen die Ansichten der maßgebenden Autoren nicht immer überein. Aus diesem Grund und auch, um eine möglichst übersichtliche Vorstellung von den Verhältnissen in den einzelnen Ländern zu vermitteln, gibt unsere Tabelle nur wenige Namen und Daten. Der folgende Text soll ebenfalls vielmehr einen Überblick über die Entwicklung in verschiedenen Ländern geben als die Bedeutung aller Manufakturen genau zu untersuchen. Weil nicht jeder Betrieb genannt wird, besteht natürlich die Gefahr einer allzu subjektiven Auswahl. Die kleineren Fabriken haben sich aber bestimmt den großen Konkurrenten weitgehend angeglichen, und die Beschränkung auf einige wenige Tatsachen läßt nationale Eigenheiten klarer in Erscheinung treten.

In den Niederlanden des 18. Jahrhunderts änderte sich die günstige Handelssituation. Auf dem Gebiete des Zeugdrucks hatten die ehemaligen Abnehmerländer ihre eigenen Fähigkeiten entdeckt und trachteten nun danach, dem Handelsmonopol der Holländer ein Ende zu bereiten.
Vor allem französische Maßnahmen, von Colbert eingeführt, schadeten Holland beträchtlich. Frankreich ging als Absatzgebiet verloren und wurde außerdem gefährlicher Konkurrent. Die einzigen Vorteile gegenüber dem Ausland bestanden nur noch darin, daß in Holland die Grundstoffe aus erster Hand bezogen werden konnten. Vor allem die Farbstoffe besaßen ausgezeichnete Qualität. Dieser Vorzug genügte jedoch nicht, die Industrie vor dem Untergang zu bewahren. In Amersfoort waren um 1760 alle Druckereien verschwunden (58).
  In Amsterdam sollen sie (59) dagegen 1745 noch in voller Blüte gestanden haben. Erst gegen 1771 machte sich auch hier die Krise bemerkbar. Man verlegte die Betriebe ins Ausland, nach Augsburg und nach der Schweiz, oder ging zum Papierdruck über und rettete sich auf diese Weise die Existenz. Gegen 1800 war von der einst so blühenden Industrie kaum mehr etwas vorhanden.

England wurde im 18. Jahrhundert wegen einigen technischen Neuerungen bedeutend, die man in diesem Lande entwickelte. So befaßten sich die englischen Zeugdrucker zum Beispiel sehr intensiv mit der blauen Farbe: Das einfache Reserveverfahren, bei dem eine weiße Musterung auf blauem Grund entsteht, genügte nicht. Man versuchte auch das Umgekehrte, nämlich eine blaue Zeichnung auf weißem Grund zu erhalten.

Die Porzellan- oder Fayencedrucke stellen eine erste Lösung des Problems dar (60). Aber noch gestaltete sich die Herstellung solcher Drucke äußerst schwierig, denn die Wachsreserven ließen sich nicht umgehen (
vgl. S.38). Bei den Drucken mit «bleu fayencé» dagegen konnte der Indigo in Pulverform auf den Stoff gedruckt werden. Verschiedene Bäder, zum Beispiel die Eisenvitriolküpe, dienten zur Fixierung der blauen Farbe. Bis jetzt weiß man nicht sicher, wo und wann die Methode zum erstenmal angewandt wurde. Vielleicht ist England das Ursprungsland, erfand man doch vermutlich dort die Eisenvitriolküpe. Aus technischen Gründen war bei den Stoffen mit «bleu fayencé» eine Kombination mit anderen Farbtönen nicht möglich, sie blieben daher blau-weiß (61).

Das Pinselblau, «bleu anglais» oder Englischblau, konnte gepinselt oder gedruckt werden. Die Bezeichnung weist auf England, doch auch diese Vermutung läßt sich durch keinerlei Dokumente erhärten.
Der Druck mit Kupferplatten ist eine wichtige Neuerung, die zuerst in England durchgeführt wurde. Das entscheidende Datum 1752 sowie der Urheber jener Technik, Francis Nixon, lassen sich aus Briefen der 1750er Jahre feststellen.
       
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58
VAN BEMMEL, AMERSFOORT, II, S. 794, erwähnt bei Willem Johannes Smit, a.a.O., S 191.
59 WAGENAAR, Amsterdam II, S.489,erwähnt bei Willem Johannes Smit, a.a.O., S.191.
60 Viele dieser sog. Porzellandrucke wurden von P.C.FLOUD in Amerika wiederentdeckt. Der Autor erwähnt diese Tatsache in seinem Artikel: The English Contribution
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to the Early History of Indigo Printing, in: The Society of Dyers and Colourists, Nr. 76, S. 346.
61
P. C. FLOUD beschreibt in seinem Artikel a.a.O., S. 348 eine Gruppe solcher Stoffe, die er in Amerika fand. Beispiele in einem Musterbrief von 1749 beweisen, daß die Technik in England schon vor der Jahrhundertmitte bekannt war.
       
 
       
18 Außerdem erfahren wir, daß ein Theophil Thompson ebenfalls eine Rolle spielte, und daß die ersten Versuche dieser beiden Männer in Drumcondra bei Dublin stattfanden (62). Zwischen 1755 und 1757 müssen die Unternehmer nach England umgezogen sein, wo Nixon sich mit George Amyand zusammentat. Amyand, ein Engländer, besaß seit 1752 in Merton Abbey (Surrey) eine Druckerei. Auch der Fabrikant John Collins stand mit Nixon in Verbindung. Er druckte von 1757-1759 in der Dubliner Vorstadt mit Kupferplatten und verlegte seinen Betrieb ebenfalls nach England. 1765 und 1766 ist er in Woolmers, in Hertfordshire, anzutreffen.
Weitere Druckereien entstanden in und um London und ließen die Stadt für ungefähr 25 Jahre wichtigstes Zentrum werden. Einige der bekanntesten Unternehmen waren (63):
Robert Jones in Old Ford (um 1760-1780); Bromley Hall (1694-1823); Thomas Nash in Morris's Causeway; Lambeth (1767-1782); John Munns in Crayford, Kent (um 1768-1784); Joseph und Mary Ware in Crayford (um 1760-1780) und William Kilburn in Wallington (um 1780-1818).
Die Jahrzahlen zeigen eine kurze Lebensdauer der Betriebe, was wahrscheinlich auf die wachsende Konkurrenz in Lancashire zurückzuführen ist. Hier finden wir bereits 1751 einen Zeugdrucker in der Nähe von Bolton, und 1764 eröffnen die Gebrüder Clayton einen Betrieb in Bamber-Bridge bei Preston. Eine weitere bedeutende Gründung ist die des Robert Peel in Brookside bei Oswaldtwistle.
Während in London mit Kupferplatten gearbeitet wurde, brachten die Lancashire-Drucker den Holzstempel-Druck nochmals auf große Höhe. Auf diesem Gebiet stieß man gegen das Jahrhundertende auf eine weitere Arbeitserleichterung, nämlich auf den Druck mittels Walzen. 1783 erfand der Schotte Thomas Bell diese Vereinfachung, und zwei Jahre später druckte man bei Livesey, Hargreaves, Hall & Co. zu Mosney bei Preston zum erstenmal mit solchen Rouleaux. Weitere Verbesserungen und Erfindungen bildeten die Grundlage für einen einzigartigen Aufstieg der Lancashire-Betriebe in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Gegenüber solcher Konkurrenz mußten die Londoner Manufakturen schon um 1800 fast alle geschlossen werden, und die wenigen übriggebliebenen beschränkten sich auf die Herstellung von seidenen Taschentüchern. Um 1840 waren jedoch auch diese Betriebe erloschen.
  In Schottland entstanden im 18. Jahrhundert ebenfalls einige Druckereien: in Aberdeen um 1720, in Edinburgh um 1729, in Glasgow um 1738 und in Carlisle um 1761. Die Indienne-Industrie in Glasgow nahm besonders in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen bedeutenden Aufschwung (63).

Ein erstes Zeugdruckzentrum Deutschlands bildete sich in Hamburg. L. König hatte in dieser Stadt ein Unternehmen gegründet, das 1748 in den Besitz Burmeisters überging. Um 1753 entstand die Manufaktur der Brüder Hermann und Gabriel Rachusen. In diesem Unternehmen ließ Schüle seine Kattune bedrucken und hier erwarb er die nötigen Kenntnisse, um in Augsburg einen entsprechenden Betrieb einzurichten.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde Augsburg zum bedeutenden Zentrum. Johann Heinrich Schüle (1720-1805) führte die Tradition Neuhofers weiter, indem er wie jener gegen den schlechten Geschmack der Zeitgenossen anzukämpfen suchte. Seine Kattunfabrik eröffnete er im Juli 1759, und das Unternehmen bestand bis in die 30er Jahre des 19. Jahrhunderts.
Kleinere Druckereien entstanden im Laufe des 18. Jahrhunderts beinahe überall in Deutschland (64):
In Zschopau (Sachsen) gründete G. Oehme 1740 eine Manufaktur, die bis 1824 existierte. In Berlin druckte man 1742 zum erstenmal auf Baumwollstoffe. Als Friedrich der Große 1740 den Thron bestiegen hatte, ließ er den Genfer Duplantier, der in Frankfurt a.M. eine kleinere Druckerei besaß, nach Berlin berufen. Unter seiner Anleitung bildeten sich hier mehrere Unternehmen. In Schlesien hatte Friedrich II. den Israeliten Heymann bewogen, in Breslau bald nach dem Siebenjährigen Krieg Fabrikanlagen zu gründen. Heymann errichtete in der Ohlauer Vorstadt mit Hilfe einiger Arbeiter aus der Schweiz eine erste Kattunfabrik. In Böhmen und Mähren war Graf Kinsky (1763) der erste Kattunfabrikant. Bedeutendster österreichischer Unternehmer wurde jedoch der bürgerliche Kattundrucker Joseph Leitenberger (1730-1802).

In Frankreich erwarb sich ein Zeugdrucker, der seine Kenntnisse in der Schweiz erworben hatte, besondere Verdienste. Die Manufaktur dieses Christoph Philippe Oberkampf (1738-1815) wurde für die französische Wirtschaft äußerst bedeutend. Der französische Zeugdruck erreichte durch diesen Mann Weltruf.
       
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62 P.C.FLOUD erwähnt in seinem dritten Artikel, The English Contribution to the Development of Copper-plate Printing, in: The Society of Dyers and Colourists Nr. 76, S. 425 Faulkner's Journal vom 3. Oktober 1752, in welchem «Drumcondras printed Linens, done from Metal Plates with all the Advantages oflight and shade, in the strongest and most lasting colours» vorkommen. In einem späteren Brief in den Guard books der London Society of Arts vom 13.
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Juni 1756 steht, der Kupferplattendruck sei erfunden worden von einem gewissen Nixon, einem Besitzer der Drumcondra-Druckereien.
63
Vgl. P.C.FLOUD, English Chintz, in: Ciba-Rundschau 1961/1, Basel 1961, S.2.

64 Vgl. W. H. v. KURRER, Geschichte der Zeugdruckerei, Nürnberg 1840, S. 10.
       
 
       
19 Neben Oberkampf, der aus Deutschland stammte und seine Lehre in der Schweiz (vgl. S. 20/21) absolviert hatte, gab es verschiedentlich Schweizer, die mithalfen, die Kunst des Zeugdruckes in Frankreich zu hoher Blüte zu bringen. Vielfach waren es Söhne und Enkel von Indienne-Arbeitern, die nach der Aufhebung des Ediktes von Nantes um 1685 in die Schweiz geflohen waren und nun ihren Weg zurück nach Frankreich fanden. Solch ehemalige Flüchtlinge wie auch andere Schweizer waren in französischen Unternehmen als sorgfältige Arbeiter beliebt. Ja, man war in Frankreich bestrebt, die Höhe der schweizerischen Druckerkunst zu erreichen.

So schreibt J. M. Roland de la Platière (1734-1793), der sich viel mit technischen Fragen des Zeugdrucks befaßte, in seiner Encyclopédie Méthodique von 1790 (65): «Unsere Industrie kommt noch nicht der der Schweizer gleich, wir suchen schon teilweise mit ihnen zu konkurrieren...».
Und in der Revolutionszeit schrieb man in Troyes (65): «Bald werden unsere Manufakturen mit einiger Sorgfalt und Ausbildung, die bisher noch fehlte, und die, dank unseres Chemiekurses und unserer Zeichenschule erworben werden kann, den schönsten Manufakturen von Helvetien und unseren mit Recht so berühmten Manufakturen von Jouy und Bercy gleichkommen.»

Ebenfalls Schweizer war Joh. Rudolf Wetter, der 1744 im Freihafen von Marseille vergeblich ein Zeugdruckmonopol für ganz Frankreich zu erlangen gesucht hatte. Er siedelte später nach Orange über und wurde bald so bekannt, daß seine toiles d'Orange mit dem allgemeinen Namen «toiles peintes » gleichgesetzt wurden. Berühmt waren auch die Gebrüder Petitpierre aus Couvet bei Neuenburg, die um 1770 in Nantes eine Manufaktur begründeten. Das Unternehmen bestand bis 1866. Weitere Schweizer konnte man in kleineren Betrieben als Mitarbeiter antreffen, auch als Spezialisten waren sie beliebt. In Nancy arbeitete zum Beispiel der Schweizer Kolorist Rudolf Sigrist, und in Troyes wirkte ebenfalls eine Reihe von Schweizern: Mitglieder der Familien Ackermann (Acremant) aus Solothurn und Barbier aus Boudry. Ferner Hans Burg aus Basel, Jean-Jacques Favre aus Neuenburg, Jakob Imhoff aus St. Gallen und viele andere mehr.

Mülhausen war seit 1468 zugewandter Ort der Eidgenossen-schaft. Innerhalb des französischen Hoheitsgebietes des Elsasses bildete die Stadt eine Enklave. Nun stimmten in Frankreich die politischen Grenzen nicht mit den Zollgrenzen überein. Das Elsaß blieb zum Beispiel außerhalb der Zollgrenzen und somit war hier trotz dem französischen Druck- und
  Handelsverbot mit Indiennes (bis 1759) ein Handel mit bedruckten Stoffen gestattet. Dieser Umstand erlaubte es den Mülhausern, dem Beispiel ihrer Nachbarn in Basel zu folgen. Jahrelang hatten sie mitangesehen, wie Basler Ware auf dem Wege nach Lothringen durch ihre Stadt zog. Von jener Stadt aus wurden die Stoffe dann zum großen Teil nach Frankreich geschmuggelt.
Wie man in Mülhausen auf die Idee kam, eine Manufaktur zu errichten, ist nicht genau bekannt. Jedenfalls konnten die Unternehmer in Basel Kapital finden; denn die dortigen Geldgeber waren froh, ihr Geld zu höherem Zinsfuß günstiger als in der eigenen Stadt anlegen zu können. Es heißt, einer der Gründer, J.J. Schmaltzer, habe eine Lehre in Basel absolviert; auch habe er in Bar-le-Duc, einem Stapelplatz für Schmuggelware schweizerischer Herkunft, Stoffe aus Neuenburg kennen gelernt. Wie dem auch sei, die erste Manufaktur entstand 1746 und hieß Köchlin, Schmaltzer & Cie. (66).

Über die Lehrzeit und Jugend dieser beiden Männer ist nichts bekannt. Wir kennen einzig ihre Lebensdaten: Köchlin 1719-1776, Schmaltzer 1721-1797. Wenig mehr läßt sich über Dollfus (1724-1802), den dritten Gesellschafter, in Erfahrung bringen. 1744 malte er in Bern ein Ölbild, und nach Zinzendorf (67) ist er «wegen irgend eines begangenen Fehltritts» von Bern verjagt worden.
Zinzendorf bezeichnet ihn außerdem als fähigen Direktor für die Zeichnung in der Manufaktur Köchlin in Mülhausen. Für die Mülhauser Industrie und deren Entwicklung müssen Basel und die Familie Ryhiner eine gewisse Bedeutung gehabt haben. Allerdings sind uns heute vor allem Berichte über Prozesse bekannt wegen Arbeitern, die man sich gegenseitig abspenstig machte (68). Ohne Zweifel war der Einfluß aus dem Kanton Neuenburg weniger problematisch. Die Anwesenheit des Henri-Paul Despland in Mülhausen läßt sich anhand einer Eintragung im Taufregister nachweisen. Eine Tochter ist im Jahre 1747 in jener Stadt getauft worden. Despland und ein gewisser Bonne waren Neuenburger französischer Herkunft und ehemalige Drucker aus dem Neuenburgischen. Diese Männer waren an der Einführung der Fabrikation in Mülhausen wesentlich beteiligt.

Weil Mülhausen zunächst nicht mit Frankreich verbunden und im Elsaß der Indiennehandel gestattet war, konnte sich hier der Zeugdruck ungeachtet jedes Verbotes entwickeln. Das Elsaß war darum später, basierend auf seiner Tradition, vom Niedergang der Manufaktur Oberkampfs bis zum Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges für den ganzen französischen Zeugdruck führend.
       
  ____________
65 Vgl. A.JUVET-MICHEL, Der französische Zeugdruck im 18. Jahrhundert, in: Ciba-Rundschau Nr. 28, Basel 1938, S. 1019.
66 Mit der Entstehung der Mülhauser Industrie hat sich P. R. SCHWARTZ ausführlich befaßt in: Les débuts de l'indiennage mulhousien, in: Bulletin de la Société Industrielle de Mulhouse, Nr. III 1950 und Nr. I 1951. In den Werken der folgenden Autoren finden sich ebenfalls Angaben über die Fabrikation in Mülhausen: ALICE DREYER, ADOLF JENNY-TRÜMPY, JEAN RYHINER u.a
.
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67 Vgl. den Bericht des Grafen KARL VON ZINZENDORF über seine handelspolitische Studienreise durch die Schweiz, 1764, herausgegeben von O.E.Deutsch, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde, 35. Bd., Basel 1936. Die Betriebe in Mülhausen werden auf S. 296 erwähnt.
68 Vgl. die Protokolle der Mülhauser Fabrik-Kommission, die am 12. August 1759 ins Leben gerufen wurden.
       
 
     
  5. OBERKAMPF, SCHÜLE UND LEITENBERGER
       
20 Christoph Philippe Oberkampf (1738-1815) stammte aus einer alten Färberfamilie. Sein Vater hatte auf vielen Reisen die Kunst des Blaufärbens und des Reservedruckes erlernt und in Klosterheilbronn (Deutschland) eine Manufaktur errichtet. Hier war es ihm gelungen, neben Stoffen mit weißer Musterung auch weiße Stoffe mit blauer Verzierung herzustellen. Möglicherweise wurde er dieser Kenntnisse wegen von den Ryhiner nach Basel gerufen (69).
In Basler Registern treffen wir den Vater Oberkampf vom 7. Nov. 1750 bis am 27. Juni 1752 (70) eingeschrieben. In derselben Stadt absolvierte sein Sohn Christoph Philippe seine Lehrjahre.
Aus den Daten geht hervor, daß sich Oberkampf der Ältere wenig mehr als ein Jahr in Basel aufgehalten hatte. Anschließend begab er sich nach Lörrach (70), wo er jedoch nicht bleiben konnte und deshalb in die Schweiz zurückkehrte. Ein Anstellungsvertrag mit den Gebrüdern Brütel in Schafisheim vom 25.Nov. 1753 ist erhalten. Zwei Jahre später, am 12.Dez. 1755, beklagen sich diese in einer Bittschrift (71) über ihren Angestellten, der ihnen lediglich Unannehmlichkeiten bereite. Auch habe er den Vertrag gebrochen und sich in Aarau mit irgendwelchen Bürgern zusammengetan, um eine Indienne-Manufaktur zu eröffnen. Die Gebrüder Brütel bitten deshalb den Rat um die Landesverweisung dieses Mannes.

Oberkampf ist demnach weder mit den Ryhiner in Basel noch mit den Brütel in Schafisheim gut ausgekommen. Vermutlich lag dies aber an den Arbeitgebern; denn wir wissen weiter, daß der deutsche Färber nicht nur in der Schweiz blieb, sondern hier am 23. Februar 1779 das Bürgerrecht erhielt. Der Betrieb, den er mit seinem Schwiegersohn Widmer führte, stand in Othmarsingen bei Lenzburg.

Doch wenden wir uns Oberkampfs Sohn zu. Nach Beendigung der Lehre begab sich Christoph Philippe 1757 auf die Wanderschaft. Wir treffen ihn in Mülhausen und darauf, im Oktober 1758, in Paris. Im Arsenal in Paris fand er Arbeit. Hier war es zur Zeit des Druckverbotes erlaubt, Reservedrucke mit
  Blau und auch mit anderen Farben herzustellen. Man operierte mit Wachsreserven und färbte die Tücher kalt; die Echtheit der Farben blieb damit äußerst zweifelhaft (72). Im Jahre 1759 verband sich Oberkampf mit einem Monsieur Tavannes.
Dieser hatte nämlich Nachricht über die bevorstehende Aufhebung des Druckverbotes erhalten, und die beiden errichteten nun im Vallée de Jouy, in der Nähe von Versailles, am Flüßchen Bièvre eine Manufaktur.

Am 1. Mai 1760 hatte Oberkampf sein erstes Stück Indienne fertiggestellt und war dabei Zeichner, Stecher, Drucker und Färber in einer Person gewesen. Vor allem in den ersten Jahren waren die Beziehungen zwischen Jouy und Othmarsingen bedeutend. Vater Oberkampf soll von Aarau weißes Tuch geliefert haben, und Schwager Widmer bearbeitete besonders schwierige Holzmodel für Jouy.
Seit 1775 wurden Oberkampfs Stoffe und sein Name überall bekannt und beliebt. Man hatte erfahren, daß in Jouy schlechte Farben nicht zur Anwendung kamen und der Begriff «toiles de Jouy» war gleichbedeutend mit dem Begriff «bon teint». Der Unternehmer aus Jouy wurde auch als Mensch geachtet, und in den Aufzeichnungen von Mme Jules Mallet heißt es unter anderem (73):

«Oberkampf donnait à tous l'exemple de la sobriété, de la vigilance et de l'activité. C'était lui qui dès l'aurore, au son de la cloche, appelait ses ouvriers au travail; le soir, c'était lui encore qui leur donnait le signal de la retraite; ils passaient tous devant ses yeux et d'un regard, d'un mot, il encourageait ou blâmait; équitable et généreux, sévère pour lui-même, indulgent pour les autres, il se conciliait à la fois le respect et l'affection. Son esprit d'ordre et d'économie se communiquait à ses élèves, de petites fortunes se formaient autour de la sienne, des maisons proprement bâties couvraient le vallon et les coteaux;
les terrains les plus ingrats se changeaient en vergers, en jardins fertiles...»
       
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69 In der älteren Literatur, z.B. A. LABOUCHÈRE, OBERKAMPF 1738-1815, Paris 1866, finden wir dies immer wieder als sichere Tatsache erwähnt. Nun wissen wir jedoch aus den Untersuchungen von FLOUD, a.a.O., daß der Direktdruck mit Blau bereits 1749 in England bekannt war. Und P. R. SCHWARTZ, l'application du bleu d'Indigo, in: Bulletin de la Société Industrielle de Mulhouse, Nr. II 1953, S. 65/66, weist nach, daß die Ryhiner bereits 1746 ohne weiteres Farbrezeptefür eine blaue Applikationsfarbe erwerben konnten. Also kann nicht Oberkampf der Erfinder jener Methode gewesen sein. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß Oberkampf ein befriedigenderes Druckverfahren mit der neuen Farbe entwickelt hatte. Um den Indigo befriedigend zu drucken, konnte nicht das gewöhnliche Sieb (Chassis) benutzt werden. Es war nötig, eine neue Vorrichtung zu erfinden (Zeitpunkt unbekannt). Auch mußte die Musterung tiefer ins Holz geschnitten sein, als für das Verzieren mittels Reserven.
70 Aus einer nicht veröffentlichten Arbeit von Dr. A. BOLLIGER über Koechlin, Baumgartner & Cie in Lörrach, lassen sich die folgenden Tatsachen entnehmen: Eine Zeitungsnotiz hatte Fabrikanten eingeladen, sich im Baden-Durlachschen
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niederzulassen. Christoph Philipp Oberkampf von Vayhingen hatte ein diesbezügliches Gesuch gemacht und wurde am 5. Februar 1752 Schutzbürger von Lörrach. In einem Schreiben tituliert man ihn als «ein berühmter Indienne Verständiger, der Evangel. Luth. Religion zugethan, der ein ansehnlich Vermögen besitzet». Wahrscheinlich wurde das Unternehmen am 6. April 1752 gegründet. Zunächst arbeitete man mit Gewinn, später mußte jedoch der Landvogt bekennen, daß «der Fabricant, welcher genugsame Erfahrung besitzt und dieses Lob von Baslern selbst hat... in Ansehnung seiner nicht zulänglichen Vermögensbeschaffenheit nicht genug Mittel, nach der Erforderung in sein angefangenes Werk zu setzen». Oberkampf mußte Lörrach verlassen, da der aus Bern vertriebene Kupfer bessere Garantien geben konnte. Zum weiteren Schicksal Oberkampfs vgl. P. R. SCHWARTZ, a.a.O., seine Anm. 9.
71 P. R. SCHWARTZ erwähnt diese Daten in der zitierten Arbeit (Anm. 69), unter seiner Anmerkung 9. Sie stammen aus dem Aargauischen Staatsarchiv.
72 Vgl. LABOUCHÈRE, Oberkampf 1738-1815, Paris 1866, S. 11.
73 Vgl. A. LABOUCHÈRE, a.a.O., S. 38.
       
 
       
21 Am 19. Juni 1783 erhielt Oberkampfs Fabrik den Titel einer Manufacture Royale. Auch Napoleon zeichnete ihn später mit höchsten Ehrungen aus. Er heftete ihm persönlich das Kreuz der Ehrenlegion an, und bei einer anderen Gelegenheit stellte er verschiedene Fragen, die Oberkampf nachträglich aufschrieb (74):

«...il m'a fait un très-grand nombre de questions, dont je ne rapporterai ici que les principales: Comment avez-vous commencé votre établissement? N'est-ce pas que c'est le premier million qui est le plus difficile à gagner? - Je lui ai dit qu'on avait beaucoup exagéré ma fortune dans les journaux, et qu'elle avait été bien écornée par la perte de quinze mille balles de coton en Espagne. - II m'a répondu qu'on lui avait assuré que j'avais partagé dix millions avec un associé vingt ans auparavant.
- Combien avez-vous d'enfants? - Combien leur donnez-vous de dot?
- Avez-vous un fils? - S'occupe-t-il de vos affaires, ou mangera-t-il son bien, comme cela arrive d'ordinaire?
II m'a dit avoir fait le nouveau tarif des douanes afin d'empêcher la contrebande. - Je lui ai fait observer qu'il avait trop imposé les cotons; il m'a repondu: - Qu'il ne prenait que le prix des contrebandiers; - que toutes les puissances étaient obérées et que lui seul avait de l'argent; - que la Hollande payera 50 millions et empêchera les Anglais d'y faire la contrebande, que l'ancien gouvernement avait tolérée; - qu'il fera brûler toutes les marchandises fabriquées et poursuivre les contrebandiers partout;...»

Der Niedergang der Manufaktur begann mit dem Fall Napoleons. 1813 war die Bilanz zum erstenmal negativ, 1815 wurde die Fabrik von den Alliierten geplündert, ein Schlag, den Christophe Philippe Oberkampf nicht überlebte. Die Manufaktur existierte noch unter verschiedenen Nachfolgern weiter, konnte aber mit der Normandie und mit dem Elsaß nicht mehr Schritt halten. 1843 wurden ihre Pforten endgültig geschlossen.
  Johann Heinrich Schüle (1720-1805) wurde als jüngster von fünf Söhnen in Künzelsau (Deutschland) geboren. Sein Vater war Handwerker. Johann Heinrich zeigte schon bald ein außerordentliches Interesse für Kontobücher und Geschäftsführung und war zudem zeichnerisch begabt (75). In Straßburg lernte er von 1739-42 mehr über die Führung von Geschäften, hielt sich dann drei Jahre in Kaufbeuren auf und ließ sich schließlich im Oktober 1745 in Augsburg nieder. Hier vermählte er sich mit Johanna Barbara Christel und führte den Detailhandel von Leinwandstoffen der Schwiegereltern. Bald handelte er ausschließlich mit bedruckten Kattunen, die er seit 1750 aus Hamburg bezog. Hie und da hatte der Kaufmann wohl schon damals die Stücke mit blauer und gelber Applikationsfarbe «illuminiert». Gattin und Tochter halfen ihm bei dieser Arbeit.
In die Jahre 1755-62 fallen längere Besuche in Hamburg; es waren dies Studienreisen, letzte Vorbereitungen für die Errichtung einer eigenen Kattunfabrik, die im Juli eröffnet wurde. Schüles Stoffe waren bald beliebt, doch die Webermeister murrten; denn Schüle bezog seine rohe Baumwolle aus Ostindien, durch Vermittlung des Amsterdamer Handelshauses Friedrich Motte. Auf eine Klage der Weber belegte die Behörde am 15. Juli 1765 mehrere Stoffballen mit Beschlag. Einsprachen von Herzog Karl von Württemberg, der Schüle Hofrang und Titel verlieh, brachten nicht den gewünschten Erfolg und eine Auswanderung mit allen Instrumenten und Utensilien nach Heidenheim wurde nötig.
Erst 1768 gewährten die Augsburger Schüle wieder seine vollen Bürgerrechte. Es begann eine Epoche erneuter Blüte. Der Kupferdruck wurde eingeführt. 1772 erhob Kaiser Joseph Schüle und seine ehelichen Nachkommen in den Reichsadel und Ritterstand. Im Adelsbrief heißt es (76):

«... So haben wir demnach aus jetzt angeführten Unser Kayserliches Gemüth bewegenden Ursachen, mit wohlbedachtem Muth, guten Rath und rechtem Wissen Ihme Johann Heinrich Schüle, die Kayserliche Gnade
       
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74 Vgl. A. LABOUCHÈRE, a.a.O., S. 181.
75 F. E. VON SEIDA, JOHANN HEINRICH EDLER VON SCHÜLE, in: Dollfus-Ausset, a.a.O., S. 149-197.
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76 Vgl. DOLLFUS-AUSSET, a.a.O., S. 113.
       
 
   
22 gethan, und Ihm sammt seinen ehelichen Leibs-Erben und derselben Erbes-Erben, beyderley Geschlechts, absteigenden Stammes, für und für, in den heiligen römischen Reichs-Ritterstand mildest erhoben, eingesetzt und gewürdigt.»

Seit diesem Jahre signierte Schüle seine Waren mit CPSCMIHvS (Cum Privilegio Sacra Caesareas Majestatis Johann Heinrich Edler von Schuele). Dies bedeutete einen weitgehenden Rechtsschutz. In der Urkunde steht (77):

«Jeder, wer er auch wäre, die unter obengenanntem Zeichen von ihme erfundene oder angeschaffte und noch anzuschaffende Zeichnungen, Möbel oder Waaren nachmache oder nachpfusche in des Kaisers und des Reiches schwere Ungnad und Straffalle und dazu noch in eine Poen, von nemlich zehen Mark löthigen Goldes, die ein jeder soofft erfreventlich hierwiedertäte, halb in des Reicheskammer und den anderen halben Theil Johann Heinrich Edlen von Schüle oder seinen Erben unnachläßlich zu bezahlen verfallen seyn sollte.»

Napoleon traf Schüles Unternehmen dadurch, daß er nicht nur in Spanien und Portugal, sondern auch in Italien die Interessen der französischen Textilmanufakturen durchsetzte. Während der allgemeinen deutschen Wirtschaftskrise, die vom Ende des 18. Jahrhunderts bis gegen die 30er Jahre des 19. Jahrhunderts dauerte, wurde auch Schüles Unternehmen ein Opfer seiner Zeit.

Johann Joseph Leitenberger lebte von 1730 bis 1802. Er ist der Begründer einer Dynastie von Zeugdruckfabrikanten, die bis gegen das Ende des 19. Jahrhunderts mit großem Erfolg tätig waren.
Johann Joseph entstammte einer alten Färberfamilie aus Lewin in Nordböhmen. Als junger Handwerksbursche zog er durch Österreich und gelangte über Schwaben und Konstanz auch in die Schweiz. In Aarau, St.Gallen, Zürich, Bern und Basel soll er Beschäftigung gefunden haben (78). Später ist seine Tätigkeit in
  Deutschland überliefert. Leitenberger erweiterte seine Kenntnisse im Färben indigo-dunkelblauer Stoffe bei Schüle in Augsburg, nachdem er bereits in Bern mit dieser Färbemethode vertraut gemacht worden war. Wieder zu Hause angelangt, heiratete der tüchtige Handwerker 1759 Maria Elisabeth Reitländer, die Tochter des Färbermeisters in Wernstadt.

Freie Hand zur Verwirklichung seiner Ideen bekam er allerdings erst im Jahre 1764. In diesem Jahr ging Leitenberger von der Blaufärberei zur Blaudruckerei über und machte bald auch Versuche mit Krappfarben und Reservedruck.

Um 1770 vollzog sich dann der Übergang vom kleingewerblichen Betrieb zur Fabrikation. Es entstand eine Manufaktur, in der Leitenberger als sein eigener Kolorist und Färber arbeitete. Sein erster Drucker war ein Schweizer, und auch der Modelstecher stammte aus dem Ausland.
Da die Produkte aus Wernstadt eine hohe Qualität aufwiesen, wurden sie bald bekannt und berühmt. Kaiser Joseph II. lobte 1791 anläßlich eines Besuches in Wernstadt die Stoffe der Manufaktur, die nun Joseph Leitenberger & Söhne hieß. Die Prager Ober-Postamtszeitung meldete am Tage nach dem Kaiserbesuch (79):

«... Unter anderen in der That sehenswürdigen Beweisen des immer steigenden Manufacturenzustandes in Böhmen zeichneten sich vorzüglich die Wernstadtler und Neu-Reichstädter, sonst Prärupter, Musterblätter der Leitenbergerschen Fabriken aus, und man sagt nicht zu viel, wenn man behauptet, daß sie der ausländischen Vollkommenheit in ihren sämmtlichen Waarenartikeln mit Riesenschritten nacheilen. Wer das prächtige, eigentlich zu der Krönungsfeier von ihnen verfertigte Damenhalstuch ansah, der mußte dem Zeichenmeister sowohl, als dem Coloristen in Bezug auf Erfindung, Geschmack und Feinheit alle Gerechtigkeit widerfahren lassen. Solche Unternehmer sind in der That der thätigen Aufmunterung und hinreichenden Unterstützung würdig.»
       
  ___________
77 J. WAITZFELDER, Der Augsburger Johann Heinrich von Schüle, ein Pionier der Textilwirtschaft im 18. Jahrhundert, Leipzig 1929.
78 Vgl. HERMANN HALLWICH, Firma Franz LEITENBERGER Prag 1893.
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79 Prager Ober-Postamtszeitung, 1791, Nr. 75 (15. September), S. 598.
       
 
       
23 Dieses Lob ermutigte Johann Joseph Leitenberger, ein Fabrikprivileg zu erbitten. Es wurde ihm am 7. Dezember 1792 im folgenden Hofdekret zugestanden (80):

«... In Rücksicht, da der Fabriksunternehmer Josef Leitenberger zu Wernstadtl und dessen zwei Söhne Franz und Ignaz Leitenberger zu Reichstadt diese Fabriken auf eigene Gefahr ohne einige Unterstützung unternommen, bisher mit dem besten Erfolge betrieben haben und hiedurch mehreren Menschen ein Nahrungsverdienst verschafft wird, Se. Majestät geruhet haben, demselben und seinen zwei Söhnen Ignaz und Franz das gebotene Fabriksprivilegium für Wernstadtl sowohl als für Reichstadt zu ertheilen und ihnen zu gestatten, daß sie Niederlagen in den Hauptstädten errichten, den Verkauf im Großen und den Ausschnitt im Kleinen ihrer eigenen Fabrikserzeugnisse, jedoch das Letztere nur nach eingeholter Bewilligung der jeder Provinz vorgesetzten Landesstelle, in allen Hauptstädten sämmtlicher Provinzen treiben können ...»

1793 erwarb Johann Joseph Leitenberger die Zitz- und Kattunfabrik zu Josephstal-Cosmanos, die 20 Jahre vorher von Josef von Boiza gegründet, aber zu keiner rechten Blüte gelangt war. 1796 übergab Leitenberger seinem Sohne Franz (1761-1825) diese Fabrik als alleiniges Eigentum. Hier wurden nun im 19. Jahrhundert wichtige Neuerungen eingeführt: Zur Entwicklung des Lapisdruckes hatte Charles Köchlin (1789-1831) aus Mülhausen gewonnen werden können, und als Dessinateure arbeiteten weitere Elsässer mit. 1815-16 wurde auch der Rouge-Artikel eingeführt und die Formstecherei bedeutend verbessert. Bald hatten die Erzeugnisse die
  schweizerischen, französischen und sächsischen der gleichen Gattung an Qualität weit übertroffen. Das Wiener Blatt berichtet folgendermaßen über die errungenen Erfolge (81):

« Se. k.k. Majestät, stets geneigt, Verdienste aller Art würdig zu belohnen und durch öffentliche Anerkennung derselben zur Nacheiferung aufzumuntern, haben sich über einen von der k.k. Commerz-Hofcommission erstatteten Vortrag bewogen gefunden, mit allerhöchster Entschließung von 19. d.M. dem Eigenthümer der Cottonfabrik zu Cosmanos in Böhmen, Franz Leitenberger, in Rücksicht der ausgezeichneten Verdienste, welche sich derselbe durch die Schönheit, den Geschmack und die Güte seiner Erzeugnisse, die selbst auf den Messen zu Leipzig und Frankfurt allgemeine Bewunderung erregt und auch über die britischen Fabrikate dieser Art den Sieg davongetragen haben, um die inländische Industrie erworben hat, die große goldene Civil-Ehrenmedaille und seinem Associé Ignaz d'Orlando, dann seinen beiden Gehilfen, dem Zeichner Jeremias Singer und dem Coloristen Carl Köchlin, in Rücksicht ihrer Talente und Geschicklichkeit, durch welche sie zu dem ausgezeichneten Zustande und dem auch im Auslande allgemein verbreiteten Ruhme der Cosmanoser Fabrik wesentlich beigetragen haben, die mittlere goldene Civil-Ehrenmedaille allergnädigst zu verleihen geruhet.»

Der europäische Ruf des Unternehmens schien für alle Zukunft gesichert, doch folgten auch für diese Fabrik Krisenzeiten. Aber man begegnete allen Schwierigkeiten erfolgreich und unter Friedrich Leitenberger (geb. 1837), dem Enkel von Franz, erreichte der Betrieb nochmals die Bedeutung einer Weltfirma.
       
  ____________
80
Vgl. HERMANN HALLWICH, a.a.O., S. 59.
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81 Österreichisch-Kaiserliche privil. Wiener-Zeitung vom 2 7. Juli 1818, Nr. 169.
       
 
     
  6. DIE ZEUGDRUCK-MANUFAKTUREN DER SCHWEIZ
       
  Zeittafel:    
24 GENF
1687 erste Versuche von Genfer Bürgern
1691 Gründung der ersten Fabrik in Eaux-Vives
1706 Antoine Fazy (1681-1731) gründet zweite Fabrik in Eaux-Vives
1710 Antoine Fazy verlegt das Unternehmen nach Pâquis
1728 Gebrüder Fazy, aux Bergues
1731 Jean-Salomon Fazy übernimmt die Fabrik in Pâquis
1761 Jean-Salomon kauft die Fabrik aux Bergues
1707 Jean-Philippe Petit als «faiseur d'indienne» bezeichnet
1714 Fabrikgründung mit André Michel
1759 Liquidation der Fabrik
NEUENBURG
1688 Jacques Deluze in Neuenburg
1715 Erste Fabrik mit Jean Labran
1734 Zweite Fabrik: Jean-Jacques Deluze in Le Bied
1750 Claude-Abram DuPasquier (1717-1783), Fabrikgründung in Cortaillod
BASEL
1716 Drucktische in Kleinbasel durch Samuel Ryhiner (1696-1757)
1803 Liquidation des Unternehmens
BERN
1706 Hieronymus Kupfer (geb. 1679) urkundlich erwähnt
Joh. Ferdinand Kupfer (1708-1757) führt das Unternehmen
1749 Henzi-Verschwörung und Flucht
1753 neues Unternehmen in Lörrach
1710 Gründung von S. Engelhard (gest. 1734),
1814 Liquidation des Unternehmens
  BlEL
1784 Henri-François Verdan (1746-1829)
1842 Liquidation
AARGAU

1712 Joh. Imhoof in Zofingen klagt über Engelhard
1720 Brütel in Zofingen
1736 E. Brütel und sein Bruder gründen eine Fabrik in Schafisheim zwischen Lenzburg und Suhr
1732 M. H. Hühnerwadel (1700-1766) gründet in Lenzburg Druckerei
1755 Oberkampf eröffnet die Fabrik Othmarsingen
1757 Joh. Rud. Dolder wird in Wildegg genannt.
1790 Gabriel Herosé am unteren Aarauer Stadtbach
ZÜRICH
Gesuch Raymond Boschiers aus Nîmes wird abgelehnt
1701 Erste Druckerei durch Römer & Kitt
1720 David Eßlinger (1679-1750) gründet einen zweiten Betrieb. Die Enkel David Eßlingers werden bedeutend
1784 Türkischrotfärberei J. H. Zellers (1746-1795)
THURGAU
1765 Bernhard Greuter (1745-1822) in Kefikon und
Islikon
GLARUS
1740 J. H. Streiff (1709-1780) eröffnet den ersten Betrieb. J. Tschudi und H. Blumer führen das Unternehmen weiter
1797 Egidius Trümpy in Glarus
1830 J. Trümpy in Ennenda
1834 J.Heer in Glarus
       
 
       
25 Aus der Zusammenstellung der wichtigsten schweizerischen Betriebe wird ersichtlich, daß sich für dieses Land zwei Gründerperioden unterscheiden lassen:
eine erste zu Beginn des 18. Jahrhunderts und eine zweite gegen dessen Ende und noch am Anfang des folgenden Jahrhunderts. Die frühen Gründungen sind vorwiegend auf französische Refugianten zurückzuführen, welche die Kenntnis auf indische Art zu färben wahrscheinlich meistens in Holland erworben hatten.
Die Manufakturen in Biel, im Kanton Thurgau und im Kanton Glarus wurden dagegen von schweizerischen Fabrikanten geleitet, welche die Verfahren und Techniken zum Teil in der welschen Schweiz kennengelernt hatten.

Im Jahre 1764 bereiste Graf Karl von Zinzendorf und Pottendorf (1739-1813) die Schweiz. Im Dienste von Maria Theresia, Joseph II. und Leopold II. hatte er sich zu einem der bedeutendsten Handelspolitiker seiner Tage entwickelt. Er war also kein Textilfachmann, und doch finden wir in seinen Reisenotizen ein anschauliches Bild über die Verbreitung der schweizerischen Druckereibetriebe im Jahre 1764 (82).

In verschiedenen Geschichtswerken des 18. Jahrhunderts, vor allem bei Fäsi 1765 (83) und Norrmann 1795-98 (84), stoßen wir ebenfalls auf Nachrichten, die den Zeugdruck in der Schweiz betreffen. Es ist sehr interessant, diese zeitgenössischen Berichte mit dem Bilde zu vergleichen, das sich aus neuerer Literatur über die betrenenden Orte gewinnen läßt.
So entnehmen wir den Aufzeichnungen Zinzendorfs folgende Beschreibung der Genfer Verhältnisse (85):

«Es sind 10 bis 12 Indiennes-Fabriques zu Genf* worunter die Fabrike der Herren Pelet die ansehnlichste seyn soll. Sie haben 10 bis 12-Druckertische. Der Arbeitslohn ist theurer als zu Neufchatel, des wegen die letztern Fabriken weit mehr blühen. Sie haben eigene hohe Gebäude, die gedruckte Waare aufzuhängen (Etendages d'Indiennes); die Tücher zum Drucken nehmen sie aus Zürich, Bern, etc. etc.»

Fäsi berichtet (86): «... sie haben Indienne- und andere Fabriken», während Norrmann vermerkt (87): «Die Indienne- oder
  Kottun- und Zitzdruckereyen wurden mit dem Anfange des jetzigen Jahrhunderts wichtig, nach und nach durch den Schleichhandel mit ihren Waaren nach Frankreich ungemein erträglich, dabey aber auch sehr vervollkommt, so daß sie in den neuesten Zeiten zu den besten Europäischen Fabriken dieser Art gehören.
Die meisten rohen Kottune erhalten sie aus der benachbarten Schweiz, manche von der Holländisch Ostindischen Kompagnie und zuweilen auch von andern. Zu den Zeiten ihres größten Flors beschäftigten sie an 3000 Menschen in der Stadt, im Gebiet und den benachbarten Gegenden, doch war der Absatz und mit diesem die Zahl der Arbeiter von Zeit zu Zeit sehr ungleich.»

Man vermutet, der Hugenotte Daniel Vasserot habe die erste Indiennemanufaktur 1691 in Eaux-Vives am Genfersee errichtet (88). Aber erst unter der Leitung von Jean-Salomon Fazy (1709-1782) erreichte der Betrieb europäischen Ruf und gehörte zu den Sehenswürdigkeiten Genfs. Nicht nur Markgraf Karl Friedrich von Baden stattete dem Etablissement (1775) einen Besuch ab (89), auch Goethe besuchte (1779) auf seiner Schweizer Reise die Zeugdruckereien.
Jean-Jacques Rousseau machte als Knabe in der Fazyschen Manufaktur eine schmerzhafte Erfahrung. Er beschäftigte sich verbotenerweise mit dem Mechanismus einer Maschine und benahm sich dabei so ungeschickt, daß der Daumen seiner rechten Hand zerquetscht wurde (90).

In den Genfer Betrieben entstand vor allem ein prachtvoller Indigo-Artikel. Der Blaudruck galt als Spezialität der Stadt; es ließen sich daher viele später berühmt gewordene Indienne-Drucker hier beraten: Johann Heinrich Streiff, der in Glarus eine Manufaktur begründen wollte, erhielt durch einen Koloristen der Firma Fazy Einblick in die Methoden des Blaudrucks, und Oberkampf aus Jouy bei Paris interessierte sich nicht nur für die Blaudruckmethoden seines Vaters, sondern auch für das Vorgehen der Genfer.
Hauptabsatzgebiet für die Genfer Indiennes war Italien. Außerdem blühte, wie wir bei Norrmann lesen, der Schleichhandel nach Frankreich. Die Stoffe waren dort so beliebt, daß Frankreich selbst nach der Aufhebung des Druckverbotes ein guter Abnehmer blieb.
       
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*
Hier irrte sich Zinzendorf vermutlich, denn 10-12 Tische ist für Genf eine viel zu geringe Zahl.

82 Des Grafen Karl von Zinzendorf eingesammelte Nachrichten, den Handel und Waaren-Zug in einem Theile von Schwaben, in der Schweiz und in Bündten betreffend. 1764, a.a.O., S. 151.
83 JOHANN KONRAD FÄSI, Staats- und Erdbeschreibung der helvetischen Eidgenossenschaft, Zürich 1766-1768.
84 GERHARD PHILIPP HEINRICH NORRMANN, Geographisch statistische Darstellung der Schweiz, Hamburg 1795-98.
85 KARL VON ZINZENDORF, a.a.O., S. 324.
86 JOHANN KONRAD FÄSI, a.a.O., Bd. 4, S. 333.
87 G. P. H. NORRMANN, a.a.O., S. 2902.
88 PIERRE BERTRAND legt allerdings in einem Artikel, der in «la Tribüne de Genève» am 9./10. März 1941 erschienen ist, dar, daß in Genf schon vor der Ankunft von Vasserot ein großes Interesse für die Indiennefabrikation vorhanden war. So heißt es in einem Schreiben von 1687: «maistre faiseur d'indiennes de Neuveville pres Lyon s'engage à faire venir à Genève un ouvrier
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capable de bien travailler de sa profession...» und im selben Jahr soll der Genfer Bürger Louis Gaudy in Eaux-Vives Land für eine Indiennefabrik gemietet haben. Vasserot hat sich demnach wahrscheinlich erst in Genf selbst für die Indiennes zu interessieren begonnen und hat die bereits eingeleiteten Installationen der Fabrik in Eaux Vives übernommen.
89 Vgl. FRIEDRICH V.WUCH, Eine Schweizerreise des Markgrafen Karl Friedrich von Baden, Sonderabdruck aus der Festschrift des großherzoglichen General-Landesarchivs zum 50jährigen Regierungsjubiläum seiner königlichen Hoheit des Großherzogs Friedrich von Baden, Heidelberg 1902; teilweise wiedergegeben bei GEORGES FAZY, Notes sur l'industrie des indiennes à Genève, in: Nos Anciens et leurs oeuvres, Genève 1906, S. 110.
90 Beschreibung in: JEAN-JACQUES ROUSSEAU, Les Rêveries du Promeneur Solitaire, édition critique par Spink, John S., Paris 1948, quatrième Promenade, S. 81.
       
 
       
26 Zur Zeit der Revolutionsjahre, als Genf an Frankreich angegliedert wurde und später während der Kontinentalsperre, verlegten viele Indienne-Fabrikanten ihre Betriebe nach Frankreich oder gaben ihre Geschäfte ganz auf.
Seit den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts besteht von der ehemals blühenden Industrie in Genf kaum mehr eine Spur.

Über Neuenburg lesen wir in Zinzendorfs Bericht (91):
«L'on compte jusqu'à 10 Fabriques d'Indiennes ou de Toiles imprimées dans la Ville de Neufchatel à Couvet dans le Val de Travers et à St. Blaise. Sr. Chaillet il s'imprime des Toiles à double Face, avec le même Dessein; ce qui est bien plus difficile, que lorsqu'à double Face les Desseins sont differens. Cette Manufacture n'existe que depuis le Commencement de l'année et cependant on y a dejà imprime jusqu'à 12.000 Pieces. Celles de Pourtales et de Luze sont les plus considerables. On compte que la dernière consomme par an 80.000 Livres de Garance et toutes les Fabriques de cette Drogue. La Manufacture de Couvet apartient à Mrs. Bosset & Borel de Neufchatel.»

Fäsi kommentiert folgendermaßen (92):
«Nächst um Neuenburg herum zählt man eine beträchtliche Anzahl Indienne- und Ziz-Druckereyen. Jährlich werden bis auf 80'000 Stücke zum Verkauf an Fremde zugerüstet.» und Norrmann ergänzt (93):

«Jetzt sind überhaupt 10 Kottundruckereien im Gange, die einen sehr starken Absatz nach dem südlichen Deutschland und einigen benachbarten Ländern, nach Frankreich und Italien haben. Die erste ward vor dem J. 1730 von einem Französischen Refugié angelegt, welchem nach und nach, bey dem ungemein glücklichen Fortgange seiner Unternehmung mehrere andere folgten. Bis zum J. 1788 waren sie alle im großen Flor, lieferten jährlich 80-100'000 Stück feiner Zitze, und beschäftigten 2-3000 Personen beyderley Geschlechts; seit dem J. 1790 scheinen sie aber keinen so guten Fortgang zu haben, da die Zahl der Kottundrucker von 2028, welche man im J. 1788 zählte, auf 1845 i.J. 1792 herabgekommen war.»
  Im 16. und 17. Jahrhundert gehörte das Fürstentum Neuenburg dem Hause Orléans-Longueville und spielte, abseits von den großen Handelsstraßen, keine wichtige Rolle. Erst als sich hier zahlreiche Hugenotten ansiedelten, stieg die Bedeutung der Stadt. Auf diese Refugianten und auf einige Genfer Indienne-Drucker geht die Einführung der Indienne-Manufakturen in Neuenburg zurück. Zur günstigen Entwicklung trug die Personalunion mit Preußen bei (1707).
Sie gestattete den Einwohnern nämlich weitgehende Freiheiten, welche die neuen Industrien wesentlich fördern halfen.

Der entscheidende Hugenotte für Neuenburg war der Kaufmann Jacques Deluze. Offenbar hatte er sich bereits in seiner Heimat mit dem Kattundruck befaßt und muß auch einige holländische Rezepte besessen haben. Es steht jedoch nicht fest, ob er je selber in Holland gewesen war. Jedenfalls interessierte sich Deluze nun sehr für die Arbeit des Neuenburgers Jean Labran, der in Genf bei Vieux & Michel eine Lehre als Indiennedrucker absolviert hatte und seit 1715 ein Unternehmen in Pre-Royer (Val-de-Ruz) besaß. Diese Manufaktur verlegte Labran bereits 1720 nach Boudry an der Areuse, und als er sich mit Deluze zusammengetan hatte, betrieben die beiden das Unternehmen in Le Bied bei Colombier.

Der Druckerei in Le Bied war großer Erfolg beschieden, dank der ausgezeichneten Qualität der Produkte. Jean-Jacques Deluze (1728-1779, Vertreter der dritten Generation) zeigte diesen Wohlstand denn auch in seiner persönlichen Umgebung. Der Architekt Lambelet mußte seinen Garten à la française herrichten. Für Springbrunnen-Anlagen wurden lange Wasserleitungen extra installiert. Man gab oft Gesellschaften, und Madame Deluze unterhielt eine rege Korrespondenz mit Jean-Jacques Rousseau, der auch die Druck-Ateliers mehrere Male besuchte.
Der Sohn Jean-Jacques Deluze-Ostervald, als Vertreter der vierten Generation der Deluze, war der letzte Leiter der Indienne-Manufaktur in Le Bied.
       
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91 KARL VON ZINZENDORF, a.a.O., S. 328.
92 JOHANN KONRAD FÄSI, a.a.O., Bd. 4, S. 447.
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93 G. P. H. NORRMANN, a.a.O., S. 2764.
       
 
       
27 Neben diesem Unternehmen gelangte auch die Manufaktur der Du Pasquier in Cortaillod (Fabrique Neuve) zu hohem Ansehen. Bei Boudry leitete die Familie Verdan den Betrieb «aux Isles», und in derselben Ortschaft ist der Flecken «Vauvilliers» mit dem Namen der Zeugdrucker Bovet verbunden.
Vor allem die mit Krapp gefärbten Tücher erreichten ein hohes künstlerisches Niveau und halfen mit, den europäischen Ruf zu begründen, den die Neuenburger Erzeugnisse zu ihrer Blütezeit hatten. Nach der Färbung im Krapp-Bad illuminierte man die Tücher mit Tafelfarben und gab ihnen so einen eigenen Stil, der sie als «toiles peintes neuchâteloises» überall kenntlich machte. Allerdings sind die Namen der Künstler, die diesen Stil schufen, nicht überliefert.
Wie das bei den Deluze der Fall gewesen war, so verbanden sich auch andere Neuenburger Indiennefabrikanten mit Kaufleuten. Auf diese Weise konnten sich die Fabrikanten in Ruhe ihren technischen und organisatorischen Fragen widmen und den Kaufleuten den Absatz der Produkte überlassen. In dieser Arbeitsteilung liegt sicher mit ein Grund für den Erfolg und den raschen Aufstieg der Industrie, die in den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts ihre höchste Blüte erreichte.

Die Neuenburger Produkte waren nicht nur sehr beliebt, auch die Mitarbeit von Druckern aus dieser Stadt war überall geschätzt. So wurden zum Beispiel von Simon-Louis und Ferdinand Petitpierre um 1770 eine Fabrik in Nantes gegründet (94), und Louis Du Pasquier eröffnete 1781 eine Druckerei in Colmar.
Neuenburger Kaufleute fanden sich auf den Märkten von Lyon, Beaucaire, Bozen, Senigallia, Reggio, Livorno, Genua und auch auf den Messen von Leipzig, Augsburg, Basel und Zurzach ein. Hauptabsatzgebiete waren Italien, Frankreich, Belgien und Nordamerika.

Erste Rückschläge erlitt die Neuenburger Industrie aus denselben Gründen wie die Genfer, nämlich wegen den Revolutionsjahren, der Kontinentalsperre und den hohen französischen Schutzzöllen. Dazu kam, daß Friedrich Wilhelm III. von Preußen mit Frankreich das Fürstentum Neuenburg und das Herzogtum Cleve gegen Hannover tauschte. Dadurch gerieten die Neuenburger Staat und Unternehmerinteressen in schärfsten Gegensatz zueinander. Eine Einfuhrvergünstigung nach Preußen wurde, wie schon erwähnt, erst 1830 erreicht. Aber in diesen Jahren stieg der Export nach Deutschland nochmals, denn auch die übrigen Staaten des Deutschen Zollvereins gestatteten die
  Einfuhr von Neuenburger Erzeugnissen.
Gänzlich zum Erlöschen kam dann die Industrie vor allem dadurch, daß in Neuenburg die Rohstofflieferanten, nämlich Baumwoll-Webereien und -Spinnereien, fehlten.

Zinzendorfs Bericht über Bern und Aargau lautet (95):
«Indiennes-Fabriken giebt es 9 im Bernischen, wovon die stärkesten die Manufacturen der Frau Küpferin und des Herrn Buret zu Schaffsheim sind. Es sind aber hier nicht einmal mitgerechnet die großen Fabriken zu Yverdun am Neuenburger See. Man rechnet, daß im Bernischen gegen 300.000 Stück gewebt und an die 80.000 Stück Indiennes gedruckt werden. Die einzige Fabricke der Frau Küpferin zu Bern, einer Schwiegertochter des im Exilio zu Lorach lebenden Kupfers, ernährt 180 Personen. Es sind 40 Druckertische. Eine eigene Stube zum rothen, eine andere zum gelben und eine andere zum blau drucken. In die letzte läßt die Frau Küpferin keinen Kaufmann, und zwar aus folgendem Grunde: weil sie gleichwie ihr Schwiegervater zu Lorach das Geheimniß hat, auf den vielfärbigten Stücken die blaue Farbe, nicht wie zu Neufchatel, zu malen, sondern zu drucken. . .
Man siehet in dieser Fabrike Calankas mit dunklem oder mit blauem Grunde, beyde mit aufgetragenen Gold- oder silbernen Blumen. Es sieht gut aus. Die Frau Küpferin hat einen Dessinateur, der sehr geschickt ist, und 3 Formenstecher. Diese Manufaktur hat starken Verschleiß nach Wien. Die Druckereien zu Neufchatel aber sind stärker.»

Fäsi erwähnt die folgenden Tatsachen (96):
«Die Ausfuhr des Cantons besteht in Leinwand, welche meistens nach Lyon geht; in gedruckten Catun; in einigen Wollen-Arbeiten, Pferden, Hornvieh und Käsen . . . Zu und allernächst bey Aarau wird Cadrille, Catun und Indienne fabriciert.»

Norrmann dagegen schreibt etwas ausführlicher (97):
«Auch in der Stadt Bern und in einigen örtern der Waad sind verschiedene nicht unbeträchtliche Indiennefabriken . . .
Die Zitz- und Cottundruckereyen oder sogenannten Indiennefabriken sind ebenfalls schon seit langer Zeit im Gange, aber in den letzten Jahren noch mehr in Aufnahme gekommen und haben sich im unteren Aargau in der Gegend von Lenzburg, Zoffingen, Aarau und Langental sehr ausgebreitet. Einige derselben sind in diesen Städten, die meisten aber in der Nähe derselben . . .
       
  ___________
94 Siehe detaillierte Ausführungen bei: Bernard Roy, Une capitale de l'indiennage, Nantes, Nantes 1948.
95 KARL VON ZINZENDORF, a.a.O., S. 310 und 311.
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96 JOHANN KONRAD FÄSI, a.a.O., Bd. l, S. 539 und Bd. l, S. 823.
97 G. P. H. NORRMANN, a.a.O., S. 482.
       
 
       
28 So reichen unter anderen einige derselben bis an die kleine Stadt Brugg, oder Brück, ohne daß deswegen die Einwohner der letzteren einen bedeutenden Antheil an diesem Gewerbe nehmen . . .
In dem Halbzirkel einer Schweizermeile finden sich von Brugg an wenigstens 6 Indiennefabriken . . . die, außer vielen gedruckten Cottunen und gemalten Zitzen, eine große Menge von Hals-, Schnupf- und anderen gedruckten und gemalten Tüchern verfertigen. Der Absatz aller dieser Manufakturen ist vornehmlich nach Deutschland, bis in die nördlichsten Gegenden, auch nach einigen benachbarten Ländern, so wie nach Frankreich und Italien, ungemein ansehnlich.»

In Bern gründeten alteingesessene Familien Indienne-Manufakturen. Eine Urkunde vom 19. Januar 1706 läßt vermuten, daß die erste derartige Gründung in dieses Jahr fällt. Ein Färber namens Kupfer brachte nämlich dem «Commercienrath» vor (98):
«Wie daß er seinen Sohn Hieronymus zum Indiennedrucker gezogen und derselbige solches so wol erlehrnt, daß er nunmehr Tuch von der Lucerner fabrique truke zu Vermüegen der Interessenten, wie er dan das Muster vorgewiesen, begehre derowegen daß mäniglichen gleiches zu üben verboten sein solle.»

Hieronymus Kupfer (geb. 1679) scheint demnach hier als erster Indiennes bedruckt zu haben. Aber wahrscheinlich entwickelte sich der Betrieb erst so recht in den 30er Jahren; denn zu dieser Zeit - Inhaber ist nun der Sohn Johann Ferdinand Kupfer (1708-1757) - erscheint das Unternehmen wieder in den amtlichen Protokollen. Dieser Johann Ferdinand Kupfer nahm 1749 an der Henzi-Verschwörung teil und wurde deshalb des Landes verwiesen. Seine Gattin, und später die Schwiegertochter, führten das Unternehmen in Sulgenbach im Kanton Bern weiter. Kupfer selber gründete 1753 in Lörrach (bei Basel) eine Indiennefabrik, die bald zu einer der berühmtesten des Auslandes werden sollte.

Neben diesem ältesten bernischen Unternehmen blühte dasjenige des Samuel Engelhard (gest. 1734) viel rascher auf und gelangte zu größerer Bedeutung.
Engelhard war sehr aktiv. Er bewirkte zum Beispiel ein Einfuhrverbot für fremde Indiennes. Am 11. Januar 1710 heißt es in einer städtischen Urkunde (99):
  «Engelhard & Comp. begehren zur Äufnung ihrer vorhabenden Indienne fabrique entweder sie bey MhgH. zu einem ansehnlichen Vorschuß an Gelt zu recommendieren, oder zu versichern, daß auf die frömbden Indienne ein batzen zoll die Eil geschlagen werde.»
Darauf erließ der große Rat ab 15. Februar 1710 ein: «Verbott der frömbden Indienne». Außerdem wurde Engelhard die Oberaufsicht über den gesamten Indiennehandel im Kanton übergeben.

Im Gebiet des heutigen Kantons Aargau lassen sich zahlreiche Betriebe feststellen. Der von Zinzendorf genannte «Buret» in Schafisheim muß mit Brütel identisch sein. Man kann nachweisen, daß die Brüder Etienne und Samuel Brütel, Söhne eines Emigranten aus dem Languedoc, im Jahre 1736 Schloß und Herrschaft Schafisheim zwischen Lenzburg und Suhr erwarben und dort eine Zeugdruckerei errichteten. Etienne hatte bereits 1720 die Erlaubnis erhalten, Indiennes zu bedrucken, wahrscheinlich auf Grund seiner Heirat mit der Tochter des Zorniger Schultheißen Salchli. Die vier Söhne setzten das Geschäft nach des Vaters Tod um 1752 fort (100).

In Othmarsingen bei Lenzburg gründete Jakob Philipp Oberkampf nach 1755 mit seinem Schwiegersohn Widmer ein Unternehmen, und im letzten Jahrhundertviertel arbeiteten die Gebrüder Herosée in Aarau. Nach von Kurrer (101) sollen sie in jener Stadt zum erstenmal in der Schweiz Druckwalzen verwendet haben.
Während die Berner Fabrikanten am Ende des 18. Jahrhunderts versäumten, den Rouleauxdruck rechtzeitig einzuführen, stellten sich die Druckereien im Gebiet des heutigen Kantons Aargau rechtzeitig um. Diese konnten dadurch der elsässischen Konkurrenz noch einige Jahre erfolgreich begegnen. Die Berner Betriebe gingen mit den prohibitiven Einfuhrzöllen, die Frankreich seit 1785 auf Baumwollwaren erhob, endgültig zu Grunde.

Die Aufzeichnungen der drei Chronisten über Basel lauten (102):
«Die Indiennes-Fabricken zu Basel sind ansehnlich, besonders die der Herren Felix Battier und eines gewissen Riginers; doch reichen sie nicht an die von Mülhausen und Neufchatel, noch an die große Fabricke des Johann Friedrich Kupfers, eines Bürgers von Bern, zu Lorach oder Lerch im Baaden-Durlachischen. Im Anfange gehörte diese Fabrike einer Compagnie; jetzt gehöret sie zwar dem Kupfer allein, doch weil er keine genugsame Fonds hat, so kann er nicht für sich arbeiten, sondern er arbeitet
       
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98 Manual des Commercienrathes 1695-1798, 23 Bde, D, S. 156.
99 Manual des Commercienrathes 1695-1798, 23 Bde, D, S. 198.
100 Werner FETSCHERIN, Beitrag zur Geschichte der Baumwollindustrie im alten Bern, Weinfelden 1924, S. 48;
sowie: K.SCHENKEL, Schafisheim, 1948, hg.:
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Buchdruckerei Neue Aargauer Zeitung, Aarau.
101 W. H. VON KURRER, Geschichte der Zeugdruckerei, Nürnberg 1840, S. 45.
102 KARL VON ZINZENDORF, a.a.O., S. 295; JOHANN KONRAD FÄSI, a.a.O., Bd. 2, S. 500; G. P. H. NORRMANN, a.a.O., S. 1615.
       
 
       
29 hauptsächlich für Pierre Merlan et fils zu Basel, dann für einige andere zu Basel und Zürich. Er hat 45 Druckertische und an die 100 Arbeiter, verfertigt meist Tapeten-Arbeit nach Frankreich und druckt die schönsten Desseins auf Baumwolle und Leinwand; desgleichen auch Schnupftücher des Jahrs etliche und zwanzig tausend Stücke.
In dem Blauen soll er ein Geheimniß besitzen, das kein anderer in der Schweiz hat; auch druckt kein anderer so feine Waare. Es lassen selbst Fabrikanten von Neufchatel, Genf und Zürich bey ihm drucken.» (Zinzendorf)

«Die Indiäne-Fabriken verarbeiten und versenden eine ungemein beträchtliche Anzahl Waaren.» (Fäsi) «Weit wichtiger sind die Indiennedruckereyen, von welchen 6 bey Basel eine große Menge von Arbeitern beschäftigen und mancherley gedruckte und gemahlte Cattune, Zitze, Hals- und Schnupftücher, gedruckte Leinwand u.s.f. liefern, einen starken Absatz nach Deutschland, vorzüglich nach Frankreich und Italien haben, jetzt aber durch die ungemein starke Einfuhr nach Frankreich sehr erweitert sind.» (Norrmann) In Basel handelte die Familie Ryhiner seit dem 17. Jahrhundert mit Stoffen.

Es ist ein Eintrag vom 6. November 1720 im Basler Ragionenbuch erhalten (103), nach dem sich die Witwe eines Emmanuel Ryhiner (1650-1710) nach dessen Tod mit ihren beiden Söhnen und einem Dritten verassoziiert hatte. Es waren dies: Samuel Ryhiner (1696-1757), Emmanuel Ryhiner (1704-1790) und Johann Rudolf Faesch (1684-1755). Die Firma hieß: Emmanuel Ryhiner Aelter selig Wittib & Comp.

Für die Zeugdruckerei ist Samuel Ryhiner wichtig. Weil nämlich die Firma einen beträchtlichen Handel mit indischen Stoffen betrieb, wurde Samuel zur Vervollkommnung seiner Kenntnisse nach Amsterdam gesandt. Hier muß er sich aber mehr für die Indienne-Technik als für den -Handel interessiert haben; denn nach seiner Rückkehr gegen 1716/17 stellte er in KleinBasel drei oder vier Drucktische auf.
  Johannes oder Jean Ryhiner (1728-1790) gehört zur folgenden Ryhiner-Generation. Er war bedeutender Bürger der Stadt Basel und stand vielen Ämtern vor. Als Krönung seines öffentlichen Lebens wurde er am 30. Juli 1789 zum Bürgermeister gewählt. Allerdings starb er bereits am 25. Mai 1790, also vor der eigentlichen Amtseinsetzung, die nach altem Brauch im Juni stattfand (104). Johannes beschäftigte sich neben seinen umfangreichen politischen Aufgaben auch intensiv mit der Indiennefabrikation. 1766 verfaßte er sein «Tratte sur la fabrication et le commerce des toiles peintes» (105), in dem zum erstenmal auf fachmännische Art die Vorgehen beschrieben sind, die in der schweizerischen Indienne-Industrie angewandt wurden. Anhand der niedergeschriebenen Druckfarbenrezepte läßt sich überdies das ganze Sortiment der Ryhinerschen Artikel rekonstruieren. Das ist vor allem deshalb wichtig, weil von den heute erhaltenen Stoffen keine mit Sicherheit als in Basel entstanden bezeichnet werden können.

Die Erzeugnisse haben nicht den Ruhm der Neuenburger Stoffe erreicht, werden sie doch von Zeitgenossen selten erwähnt (106). Die Bedeutung Basels und der Ryhiner liegt in der Vermittlung der Drucktechnik aus den Niederlanden.
Sicher hatten hier nicht nur der junge Oberkampf und der Glarner Fridolin Streift gelernt, sondern es ist anzunehmen, daß auch die Mülhauser Industrie viele Kenntnisse von hier bezog. Gründe des Unterganges der Basler Industrie werden in der Literatur nirgends genau ausgeführt, doch ist es wahrscheinlich, daß die Ryhiner der wachsenden Konkurrenz im Elsaß nicht mehr standhalten konnten. Auch hier wird es der Mangel an Rohstoffen (Baumwollfabriken) gewesen sein, der zum endgültigen Erlöschen der Basler Betriebe geführt hatte.

Zurich und Thurgau erscheinen in den Überlieferungen von Zinzendorf und Norrmann folgendermaßen (107):
«Leinwand-Druckereyen sind ihrer viere zu Zürich, und zwar die ältesten in der Schweiz; doch wird da lange so viel nicht als an ändern Orten gearbeitet. Meistens sind es baumwollene
       
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103 Eintrag vom 6. November 1720 im Basler Ragionenbuch, nach welchem sich die Witwe eines Emmanuel Ryhiner nach dessen Tod mit ihren beiden Söhnen und einem Dritten verassoziiert hatte. Vgl. SCHWARTZ, Paul R., Les debuts de l'indiennage Mulhousien, a.a.O., S. 44.
104 GUSTAV RYHINER, Bürgermeister Johannes Ryhiner 1728-1790, in: Basler Zeitschriftfür Geschichte und Altertumskunde, 1946, 45. Bd., S. 59ff.
105 Das Ryhinersche Manuskript wurde zum erstenmal publiziert und kommentiert von DOLLFUS-AUSSET, a.a.O., S. 1-147. Allerdings ist hier nur ein Auszug der Handschrift wiedergegeben, und zudem sind Dollfus-Außet bei der Publikation mehrere Fehler unterlaufen. Um Irrtümer zu
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vermeiden, ist es daher angebracht, das Original zu konsultieren. Der Anfang des Manuskriptes fällt in das Jahr 1766, und die letzten Einschreibungen datieren von 1783. Die Rezepte, welche in großer Zahl vorhanden sind, gehen bis auf das Jahr 1738 zurück.
106
So ganz unbekannt war die Basler Produktion im Ausland jedoch nicht, findet sich doch die folgende Stelle in: Jetzt lebende Kauffmannschaft in und außer Deutschland, Leipzig, 1745: «Die Witwe Ryhiner hat schöne Manufacturen in Persiennes und Indiennes, die mit Straßburg, Frankfurt und Lothringen arbeiten».
107 KARL VON ZINZENDORF, a.a.O., S. 284; G. P. H. NORRMANN, a.a.O., S. 115.
       
 
       
30 Schnupftücher. Der Inhaber einer dieser Druckereyen, namens Meyer, ist selbst ein Fabrikant, der weben, bleichen und drucken läßt. Er hat eine Bleiche, die eine ungemein schöne Aussicht auf dem Züricher See dem Auge darbietet. Es sind da an die 20 Druckertische und er verschickt seine Waaren nach Frankreich und nach Wien.

Ein anderer, namens Rohrdorf, arbeitet nur ums Lohn, ist aber ein sehr geschickter Mann. Er druckt für 3 Kaufleute in Zürich und dann für Auswärtige. Er hat 23 Druckertische und 54 Arbeiter und legt nichts auf die Bleiche, was durch den Krapp gezogen wird. Dennoch ist der weiße Grund sehr schön. Die Muster sind ungemein artig. Doch sind auch viele darunter gar sonderbar, indem seine Waare nach Spanien, Dänemark Schweden und Rußland gehet. Die Kaufleute schreiben ihm selbst die Desseins vor. Das rarste von seiner Arbeit sind die blauen Schnupftücher mit weißen Blumen à double face, so der Streif zu Glarus und die Mertz zu Herisau auch haben, jedoch nicht in der nämlichen Vollkommenheit. Auf jeder Seite ist ein anderer Dessein. Es gehöret unter die kaltblaue Arbeit; das Stück kommt 1½ Gulden. Es ist bey ihm ein Drucker, der bey dem Leper zu Wien gearbeitet hat. Die Maschinen zum Glätten lassen sie zugleich meist durch Pferde bewegen. Dieser Rohrdorf druckt des Jahrs an die 40000 Stück zu 16 Pariser Stab, doch alles nur Schnupftücher.» (Zinzendorf)

«Die zürcherischen Zitze, Gottune und Tücher gehen ebenfalls in Menge nach Deutschland, Italien, Fohlen und ins nördliche Europa, auch nach Holland und einigen türkischen Ländern. In den zürcherischen Druckereyen hat man mehrere und wichtige Abänderungen, z. E. beym Bleichen der Zeuge, auch sonst bei der Arbeit gemacht, insonderheit zum Kalandern und Glänzen der Zeuge Maschinen mit Wasserwerken, zum Reinigen der weißen und selbst gedruckten Cottune Walktröge mit Stampfen.»
(Norrmann)

Die Färbekunst als solche war in der Stadt Zürich schon lange heimisch. Die Färber gehörten hier zu den sogenannten freien Gewerben und waren weder an Zunft noch an Zunftregel
  gebunden. Man war bestrebt, die Färbereien an die Peripherie der Stadt zu verlegen. Sie befanden sich an der Walche, am Stampfenbach, vor der Niederdorfpforte, am Hirschengraben, beim Stadelhofen. Besondere Bedeutung erlangte die Färb am Münsterhof.
Die Familien Ott und Rohrdorf vererbten dieses Handwerk von Generation zu Generation. Wie alle Färber wachten auch sie ängstlich über ihre Privilegien, und es ist daher verständlich, daß man den Hugenotten Raymond Boschier aus Nimes abwies, der den Rat Ende des 17. Jahrhunderts um Erlaubnis gebeten hatte, in Zürich «Baumwollzeug mit den besten Farben, derer man sich im Orient bediene», färben zu dürfen (108).

Wahrscheinlich war er aber daraufhin von der Firma Römer & Kitt angestellt worden. Denn hier wurden um 1701 zum erstenmal Indiennes und Persiennes hergestellt. Große Berühmtheit erlangten deren Tücher nicht; denn die Zürcher verstanden sich nicht genug auf den Beizendruck, welcher der Färberei vorausging. Auch war das Blaufärben mit Indigo überhaupt unbekannt. Man weiß, daß aus diesem Grund ein fremder, kundiger Färber angestellt worden war, der mit größter Wahrscheinlichkeit aus Holland stammte. Somit läßt sich also die Behauptung aufstellen, auch die Zürcher Indienne-Industrie sei holländischen Ursprungs. Aber um 1714 wurde das Anstellen von fremden Färbern durch den Rat verboten und somit das Aufblühen dieser jungen Industrie gehemmt.

Sechs Jahre später gab David Esslinger (1679-1750), der sich vom Pastetenbäcker und Schirmmacher zum Fabrikanten heraufgearbeitet hatte, Anstoß zu neuen Erlassen. Er stellte das Gesuch, seine Indiennes selber färben zu dürfen.
Es bedeutete dies, daß er zwei verschiedene Handwerke ausüben wollte, ein Vorgehen, das zu seiner Zeit streng verboten war. Esslinger scheint auch mit seinem Wunsch bei den Färbern auf kräftige Ablehnung gestoßen zu sein. Erst seine Enkel, David (geb. 1730) und Melchior Esslinger (geb. 1730), konnten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts das Druckereigeschäft zu großer Blüte bringen, indem sie es verstanden, mit fähigen Färbern gemeinsame Sache zu machen.
       
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108 ADOLF BÜRKLI, Zürichs Indienne-Manufaktur und Türkischrot-Färberei in früherer Zeit, in: Zürcher Taschenbuch vom Jahr 1881, S. 194.
   
       
 
       
31 Sie fabrizierten vor allem beidseitig bedruckte Mouchoirs. Solche frühen Tücher bezeichnete man in Frankreich als «genre zurichois», und gegen Ende des 18. Jahrhunderts waren sie vor allem in Italien als «fazzoletti d'Esslinger» weit verbreitet.

Einen Fortschritt hatte die Einführung des Kalanders oder der Walzenglätt Maschine bedeutet. Aus einem Ratsbeschluß vom 27. April 1757 (109) ist ersichtlich, daß der Rat den Indienne-Fabrikanten und Färbern den Gebrauch der Walzen (nur kalt und nicht warm anzuwenden) gestattete.

Die Färberfamilie Zeller war an der Berühmtheit der Esslinger wesentlich mitbeteiligt; vor allem die Einführung der Türkischrotfärberei in Zürich ist ihr Verdienst.
1784 gründeten Hans Rudolf und Johann Heinrich Zeller (1746-1795) im Drahtschmidli eine Türkischrotfärberei, die bis 1797 ihr Eigentum blieb. Für den Sohn Johann Heinrichs, Johann Christoph, wurde 1801 die Rahnsche Färberei in der Walche eingerichtet. Seit

1798 hatte jedoch die Bedeutung der Färberei in Zürich abgenommen, denn die engen Schranken des Zunftwesens waren in jenen Jahren beseitigt worden. Die Esslinger konnten nun die Tücher, die sie vorher nur hatten bemustern dürfen, selber färben, und damit verloren die Zeller ihre Hauptabnehmer.

Die meisten Erzeugnisse der Zürcher Manufakturen gingen nach Süddeutschland (Bayern), und daher bedeutete die Errichtung des Deutschen Zollvereins 1834 den endgültigen Todesstoß für die zürcherischen Manufakturen.

Die wenigen thurgauischen Betriebe sind einer späteren Gründungsperiode einzuordnen, d.h. sie entstanden ungefähr gleichzeitig wie die Glarner Manufakturen und stellten wie diese vor allem den Türkischrot-Artikel her. Sie sind bei Zinzendorf nicht erwähnt, und auch die anderen Historiker äußern sich nur sehr allgemein.
  Bernhard Greuter (1745-1822) soll 1765 in Kefikon und nachher in Islikon bei Frauenfeld mit einer bescheidenen Blau- oder Indigofärberei begonnen haben. Er wurde zunächst durch die Herstellung von blauen Tüchern bekannt. Später erreichte der Türkischrot-Artikel größere Bedeutung. Greuter begann mit fremden Märkten zu handeln, der Absatz stieg und die Firma mußte mehrmals erneuert werden.
Rückschläge erfolgten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, vor allem als Folge der ständig wachsenden englischen und deutschen Konkurrenz.

Über Biel berichten die drei Geschichtsschreiber (110):
«Es ist eine Indiennes-Fabrik da, die gute Arbeit macht.» (Zinzendorf) «Eine Indiene- oder Zizfabrik.» (Fäsi)
«Unter den Manufakturen der Stadt zeichnen sich aus: ... 2 Indiennefabriken, oder Cottun- und Zitzdruckereien, die in neuern Zeiten angelegt sind.» (Norrmann)

Denn auch in Biel entstand um die Mitte des 18. Jahrhunderts eine bedeutende Zeugdruckerei. Allerdings waren deren Anfänge eher von Mißerfolgen gezeichnet. Ein Passus vom 14. März 1747 im Ratsprotokoll der Stadt (111) bezeichnet den Alt-Großweibel H. Rother und den Hauptmann Wildermeth als erste Druckerei-Inhaber. Der Betrieb scheint nicht sehr gut rentiert zu haben. Bereits 1755 schloß man ihn.
Später wurde die Fabrikation durch den Sohn Rothers weitergeführt unter dem Firmennamen: Rother & Co. Aber 1765 fallierte auch dieser Betrieb. Ein H.Rhonus übernahm darauf das Unternehmen, konnte es jedoch auch nicht halten. Schließlich wurde 1784 die Familie Verdan ihr letzter Besitzer, die in der ersten Zeit vor allem indigoblaue Tücher herstellte. Solche Stoffe scheinen für die westschweizerische Indienne-Industrie charakteristisch gewesen zu sein.
Verdan produzierte nicht immer auf eigene Rechnung. Meistens arbeitete er für die großen Neuenburger Handelshäuser. Von ihren Lagern gelangten die Tücher dann auf die großen Messen von Beaucaire, Frankfurt, Leipzig und Senigallia.
       
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109
Vgl.ADOLF BÜRKLI, a.a.O., S. 198; Rathsprotokoll vom 27-April 1757.
110 KARL VON ZINZENDORF, a.a.O., S.299; JOHANN KONRAD
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FÄSI, a.a.O., Bd.4,S. 14; G.P.H.NORRMANN, a.a.O., S. 2314.
111
Archiv der Stadt Biel, Ratsprotokoll, Band 37 (1740-1741), S. 508.
       
 
       
32 Von 1798 bis 1813 war Biel von französischen Truppen besetzt. Diese Angliederung an Frankreich brachte keine direkten ökonomischen Vorteile.
Als aber 1805 eine eigene Weberei in Biel gegründet wurde, konnte sich die Indiennefabrik wegen des günstig zu beziehenden Rohmaterials und den Absatzverhältnissen (Frankreich) zu einem Großbetrieb entwickeln.
Haupterzeugnisse jener Jahre waren: Indiennes, Meubles, Mignonnettes, Camaieux, Mouchoirs, Cravattes und Schals.

Nach der französischen Besetzung begann für die Bieler Indienne-Manufaktur eine Periode des langsamen Zurückgehens. Jeder Handelsverkehr mit Frankreich war nach 1813 aufgehoben worden und 1842 wurde der Betrieb aufgelöst
.
Zinzendorf, Fäsi und Norrmann berichten über Glarus (112):
«Weiter ist eine Cotton-Druckerey des Herrn Streif haußen vor gedachtem Flecken, und es wird daselbst das Kaltblau sehr schön exequirt. Die Herisauer haben, aller Geheimhaltung des Streifs ungeachtet, ihm diese Kunst abgelernt. Ein Sohn des Pacal zu Wien ist bey ihm Modelstecher gewesen.» (Zinzendorf)

«In dem Fleken Glarus ist eine gute Färberey, vorzüglich in blauen Farben, von Indiennen- und Persienen-Facon...» (Fäsi)

«Nach und nach wurden auch mehrere Kottun- und Zitzdruckereien angelegt, die vorzüglich in Glaris und Mollis stark betrieben werden, und eine Menge von gedruckten und gemalten Kottunwaren, oder Indiennen, Persiennen, großen und kleinen Tüchern mancherley Art liefern.
Diese haben einen starken Absatz außerhalb Landes, auf den entferntesten Messen, und in den nördlichsten Europäischen Handlungsstädten ... und gehen selbst nach Norwegen und Rußland damit, zum Teil sogar jährlich.» (Norrmann)
  So wie Neuenburg im 18. Jahrhundert für den Zeugdruck von zentraler Bedeutung war, wurde im folgenden Jahrhundert der Kanton Glarus für diesen Zweig der Baumwoll-Industrie ausschlaggebend. Hier waren schon 1714 durch Pfarrer Andreas Heidegger aus Zürich die Baumwollspinnereien eingeführt (113) worden. Dadurch stellte sich das Problem des Rohstoffes nicht, im Gegenteil: die späteren Färbereien und Druckereien entwickelten sich aus diesen schon bestehenden Spinnereien und Webereien.

Die Druck-Industrie stützte sich stark auf die Erfahrungen, die man im 18. Jahrhundert in Genf, Neuenburg und Basel gemacht hatte. Johannes Heinrich Streiff (1709-1780), der im Jahre 1740 eine erste Manufaktur in Glarus eröffnet hatte, ließ aus den Genfer Betrieben Koloristen kommen, die ihm bei der Einführung des Blaudruckes behilflich sein sollten. Wir wissen, daß auch Beziehungen zu Neuenburg vorhanden gewesen waren: Die zweite Frau Streiffs war Neuenburgerin, und der einzige Sohn besuchte Schulen in jener Stadt.
Streiffs Neffe, Fridolin Streiff, der 1760 in Mollis eine zweite Fabrik gründete, war in Basel bei den Ryhiner ausgebildet worden.
Johann Heinrich Streiff stellte neben Taschentüchern auch Indiennes und Persiennes her, die vorwiegend aus weißgemusterten Indigoböden bestanden. Seine Muster waren: geometrische Motive und stilisierte Blumen und Blätter. Egidius Trümpy (1768-1839) interessierte sich in den ersten Jahren seiner Tätigkeit vor allem für krappfarbene Artikel. 1817 betrieb er zum erstenmal im Kanton Glarus auch die Türkischrot-Stückfärberei. Später fabrizierte man in seinem Betrieb außerdem die beliebten Lapis-Indiennes. Seine Merinos, auch Orientalen oder Palmen genannt, fanden ebenfalls großen Gefallen. Für «Egidi-Ware» bezahlte man ohne weiteres höhere Preise. (Zur Erläuterung der Bezeichnungen der einzelnen Artikel vgl. S. 97 ff.)
Die Kontinentalsperre wirkte sich für Glarus eher günstig aus; denn die Neuenburger bezogen nun zeitweise ihre Baumwolltücher von Glarus, wo man sowieso mehr produzierte, als die einheimische Druckerei gebrauchen konnte.
       
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112 KARL VON ZINZENDORF, a.a.O., S. 235; JOHANN KONRAD FÄSI, a.a.O., Bd. 2, S. 412; G.P.H.NORRMANN, a.a.O., S. 1501.
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113 Vgl. ADOLF BÜRKLI, a.a.O., S. 199.
       
 
       
33 In den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts, als in der übrigen Schweiz eine Zeugdruckerei nach der anderen geschlossen werden mußte, entstanden in Glarus eine Reihe neuer Manufakturen. Nach 1820 gewann das benachbarte Ennenda an Bedeutung. Hier ist Jakob Trümpy (1808-1889) als wichtiger Unternehmer zu nennen. Er verband sich 1830 mit dem Fabrikanten und Handelsherrn Bartholome Jenny. Vor allem der Lapis-Artikel wurde sehr gepflegt und fand in Italien unter der Bezeichnung: «Roba di Bartolomeo» weite Verbreitung.

Zum wichtigsten Unternehmen des Kantons wurde nach 1860 die im Jahre 1834 in Glarus gegründete Druckerei von Johannes Heer (1792-1856). Sie hatte vor allem in der Jasmasfabrikation (
vgl. S. 61) eine führende Stellung inne und besaß Zweiggeschäfte in Smyrna, Beirut, Varna und Konstantinopel.
Nach einem ersten Höhepunkt in den 40er Jahren wurde eine zweite Blüte nach 1860 erreicht, als vielerorts der Handdruck immer mehr durch den Maschinendruck ersetzt worden war. So besaßen zum Beispiel Bartholome Jenny & Cie. seit 1857 Kupferplattenmaschinen, die zum Vordrucken dienten. 1865 führte dasselbe Unternehmen die Rouleauxdruckmaschine ein.

Ein Hauptmarkt für Glarner Erzeugnisse war zunächst Italien gewesen. Weil hier die bunten «Fazzoletti» und «Scialli» so beliebt waren, legten die Glarner Warenlager im Süden selber an. Von Italien aus blühte der Handel mit der europäischen und asiatischen Türkei; und schließlich wurden Glarner Stoffe bis in den Nahen und Fernen Osten exportiert.

Viele Glarner Fabrikanten gründeten im Ausland Manufakturen. Es sei hier Michael Weber aus Netstal erwähnt, der 1814 in Schlüsselburg bei St. Petersburg eine Kattundruckerei (in Rußland) errichtete, und Johann Speich, der ein Unternehmen in Cornigliano bei Genua gründete. Auf eine von Speich hergestellte Spezialität wird später (
vgl. S. 64) noch genauer hingewiesen.

Ein Rückgang trat gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein. Die meisten europäischen Staaten waren wieder zum Protektionismus übergegangen, und Druckartikel wurden in Italien und im Orient selber hergestellt.

1892 gab Bartholome Jenny & Cie. in Ennenda die Fabrikation auf. Die Indienne-Industrie verschwand aber nicht ganz. Man stellte die Produktionsverfahren um und führte neue Industrien ein. Auf diese Weise konnten einige Betriebe bis ins 20. Jahrhundert hinein bestehen bleiben.

Kleinere Manufakturen entstanden in kleineren Ortschaften.
So erwähnt Zinzendorf (a.a.O., S. 243) einen Betrieb im Engadin, von dem auch Fäsi (a.a.O., Bd. 4, S. 53/4) spricht.
  Bei Norrmann (a.a.O., S. 2677) finden wir eine Notiz über Industrien im Wallis, die hauptsächlich von Fremden betrieben würden; denn «der Hirt in den Bergtälern» beschäftige sich nirgends mit einer Nebenarbeit. Im Tessin scheint es im 18. Jahrhundert keine nennenswerten Druckereien gegeben zu haben, erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts werden einige Betriebe bekannt (114).

Mehr Interesse als in den Bergkantonen war in der Ostschweiz vorhanden.
Zinzendorf schreibt eingehend über das Drucken in Herisau (a.a.O., S. 209/10), und auch Norrmann (a.a.O., S. 1857) erwähnt bedruckte Stoffe aus dem Kanton Appenzell. Nach Jenny-Trümpy (a.a.O., S. 132) soll sich im Kanton St. Gallen und im Kanton Appenzell die Druckerei wegen der Konkurrenz der anderen Textilzweige nie sehr stark ausgebreitet haben.

Vergleichen wir die Reisenotizen Zinzendorfs mit den Nachforschungen aus späterer Zeit, so zeigt sich, daß Zinzendorf nicht überall genau gesehen hat. In Genf hätte ihm unbedingt die Fabrik des Jean-Salomon Fazy, die ja eine Sehenswürdigkeit der Stadt war, auffallen müssen. Statt dessen nennt er nur im Vorbeigehen einen «Pelet», der eine ansehnliche Fabrik haben soll. Auch über Neuenburg (bereits Norrmann, 35 Jahre später, äußert sich wesentlich ausführlicher) weiß er verhältnismäßig wenig zu berichten.

Dagegen bestehen über Bern viele Aufzeichnungen. Das Schicksal der Familie Kupfer hat sich Zinzendorf so genau erzählen lassen, daß er auch in den Basler Notizen hauptsächlich über Kupfer und die Mülhauser Industrie schreibt. Im Kapitel Glarus nennt Zinzendorf zwar Streiff, verbindet den Namen aber sofort mit dem Fabrikanten Merz aus Herisau, der ihn offenbar über das Färbevorgehen mit Indigoblau genau unterrichtet hat (
vgl. S. 40).
Es ist auffallend, daß in diesen Reiseaufzeichnungen kleinere Druckereien ausführlich behandelt, die bedeutenden jedoch kaum genannt werden. Zinzendorf hat sich vor allem für die Betriebe interessiert, die aus ihren Färbemethoden kein Geheimnis machten. Man muß daher vermuten, daß die wirklich berühmten Zeugdruck-Manufakturen alle ihre streng gehüteten Werkstattgeheimnisse besaßen und daß sie daher ihre Betriebe keinem Fremden zeigten. Folglich führen die Reisebeschreibungen Zinzendorfs dem Leser lediglich vor Augen, was ein Reisender um die Mitte des 18. Jahrhunderts von Zeugdruckereien zu sehen bekam. Obwohl die bedeutendsten Betriebe offensichtlich nicht Inbegriffen waren, sah der Graf doch relativ viel, und man kann annehmen, daß die Zeugdruckerei zum Handwerkstum aller bedeutenden Orte gehörte.
       
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114 G. CHIESA-GALLI, La stamperia a mano dei tessuti nel Cantone Ticino, Bellinzona 1931.
   
       
   

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