ANNE WANNER'S Textiles in History   /  spitzen_2018-03

 
- "Das Alte auf eine neue Weise tun - das ist Inovation": Anne Wanner-JeanRichard
Anne Wanner-JeanRichard, Dr.phil., curator of Textilmuseum St. Gallen, Switzerland from July 1978 to March 2000:
Folgender Text ist die 1. Textversion mit Abbildungen von der Autorin aufgenommen und bisher nicht publiziert.

(die umgearbeitete Version mit Photos von Michael Rast wurde gedruckt in dem Buch:
Historische Spitzen - die Leopold Iklé Sammlung im Textilmuseum St.Gallen, Arnoldsche Art Publisher, Stuttgart, 2018
288 S., 24,5 x 30 cm, 220 Farbabb. Hardcover. Deutsch. ISBN: 978-3-89790-533-7
Diese Publikation ist im Buchhandel und im Textilmuseum St.Gallen erhältlich)
 

d) Firmen
In diesen Jahren, in denen neuen Stickmaschinen und neue Verfahren immer ausgeklügelter wurden, entwickelte sich die Fabrikation der Gebrüder Iklé in St.Gallen (11).
Leopold Iklé (1838-1922) aus Hamburg reiste als Importeur und Exporteur von Textilien oft nach Appenzell und Vorarlberg. Nach dem Tode seines Vaters übernahm er 1864 die St.Galler Niederlassung des Familienunternehmens. Er erhielt hier das Niederlassungsrecht und 1881 das Bürgerrecht. Bereits seit den 1870er Jahren scheint er sich auch mit der Produktion mechanischer Stickereien befasst zu haben. Jedenfalls war er einer der 8 Fabrikanten, die am 21. Dezember 1875 in St.Gallen eine industrielle Vereinigung gründeten. Diesem Zusammenschluss stand er als Präsident und Vizepräsident vor, und als er sich mit 80 Jahren zurückzog, erhielt er die Ehrenmitgliedschaft bis an sein Lebensende (12).

Die Firma Iklé Frères liess 1879/80 die erste Schifflimaschinenstickerei der Ostschweiz, in St.Gallen (ehemalige Gemeinde Straubenzell) erstellen. Einen Umbau und zusätzlichen Neubau errichtete Architekt Wendelin Hene in den Jahren 1901 und 1906.
Leopold hatte 14 Geschwister. Sein Bruder Adolf (1852-1923) half seit 1870 in St.Gallen, Bruder Ernst (1842-1936), auch er zuerst in St.Gallen beteiligt, leitete seit 1871 die Pariser Niederlassung. Er verfasste später zusammen mit Leopolds Sohn Fritz sein grundlegendes Werk über die frühe Maschinenstickerei (13).
Bruder Joseph (1839-1907) blieb im Hamburger Stammhaus und Bruder Julius (1842-1896) baute die Geschäftsstelle in New York auf, die sich noch vor 1925 zur selbständigen US Firma wandelte.
Niederlassungen gab es auch in anderen europäischen Ländern, z.B. in Plauen (Deutschland). Gegründet wurde diese Firma 1878, sie hiess seit 1894 Iklé & Reis. In den 1920er Jahren beteiligten sich Iklé Frères nur noch in der Minderheit, die Firma bestand aber weiter bis 1941 (14).
Ein Neffe Leopold Iklés, John Jacoby (1869-1953) betätigte sich als junger Mann in der Firma seines Onkels in St.Gallen. Im Jahre 1895 eröffnete er die Filiale in London. Jacoby sammelte wie sein Onkel Spitzen, hielt Vorträge und organisierte Ausstellungen seiner Sammlungen. Nach seinem Tode erwarb die Trägerschaft des Textilmuseums St. Gallen im Jahre 1955 seine Sammlung.
Leopold Iklé hatte sich bereits zu Beginn des 20. Jhs aus der Firma zurückgezogen. 1923, nach dem Tode seines Bruders Adolf, übernahm dessen Schwiegersohn Felix German das St.Galler Haus. 1929 schloss sich Iklé Frères mit Reichenbach & Cie zusammen. Diese St.Galler Firma besass ebenfalls Niederlassungen in New York, Berlin, Paris, Plauen. Iklé Frères wurde 1931 aus dem Handelsregister gelöscht, blieb aber bis 1938 als Kommanditist weiterhin eingetragen. Aus einer Korrespondenz lässt sich schliessen, dass Leopold Iklé’s Sohn Fritz (15), bis etwa 1934 in der Firma beschäftigt blieb und auch Beziehungen zu seinem Onkel Ernst Iklé in Paris pflegte.
  Anmerkungen:
11) Ich danke Heino Strobel, der für seinen Vortrag in Arbon am 10. Oktober 2017 die Daten gemäss Handelsregistern, Grundbuchämtern, Adressbüchern in Plauen und in St.Gallen überprüfte. Er stellte die Ergebnisse seiner Recherchen für diese Studie zur Verfügung.
12) Iklé, Ernest, 1931, S. 225.
13) Iklé, Ernest, La broderie mécanique, Paris 1931.
14) Ich danke Heino Strobel, Plauen, Deutschland, der die Angaben zur Plauener Firma recherchierte.
15) Wanner, Kettenstich, 2013, S.34, 40 und unveröffentlichte Briefe.



16) die für diese Studie verwendeten Beispiele der Maschinenstickerei stammen zum Teil aus der Sammlung von Maschinenstickereien, welche in Ernest Iklés Buch reproduziert sind und heute im Textilmuseum St.Gallen aufbewahrt werden (vgl. Abb. 41,42,44).
17) Musterbücher Iklé Frères: Schenkung von 500 Musterbüchern, Zeitraum 1880-1990, von der Steinegg Stiftung Herisau, Eingangsdatum 2014: Bände Nrn: RE 5.26-33.
e) Musterbücher.
Schon seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert finden sich in den Stickereiunternehmen die Musterbücher. Mindestens zweimal pro Jahr stellte man hier neue Musterkollektionen zusammen, klebte entsprechende Beispiele in grosse Musterfolianten ein und bewahrte sie in eigenen Musterzimmern auf. Zusätzlich wurden hier auch Muster fremder Firmen gehütet. Besondere Angestellte betreuten die Bücher und ordneten die Muster einer vorgegebenen Nummerierung entsprechend ein. Oft gab es die Bücher in mehrern Ausführungen, denn ein Exemplar blieb als Vorführbuch für Kunden im Musterzimmer, ein anderes war für die Zeichner und für das Firmenmuseum bestimmt, ein weiteres diente der Speditionsabteilung. Diese Bücher bilden heute wichtiges Quellenmaterial für die Produkte der Stickereiunternehmen. Musterbücher der bedeutendsten Sankt-Galler-Stickereifirmen gelangten in grosser Anzahl in die Textilbibliothek St.Gallen. In dieser Sammlung befinden sich auch Musterbücher aus der Frühzeit der Firma Iklé Frères, also aus der 2. Hälfte des 19. Jhs.
Ernest Iklé stellte eine eigene Sammlung von frühesten bis späteren maschinengesticken Mustern zusammen. In seinem grundlegenden und reich illustrierten Werk über die Entwicklung der Maschinenstickerei veröffentlichte er einen grossen Teil dieser Muster (16).

Seit den Anfängen der Maschinenstickerei bemühte man sich, durchbrochene Musterungen (Abb.41) zu sticken, dazu legte der Sticker zugespitzte, als Bohrer bezeichnete kleine Geräte in die Stickmaschine ein. Sehr bald schnitt man auch bei Maschinenarbeiten Stoffteile weg. Bei grösseren Lücken war es nötig, gestickte Stege als Verbindungsglieder einzufügen (Abb.42).
Einige bei Ernst Iklé abgebildete Beispiele aus den Jahren 1870/5, nahmen sich englische Stickereien zum Vorbild. Diese Broderie Anglaise entwickelten sich zu einem wichtigen Artikel in der Maschinenstickerei (Abb.43 ). Verwandt mit ihnen sind maschinell gefertigte Broderie Richelieu. (Abb.44 )

Weitere Musterbücher des Unternehmens Iklé Frères verblieben zunächst in der Firma, sie gelangten im Laufe der Entwicklung in die Stiftung Steinegg, Herisau und erst im Jahre 2014 ins Textilmuseum (17). Es handelte sich dabei um Bücher der Firmen Iklé Frères, Reichenbach & Cie und später WASCO. Interessant sind einige Folianten mit den Bezeichnungen Iklé Frères St.Gall, Iklé Frères New York und Jacoby-Iklé London. Darunter geben sieben von ihnen Einblick in die Produktion von Iklé Frères. Oft zeigen sich hier Imitaitonen historischer Formen wie z.B. bei französischen Spitzen des 19. Jhs., bei Filetarbeiten, bei irische Häkelarbeiten, bei Solspitzen (Abb. 37-40) aus Paraguay usw. Als besonders erfolgreich bis in die 1920 er Jahre erwies sich der „point grand de Venise“. War es doch diese Spitze,  die sich zur eigentlichen St.Galler Stickereispitze entwickelte und für die die Bezeichnung "Guipure" zuerst Verwendung gefunden hatte  (Abb. 33).

 
Abb. 41 - Stickereimuster,
Inv. Nr. TM 30752 (E.Iklé), ca.1850, „Hamburgh“, Handstickmaschine, Entre-Deux, Taf.7, S.19.


Abb. 42 - Stickereimuster, Inv.Nr. TM 30770 (E.Iklé),
Richelieu, ca. 1878, Handstickmaschine mit Kreisfeston am Rand, Taf.24, Text S. 48.
 
Abb. 43 - Detail eines Tuches, Inv.Nr. TM 22980 (J.Jacoby), broderie anglaise, 2.Hä.19.Jh., Handarbeit

Abb. 44 - Stickereimuster, Inv.Nr. TM 30810 (E.Iklé), 1905-1912, Handstickmaschine, Taf. 62, S. 122
 
Abb. 45 - Detail eines Stickereimusters, Inv. Nr. Iklé Frères RE 5.28, 1596, Ausschneidearbeit, um 1900, Handstickmaschine

Abb. 46 - Detail aus einer Bordüre, Inv.Nr. TM 0008 (L.Iklé), Ausschneidearbeit,.1.Hä.17.Jh., Handarbeit
 
 
 

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Last revised November 2018 For further information contact Anne Wanner anne.wanner(at)gmx.ch